Autor Thema: Lairis\' Kurzgeschichten  (Gelesen 6469 mal)

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Lairis77

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Lairis\' Kurzgeschichten
« am: 31.10.08, 20:01 »
Auf ein paar Anfragen hin stelle ich hier mal eine 2 Jahre alte Geschichte rein, die im so gar  nix mit FF zu tun hat ^^.
Ich hab sie bisher nicht veröffenlicht, weil ich noch auf eine passende Ausschreibung o.ä. warte, nachdem ich beim Shortstory-Contest der Zeitschrift \"phantastisch!\" die Top Ten leider knapp verfehlt hatte und die Geschichte nicht gedruckt worden ist  :(.  
Die Macher von Zeitschriften/Anthologien und Veranstalter von Contests sind öfter mal sehr rigide: Wenn die Story schon irgendwo veröffentlicht wurde - und sei es nur auf der eigenen Homepage - hat man sich schon disqualifiziert.
Hier hab ich wenigstens den Vorteil, Mod zu sein und diesen Thread für Gäste zu sperren ;).

Ach ja, und es gab eine Seitenvorgabe. Deshalb ist die Handlung ziemlich kompakt - etwas zu kompakt für meinen Geschmack  :rolleyes:.
Ihr seht, ich bin eigentlich alles andere als zufrieden damit - aber auf eure ehrliche Meinung wär ich trotzdem gespannt   :)).[enid] 125 [/enid]


Metamorphose

„Maiitró, du begehst einen schweren Fehler!“, zischte Laiina mit einer Eindringlichkeit, welche nackter Verzweiflung entsprang. Sie sah ihrer Schwester tief in die Augen, rang fieberhaft um die nächsten Worte und ahnte, dass der Kampf längst verloren war. „Ich habe ehrlich Angst, dich zu verlieren. Du bist meine Schwester und ich liebe dich.“
„Weshalb?“, fragte Maiitró in einem kläglich hohen, zirpenden Ton.
„Weil du einfach Maiitró bist.“
„Weil ich einfach Maiitró bin?“, gab sie voller Sarkasmus zurück. „Ich erzähle dir mal was über Maiitró: Ihr Panzer ist voller Dellen, ihr Hinterteil sieht wie ein unförmiger Felsbrocken aus, kein Mann will sie zur Gefährtin wählen. Sie lebt von der Kralle im Mund und den Almosen ihrer stolzen Verwandten. Wenn sie Glück hat, darf sie mal als Tagelöhnerin schuften – für die Krümel von den Tellern der Reichen und Schönen! Von den Ausbildungszentren bekommt sie nichts als Absagen, denn man traut ihr nichts zu, weil sie so hässlich ist. Keinen Ehrgeiz, keine Disziplin, keine Leistungsbereitschaft. Ihr Vater denkt, er hätte aus Mutters vielen Eiern das falsche ausgewählt … er hätte besser ein anderes einfrieren und ihres vernichten sollen.“ Sie zischte verärgert, bevor sie fortfuhr: „‚Warum bist du nicht so perfekt wie deine Schwester?’, heißt es ständig. Laiina, jedes Mal, wenn ich dich ansehe, beneide ich dich um deine schönen, großen Augen, die elegant gebogenen Fühler, deine Proportionen. Wenn mein Panzer wenigstens so herrlich grün und golden schillern würde ...“
„Ach Maiitró, das ist doch alles gar nicht wichtig.“
„In dieser Welt ist es wichtig.“ Maiitró zirpte herzzerreißend. „Wären wir keine Kesnaii, hätten wir es leichter. Wer bei anderen Völkern hässlich ist, kann nichts dafür. Dort heißt es, dass die inneren Werte zählen. Aber bei uns bist du selbst schuld, weil du deine Verwandlung nicht richtig steuern konntest. Oder zu feige warst, es überhaupt zu versuchen.“
Laiinas Beißzangen klapperten vor Wut. „Ich hasse diese Welt!“
„Aber wir müssen in ihr zurechtkommen.“
„Müssen wir das?“, konterte Laiina. „Die Galaxie ist groß, es gibt noch mehr bewohnbare Planeten.“
Ihre Schwester zischte verächtlich. „Wo willst du denn leben? Bei den Miras´Tal? In ihren Hütten steht der Dreck so hoch, dass die Möbel Wurzeln schlagen.“
„Behaupten gewisse Zeitungen, die bestenfalls als Käfigbodenbedeckung im Zoo zu gebrauchen sind.\"
„Du kannst dich doch nicht von deinem Volk abwenden! Die Miras´Tal ... zzzzzz! Sie sind am ganzen Körper weich wie Larven, hüllen sich in Tierhäute und Stoff, um ihre bleiche Pelle vor Wind und Wetter zu schützen. Sie glauben, ihr Gott wohnt in der Sonne. Das ist lächerlich!“
„Deshalb haben wir noch lange nicht das Recht, sie zu versklaven! Sie glauben an das Leben –  wir glauben nur noch an Perfektion. Egal, um welchen Preis.“
„Das musst ausgerechnet du sagen! Du hast dich schließlich auch verwandelt. Und nur, weil deine Beine eine Winzigkeit zu lang waren, zzzzz.“
„Ich war in einen Mann verliebt, für den ich nicht zu existieren schien. Ich bildete mir ein, wenn ich perfekt wäre, würde er mich endlich beachten. Aber das hat er nicht. Und mir wurde bewusst, was ich riskiert habe – für ein kindisches, albernes Hirngespinst! Ich hätte völlig verkrüppelt und verunstaltet aus dieser Kapsel kriechen können, mit den Ganglien im Knie und dem Eikanal im Auge.“
„Laiina, du machst mir Angst“, wimmerte Maiitró.
„Das ist auch Sinn der Sache! Was meinst du, weshalb die Reichen lieber berühmte Schönheitschirurgen anderer Welten aufsuchen? Und warum die Kesnaii in der alten Zeit bei einem Gedankenmeister in die Lehre gehen mussten, bevor sie sich verwandeln durften? Weil unnatürliche Metamorphose verdammt gefährlich ist! Früher haben sich die Kesnaii nur auf so etwas eingelassen, um sich von Krankheiten oder Gebrechen zu heilen. Und heute?“ Für eine Sekunde schwieg sie verbittert. „Jeder, der mit seiner Gestalt unzufrieden ist, schluckt ein paar Tabletten und spinnt sich für drei, vier Tage in seiner Kapsel ein. Viele verlassen diese Kapseln als Missgeburten, denen die Ärzte nicht mehr helfen können.“
„Laiina, wenn du mich warnen wolltest, kommst du zu spät.“ Maiitró hielt ihrer Schwester ein halb leeres Tablettenröhrchen hin. Es war Chartaxo, ein Medikament zur Herbeiführung einer künstlichen Metamorphose. Laiina erschrak so heftig, dass ihre Duftdrüsen einen Geruch nach brennenden Müllcontainern ausströmten.
„Wann hast du das geschluckt?“, fragte sie stockend.
„Vater wird bald anders über mich denken“, murmelte Maiitró verträumt. „Bitte wünsch mir Glück, Schwester.“
Laiina drückte ihre Stirn gegen Maiitrós, ihre Fühler streiften einander und Laiina hoffte, die Berührung würde ihrer Schwester Trost spenden. Sie vergaß manchmal, wie sehr Maiitró unter dem Frust ihres Erzeugers leiden musste.


Ihr Vater hatte Kommunikationstechnik studiert, erinnerte  sich Laiina, aber er verdiente nicht viel mehr, als ein einfacher Handwerker. Doch wenn er es wagte, aufzubegehren, lief er Gefahr, gegen ein willfähriges, metamorphisch aufgebessertes junges Ding ausgetauscht zu werden.
Er redete viel über seine Arbeit, aber nie über seine verstorbene Frau.
In Laiinas Erinnerungen wirkte ihre Mutter stets traurig und verschlossen. Und sie redete nie über ihre Arbeit.
Doch Laiina und Maiitró waren fröhliche Larven. Damals hatten sie noch Flügel besessen. Sie segelten über den Dächern, fraßen Blätter von Bäumen, lachten und träumten. Manchmal trieben sie sich in den Randbezirken herum, spielten zwischen Abfalltonnen und verfallenen Bauten, kicherten über die Betrunkenen, die mit schlackernden Beißzangen aus den Tavernen getorkelt kamen, erzählten sich Gruselgeschichten beim flackernden Schein einer brennenden Müllhalde ...
Bis ihnen eines Tages etwas wirklich Gruseliges passierte: Ein einzelnes, riesiges, gelbes Auge glühte hinter einer verrotteten Mauer auf, ein Kopf mit überdimensionierten Beißzangen kam zum Vorschein, dann ein paar scheußlich deformierte Gliedmaßen ...
Maiitró und Laiina rannten, was ihre acht Beinchen hergaben, schlugen verzweifelt mit ihren Flügeln ... endlich hatten sie genug Schwung, um abheben. Die Greifer des Monsters verfehlten nur knapp Laiinas Hinterteil.
„Hoffentlich war euch das eine Lehre“, zischte ihre Mutter erbost. „Ich hatte euch doch verboten, in solch düsteren Gegenden herumzuflattern! Seid froh, dass ihr fliegen könnt – sonst wäret ihr längst von wilden Tieren gefressen worden.“
„Aber das war kein wildes Tier. Es war ein Mann“, widersprach Laiina. „Warum sah er so verunstaltet aus?“
Die Mutter zirpte nur leise. Ihre Augen leuchteten nicht mehr. „Laiina, du hast einmal eine wunderschöne Skulptur aus einem Klumpen Ton erschaffen, ohne deine Glieder zu rühren.“ Sie sah erst Laiina, dann Maiitró ernst und eindringlich an. „Manche Kesnaii tun das Gleiche mit ihren eigenen Körpern, wenn sie sich verwandeln.“
„Du meinst, sie kneten an sich selbst herum? Wie geht das?“
„Während der Metamorphose kann sich die Seele vom Körper lösen. Nun stellt euch vor, eure Zellen wären Bausteine, ihr könnt sie mit eurem Geist bewegen, wie ihr wollt. Natürlich würdet ihr sie so zusammensetzen, wie es euch am besten gefällt. Aber dafür muss die Seele stark sein – und vor allem muss man sich sehr konzentrieren. Seid ihr nur ein kleines bisschen abgelenkt, werdet ihr zu abscheulichen Kreaturen, wie der Mann, der euch angegriffen hat. Es gibt noch mehr wie ihn im Alten Viertel ... sie sind vor den Behörden geflüchtet, haben kein Dach über dem Kopf, hungern ... manche von ihnen sind geistig verwirrt ... so schlimm, dass sie junge Larven fressen.“
„Aber wir müssen uns auch irgendwann verpuppen und verwandeln“, hakte Maiitró ängstlich nach. „Werden wir dann ebenfalls zu Monstern?“
„Nein, gefährlich ist es nur, wenn man schon voll ausgeformt ist und Pillen nimmt, für eine zweite, künstliche Verwandlung. Normalerweise kann man sich nicht einfach treiben lassen und auf die Natur vertrauen.“
„Also müssen wir uns treiben lassen, wenn es soweit ist?“
„Ich verspreche, wenn ihr auf mich hört, wird alles gut. Ihr werdet ein paar Tage in der Kapsel schlafen, irgendwann aufwachen und so aussehen, wie ich: groß und stark, mit vier Beinen, zwei Greifarmen, zwei Augen, zwei Fühlern, einem schimmernden Panzer und einer Eierhöhle im Bauch.“
„Aber dann können wir nicht mehr fliegen und nicht mehr wachsen“, klagte Laiina. „Wir werden ein schweres Exoskelett mit uns herumschleppen und Tiere essen. Das ist ekelhaft!“
Maiitrós Flügel zitterten. „Mama, was machen sie mit dem schrecklichen Mann, wenn sie ihn fangen?“
„Kind, manche Dinge sollte man besser nicht wissen“, erwiderte ihre Mutter barsch.



Ein Geräusch durchbrach die unnatürliche Stille. Es klang wie das Zerreißen von verwittertem Stoff.
Laiina hatte sich in die Tiefen ihrer Erinnerungen geflüchtet, weil das Warten nach kurzer Zeit unerträglich geworden war. Doch nun schreckte sie hoch und kehrte augenblicklich in die Gegenwart zurück.
Die Kapsel war geplatzt – endlich! Laiinas zwei Herzen vollführten einen Trommelwirbel vor Freude – dann vor Entsetzen. Etwas schob sich durch den Spalt und Laiina musste zweimal hinsehen, um zu begreifen, dass es ein Arm ihrer Schwester war. Er war knotig, verkrümmt, mit lächerlich kurzen Stummeln anstelle normaler Greifkrallen.
Laiina stolperte rückwärts, ihre Kehle war wie zugeschnürt.
„Töte mich“, krächzte das unglückliche Wesen. Es klang nicht einmal mehr wie Maiitró. „Töte mich ... bitte!“
Die linke Hälfte ihres Gesichts war geschwollen und verfärbt. Die rechte war eingefallen, stellenweise fehlte der Panzer, dahinter war rohes bläuliches Fleisch voller hässlicher Blasen. Ein Loch in der Stirn zeigte die nackte, pulsierende Ganglienmasse.
Dann verschwamm Maiitrós deformierter Körper in einem barmherzigen Nebel. Alles verschwamm vor Laiinas Augen.
Im Schrank war das Lasergewehr, mit dem ihr Vater manchmal auf die Jagd ging.
„Erlöse sie endlich, es ist das Beste“, riet ihr die kalte Logik immer wieder.
Aber die Waffe rutschte aus ihren zitternden Krallen. „Ich kann nicht“, flüsterte sie erstickt. „Ich kann es einfach nicht!“ Dann ließ ihr Schrei die Glasscheiben zerspringen.


Ein Gleiter der Gesundheitsbehörde holte Maiitró ab. Die Sanitäter mussten sie auf eine Trage heben, weil sie nicht laufen konnte. Das Exoskelett an ihren Beinen war zu dünn und brüchig. Maiitró fügte sich so passiv in ihr Schicksal, dass es ihrer Schwester fast körperlich wehtat. Die Männer hatten mehrere Lähmungsschüsse auf die tobende Laiina abgefeuert, sie lag hilflos auf dem Rücken, hatte keine Stimme und zuckte kaum, als der Gleiter abflog.
„Es ist besser für Maiitró“, meinte ihr Vater.
Allmählich ließ die Wirkung des Lähmungsstrahls nach und Laiina sprang zornig auf die Beine. „Sie werden sie vergasen! So wie alle anderen Krüppel.“
„Früher hätte sie in einer Klinik unter der Oberfläche vegetieren müssen, für den Rest ihres Lebens! Ich weiß, sie zieht den Tod vor.“
„Sie versuchen ja noch nicht einmal, ihr zu helfen!“
„Habe ich dir je erzählt, wie deine Mutter gestorben ist?“
„Ehrlich gesagt kam es mir schon damals merkwürdig vor: Ein Arbeitsunfall bei einer Ärztin ...“
„Sie war Ärztin in einer Klinik für Metamorphose-Opfer.“
Laiina blickte erschrocken auf.
„Eines der verrückten Monster hat ihr den Kopf abgebissen!“
„Zzzzzz ... Wie bitte?“
„Ja, du hast richtig gehört. Denen kann man nicht helfen. Sie haben nur gelitten und redliche, arbeitsame Kesnaii wie wir wurden bis auf den Panzer ausgeblutet. Hast du eine Ahnung, wie hoch die Steuern zu deiner Larvenzeit waren? Und nach zwei Zyklen mussten die Angehörigen alle Pflegekosten tragen. Deine teure Ausbildung an der Raumfahrtakademie hättest du dann vergessen können, Liebes.“
„Ja, die armen Krüppel werden eingeschläfert – fein. Trotzdem verwandeln sich immer noch jeden Tag ein paar Tausend Kesnaii. Warum auch nicht? Die Fresskonkurrenz ist hart, nur wer perfekt ist und perfekt aussieht, hat eine Chance, zu überleben.“
„Nun, auf diese Weise werden die Schwachen aussortiert, unserem Volk wird es langfristig gut tun.“
„Maiitró war deine Tochter!“ Laiinas Wutausbruch kam so heftig, dass ihr Vater sich ein paar Mal in der Luft überschlug und mit dem Rücken gegen die Wand knallte. „Sie war nicht schwach, aber du hast sie krankgemacht! Hättest du sie so geliebt, wie sie es verdient hat, wäre sie nicht depressiv geworden und ihre Verwandlung wäre gut gegangen.“
„Vielleicht auch nicht. Sie war nicht wie du, Laiina.“
„Ach, hast du nicht immer wieder behauptet, ich wäre zu emotional?“ Laiina schnappte sich das Röhrchen mit Maiitrós übrig gebliebenen Carthaxo-Tabletten und schluckte sie alle auf einmal. „Es wird Zeit, dass ich endlich eine Gestalt annehme, die zu meinem Charakter passt.“
„Das … Laiina, bist du irre?“
„Wenn ich aus der Kapsel steige, wirst du dich wohl oder übel von mir abwenden. Du hast Maiitró zugrunde gerichtet, was ich dir nie verzeihe.  Jetzt verlierst du auch mich.“


Mit einem wilden Grinsen schwenkte Kahriss ihren Kampfstab. Ein heißer Wind peitschte ihr das lange, meergrüne Haar aus der Stirn. Ihr Gegner, ein Kesnaii-Soldat, der sie um zwei Köpfe überragte, holte immer wieder mit seinen Greifern aus. Sein mentaler Sog war schwach, zerrte jedoch permanent an ihr. Seine Krallen rissen tiefe Wunden in ihre helle, silbrige Haut. Es fiel ihr nicht leicht, mit Schmerzen und Verletzungen fertig zu werden – aber sie war Kahriss von den blauen Bergen, Anführerin der unbeugsamsten Rebellenarmee der Miras´Tal. „Du kennst mich nicht gut genug, um mir die Kleider vom Leib fetzen zu dürfen“, fauchte sie.
Hinter ihr loderte eine Wand aus Feuer, die Kesnaii hatten vor zwanzig Zyklen ihren Planeten besetzt und brannten ein Dorf nach dem anderen nieder.
„Was ist los mit dir? Funktioniert dein Schießeisen nicht oder willst du mich mit deinem Mundgeruch umbringen?“
Da erkannte Kahriss, wie der Speichel von den Beißzangen des Kesnaii tropfte. „Ach, ich verstehe ... Du willst mich fressen! Haben sie das Abendmahl für die Fußtruppen gestrichen? Das wundert mich gar nicht, die Kesnaii sparen gern am eigenen Volk. Ein Grund, weshalb ich ihnen den Rücken gekehrt habe.“
Der Kesnaii-Soldat horchte auf und zirpte ungläubig.
„Dabei habe ich nun endlich gelernt, zu leben. Ich habe meine Knochen innen und viel, viel besseren Sex als früher!“ Sie hieb mit voller Wucht auf die Glieder ihres Gegners ein, doch er reagierte nicht einmal, so verblüfft war er. „Und ich habe genug von dieser albernen Prügelei!“ Ein brennendes Trümmerteil flog durch die Luft, warf ihn aus dem Gleichgewicht und er ruderte verzweifelt mit den Beinen. „Du siehst, auf meine Kräfte wollte ich nicht verzichten. Das war für meine Schwester, du eingebildete Monsterschabe! Und alle anderen, die ihr feige umgebracht habt. Alle Miras´Tal und alle Kesnaii. Ihr Mörder müsst endlich gestoppt werden, bevor Kesnaii Prime an seiner Überlegenheit erstickt!“
Das Ende des Soldaten kam schnell: Ein schwerer Feldstein, wie von Geisterhand bewegt, zerschmetterte seinen Kopf. Es gab ein hässliches Knirschen, warmes, blaues Blut versickerte in der Ebene.
Kahriss, deren Namen einst Laiina gewesen war, erschrak vor sich selbst. Zu Hause hielt man sie für tot, doch hatte sie deshalb aufgehört, eine Kesnaii zu sein?
War dieser Hass auf die eigenen Leute normal?
„Nein, Maiitró, ich kämpfe nicht gegen mein eigenes Volk“, erklärte sie fest. „Nur gegen das, was aus ihm geworden ist.“

(C) 2007/2010 by Adriana Wipperling

Edited by Lairis77, 15.05.2010
"Ich habe diese Geschichte nur gepflanzt, aber sie wächst, wie sie will, und alle verlangen, dass ich voraussehe, welche Blüten sie treiben wird." (Cornelia Funke: Tintentod)


ulimann644

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Lairis\' Kurzgeschichten
« Antwort #1 am: 31.10.08, 22:53 »
Könnte fast ein Prequel zu Stargate-Atlantis sein - bevor diese Käferrasse und Menschen schließlich zu Wraith wurden.

Ist dabei durchaus als Lob gemeint, und wäre in meinen Augen durchaus auch Wert mal von jemandem geschrieben zu werden. Da dieser Teil der SGA-Geschichte sehr im Dunkeln bleibt hätte man da schon einige Möglichkeiten...

Ansonsten wirken die Insekten für mich einen Tick zu menschlich - ich persönlich ziehe bei der Beschreibung von Insektenrassen eine \"natürlich Gefühlskälte\" ( Grausamkeit ) vor. Ist aber interessant mal eine andere Herangehensweise zu lesen.

Eine zusätzliche \"seelische Metamorphose\" von insektoider Gefühlskälte zu menschlicher Heißblütigkeit könnte aber einer solchen Thematik eine erweiterte Palette an dramatischen Elementen geben... ( Wäre bestimmt auch reizvoll, die daraus resultierenden inneren Konflikte zu beschreiben )

Lairis77

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Lairis\' Kurzgeschichten
« Antwort #2 am: 01.11.08, 11:05 »
Zitat
Original von ulimann644
Ansonsten wirken die Insekten für mich einen Tick zu menschlich - ich persönlich ziehe bei der Beschreibung von Insektenrassen eine \"natürlich Gefühlskälte\" ( Grausamkeit ) vor.


Ja, das ist so ein Punkt, mit dem ich nicht ganz zufrieden bin :(.
Aber versuch mal, eine gefühlskalte Insektenrasse zu beschreinem und trotzdem beim Leser Mitgefühl mit den Protagonisten aufkommen zu lassen :rolleyes:.

Andererseits ist es eine außerirdische Spezies - also können die Verhaltensmuster auch mal abweichen.
Ursprünglich waren die Kesnaii humanoid - aber das hat biologisch nicht funktioniert mit der Metamorphose.

Ein Stargate-Atlantis-Prequel  möchte ich daraus nicht machen. Mir schwebt etwas ganz anderes für die Kesnaii vor ;).
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ulimann644

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Lairis\' Kurzgeschichten
« Antwort #3 am: 01.11.08, 14:33 »
Zitat
Original von Lairis77
Zitat
Original von ulimann644
Ansonsten wirken die Insekten für mich einen Tick zu menschlich - ich persönlich ziehe bei der Beschreibung von Insektenrassen eine \"natürlich Gefühlskälte\" ( Grausamkeit ) vor.


Ja, das ist so ein Punkt, mit dem ich nicht ganz zufrieden bin :(.
Aber versuch mal, eine gefühlskalte Insektenrasse zu beschreinem und trotzdem beim Leser Mitgefühl mit den Protagonisten aufkommen zu lassen :rolleyes:.


DAS ist die Herausforderung - andererseits aber auch kein Muss, sondern meine persönliche Vorstellung einer solchen Rasse. ( Nicht weil sie vorsetzlich, oder aus Boshaftigkeit grausam wären, sondern weil es einfach ihrem Naturell entsprechen könnte )

Alexander_Maclean

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Lairis\' Kurzgeschichten
« Antwort #4 am: 18.11.08, 14:27 »
Das ist also deine Insektenstory. Nicht schlecht hätte aber länger sein können.

Der Schluss war wirklich spitze.
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Projekt "One Year a Crew" Status: Konzept 100% Schreiben 28,26% Grafisches 0% Erscheinjahr 2022


Lairis77

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Lairis\' Kurzgeschichten
« Antwort #5 am: 18.11.08, 15:12 »
Zitat
Original von Alexander_Maclean
Das ist also deine Insektenstory. Nicht schlecht hätte aber länger .


Beschwer dich bei der Redax, die den Wettbewerb ausgeschrieben hat. ;) Es gab eine Zeichenvorgabe. Alles darüber ---> NO GO!
"Ich habe diese Geschichte nur gepflanzt, aber sie wächst, wie sie will, und alle verlangen, dass ich voraussehe, welche Blüten sie treiben wird." (Cornelia Funke: Tintentod)


Lairis77

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Lairis\' Kurzgeschichten
« Antwort #6 am: 15.05.10, 15:05 »
So, ich hab den Thread umbenannt.
Hier kommen in Zukunft alle KG\'s von mir rein, die entweder SciFi oder wenigstens Fantasy/mysterymäßig angehaucht sind.

Diese hier basiert auf einer älteren Idee für eine Star Trek Geschichte: sollte eigentlich um Cassidy Yates\' Kind gehen, was aber so nicht funktioniert hat.
Letztendlich wurde ein Non-FF-Werk draus.

Genre: Babyfic meets Humor und diplomatische Verwicklungen mit kristallförmigen Aliens :D.

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Kindermund

Ach, wie ich es liebe, um sechs Uhr morgens aufzustehen! Mein Wecker jault in dissonanten Tönen wie das Alarmsignal der hakanischen Raumflotte. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf, genieße noch fünf Minuten Ruhe in meinem himmlisch warmen, weichen Bett, bis mein Gehirn für die Einsicht in die Notwendigkeit bereit ist. Dann stolpere ich im Halbschlaftaumel über die Cornflakes-Schachtel. Die steht fast jeden Tag neben dem Nachtschrank, seit ich meinem Mann Karon gestanden habe, dass ich es romantisch finde, das Frühstück ans Bett gebracht zu kriegen.
Jetzt falle ich über Tenarak, die auf dem Fußboden herumkrabbelt und an den Teppichfransen lutscht, weil die angeblich „saure Nährstoffe“ enthalten. Dabei weiß die kleine Landplage mit Sicherheit nicht, was Nährstoffe sind, und ich habe keine Ahnung, was sie da wieder mal in Karons oder meinem Geist gelesen hat. Vermutlich in meinem, denn mein Mann ist ein Hakani, ein Telepath, wie jeder Angehörige seines Volkes. Der Glückliche kann sich abschirmen, wenn er keinen mentalen Kontakt wünscht – ich dagegen merke es nicht einmal, wenn jemand in meinem Kopf herumspioniert.
Aber unserem reizenden Töchterchen zu sagen, dass sie nicht in meinem Geist herumschnüffeln soll, ist genauso zwecklos, wie ihr zu verbieten, die Regale hochzuklettern. Damit hat sich mich eines Tages dermaßen zur Weißglut gebracht, dass ich ein Bündel Socken nach ihr geworfen habe. Sie hat nur leise gejauchzt und versucht, es zu fangen. Wahrscheinlich muss sie erst runterfallen und sich ein paar Beulen holen, bevor sie von ihrer Klettersucht geheilt ist.
Dabei kann sie so niedlich sein, wenn sie sich eine fixe Idee in den Kopf gesetzt hat! Ihre Augen sind dann riesengroß und ganz ernst, sie wirkt in solchen Augenblicken richtig weise, obwohl das gewaltig täuscht.
Ich stecke meine Haare hoch, klemme mir Tenarak unter den Arm. Sie protestiert lauthals, weil ich sie von ihrem geliebten Teppich wegreiße, und mache mich schleunigst auf den Weg zur Transportbahn. Auf der Erde hätte ich ein eigenes Dienstshuttle mit Steuermann, – aber hier sind Privilegien leider sehr verpönt.
In einer Stunde trifft die varaillianische Delegation in der Botschaft ein, und ich habe eine ganze Woche an meiner Begrüßungsrede gefeilt.
Leider hat sich Paslar die Hüfte gebrochen, weil sie gestern Abend – mit ihrem Gemahl an selbiger verbunden – von einem Felsvorsprung gefallen war. Ihr Mann hat wohl Glück gehabt, weil er weich auf ihr gelandet ist.
Die Arme!
Und ich habe keine Babysitterin, wenn ich sie am nötigsten brauche. Zum Teufel mit den Hakani und ihren merkwürdigen Sexpraktiken!
Mein Mann operiert gerade einen Patienten, – also bleibt mir nichts weiter übrig, als Tenarak heute in die Botschaft mitzunehmen und zu hoffen, dass diese Varaillianer kinderlieb sind. Dabei kriegen sie überhaupt keine Kinder, jedenfalls nicht so wie wir Humanoiden. Die Varaillianer sind anorganische Lebensformen, wunderschöne, funkelnde Kristalle, etwa handtellergroß.
Ein erstaunliches Volk! Es beschäftigt sich fast ausschließlich mit Kunst und Philosophie.
Ich freue mich schon sehr auf das Treffen. Der große Auftritt von Elenor O’Leary, Botschafterin der Erde auf Hakani Prime. Ich habe mich immer noch nicht an diesen Titel gewöhnt, aber die Hakani haben ihn mir mit großem Brimborium verliehen, und nun muss ich das Beste daraus machen. Aus unerfindlichen Gründen wollten sie mich für diesen Job.
Vielleicht, weil ich einen von ihnen geheiratet habe?
Oder weil ich während der Militärdiktatur im terranischen Untergrund aktiv war?
An meinem Politologiestudium, das meinen Kopf eher mit Propagandagetöse, als mit brauchbaren Fakten gefüllt hat, liegt es wahrscheinlich nicht. Und ganz bestimmt liegt es nicht an meinem Dienstalter. Meine Leute tun sich immer noch schwer damit, eine fünfunddreißigjährige Diplomatin ernst zu nehmen, aber vielleicht ändert sich das heute – falls sich Tenarak anständig benimmt.
Wir müssen aussteigen und sie sieht sich mit großen Augen um. Einige Ruinen zeugen immer noch vom Krieg zwischen Menschen und Hakani. Mir läuft ein Schauer über den Rücken, wenn ich mir vorstelle, dass es terranische Bomben waren.
Man kann nicht einmal behaupten, dass wir unzivilisiert gewesen wären. Aber dann gingen beinahe sämtliche Rohstoffe zur Neige und wir mussten uns woanders welche besorgen. Als besonders ergiebig erwies sich ein Planet in Sektor 347-A.
Nur dummerweise lebt dort ein Naturvolk, das unter dem Schutz der Hakani steht. Und da hatten wir den Salat.
Unterm Strich war es gut so, denn ohne diesen Krieg hätten wir keine Chance gehabt, unsere von geldgeilen Konzernbossen bezahlten Putschgeneräle zum Teufel zu jagen.
Nun, zehn Jahre nach Kriegsende, haben die Hakani sogar diplomatische Beziehungen zu uns aufgenommen. Vielleicht sind wir eines Tages würdig, der interplanetaren Allianz friedlicher Welten beizutreten.
Tenarak beeindruckt das alles wenig. Sie zeigt auf einen vorübergehenden Rotarkaner mit königsblauer Haut und quietscht begeistert: „Mama, Mama, blauer Mann mit Löffeln auf dem Kopf!“
„Das sind keine Löffel, Schätzchen, sondern Fühler“, erkläre ich geduldig. „Er ist ein Rotarkaner und kann damit riechen.“
„Rota...“ Sie schafft es nicht, das schwere Wort auszusprechen. Dann strahlt sie. „Fühler!“
Oh nein, ich kenne diesen Blick! Wie sie dem Rotarkaner hinterher starrt und dabei ungeduldig an meinem Arm herumzerrt. Sie hat sich schon wieder eine fixe Idee in den Kopf gesetzt! Wahrscheinlich will sie die Fühler anfassen.
Was auch immer, ich halte ihre Hand so fest ich kann.
Denn wenn ich mir das Gewühle auf der Straße ansehe ...
Meine Kleine wird sich hoffnungslos verirren und ich werde sie nicht wieder finden! Dann muss ich wohl oder übel die Ordnungshüter rufen.
Wenn ich das hier überstanden habe, pflanze ich Tenarak einen Transponder ein oder lege sie ganz einfach an die Leine.
Die Passkontrolle bittet um meinen Kreditchip, ich greife in meine Handtasche. Das kleine Biest nutzt die Ablenkung sofort und reißt sich los.
„Tenarak bleib stehen – sofort!“ brülle ich ihr verzweifelt hinterher. Natürlich hört sie nicht auf mich. Einige Passanten drehen sich neugierig um, der Beamte – ein kleiner, dicker, algenfarbiger Bürokratentyp – hebt lediglich beide Augenbrauen.
„Warten Sie bitte einen Augenblick, mein Kind ...“
„Ihren Chip bitte“, fordert er ungerührt.
„Aber machen Sie schnell!“, fauche ich ihn an.
Oh, dieser Volltrottel!
Ich sehe Tenarak nicht mehr, sie ist in der Menge verschwunden.
Wie kann sie auf ihren kleinen Beinchen nur so flink sein?
Das ist mir ein Rätsel.
Also halte ich Ausschau nach den Fühlern des Rotarkaners.
Da!
Mist, in diesem langen, engen Kleid, das ich für den Empfang angezogen habe, komme ich einfach nicht vorwärts! In einem plötzlichen Geistesblitz hole ich ein Schweizer Armeemesser aus meiner Designer-Handtasche, schlitze den Rock rechts und links bis zu den Hüften auf. Egal, ob diese Varaillianer mich nachher schief angucken. Genau genommen haben sie nicht einmal Augen.
Nun kann ich endlich rennen!
Jetzt drehen sich die Leute erst recht nach mir um und schütteln ihre grün schillernden Köpfe. In der hakanischen Hauptstadt ist man nicht unbedingt an den Anblick von Menschen gewöhnt, vor allem nicht, wenn sie wie die aufgescheuchten Hühner durch die Fußgängerzonen flattern und jeden beiseite schubsen, der ihnen im Weg steht.
Tenarak steht, wie erwartet, vor dem Rotarkaner und streckt ihr kleines Händchen nach ihm aus. Der Mann lächelt amüsiert auf sie herab und sein Lächeln wird noch breiter, als er mich angehetzt kommen sieht. Aber jetzt ist es kein Ausdruck des Entzückens mehr, sondern der Schadenfreude.


Ich musste mir von meiner Sekretärin ein Kleid ausborgen, das für meinen Geschmack viel zu kurz und zu pink ist. Aber meine Rede vor der varaillianischen Delegation war trotzdem ein voller Erfolg. Die Anwesenden applaudierten und die winzigen Translatoren auf den Rücken der Varaillianer blinkten anerkennend. Obwohl es für mich eine echte Premiere war, einer gepolsterten Schachtel voller Kristalle etwas über Völkerverständigung zu erzählen.
Ich teile meinen Mitarbeitern je einen Varaillianer zum Herumtragen und Bemuttern zu, führe die Offiziere des Raumflottenschiffes, das die Varaillianer befördert hat, zum Buffet und beantwortete die Fragen von einem halben Dutzend Journalisten. Absolut vertieft eine philosophische Diskussion mit dem ovalen roten Chefkristall, bemerke ich nicht, dass Isaac, mein Sicherheitsattaché, etwas von mir will. Erst jetzt, als er mich anstubst: „Elenor, ein Mitglied der varaillianischen Delegation ist verschwunden!“
„Wer ist es?“ Ich sehe Isaac scharf an und der Varaillianer auf meiner Hand blinkt alarmiert mit seinem Translator.
„Der Kultusminister.“
„Hast du einen Verdacht, wer mit seinem Verschwinden zu tun haben könnte?“
Mein Sicherheitsattaché räuspert sich. „Ich möchte ja niemandem etwas unterstellen, aber der Botschafts-Kindergarten ist wohl nicht gerade ausbruchssicher.“
„Wollen Sie damit andeuten, Tenarak sei hier rumgekrabbelt?“
„Ein kleiner, hellgrüner Kugelblitz, der mit Tenarak identisch gewesen sein könnte.“ Er grinst über beide Backen. „Kompliment! Meine Kleine konnte mit achtzehn Monaten noch nicht so gut laufen.“
„Ja, sie läuft und sie spricht, und das ist manchmal ein großes Problem.“
Ich kann nur noch entnervt seufzen, verabschiede mich höflich von dem roten varaillianischen Delegationsleiter und überlasse ihn Isaacs fürsorglichen Händen.
Plötzlich verlöschen sämtliche Lichter und Comm-Bildschirme im Raum.
Ein paar Frauen schreien leise auf, sämtliche Presseleute stürzen sich sofort mit Mikrofonen auf mich.
Da merken sie, dass ihre kleinen Aufnahmegeräte nicht funktionieren. Ich verkneife mir ein schadenfrohes Kichern, denn das wäre nicht sehr diplomatisch. Außerdem werden sie sich früh genug rächen, wenn sich herausstellt, dass mein entzückender, kleiner Chaosdämon von Tochter ...
Ich kann mir die Schlagzeilen schon lebhaft vorstellen: „Krabbelkind gefährdet diplomatische Beziehungen!“
„Meine Damen und Herren, seien Sie beruhigt. Wir haben alles unter Kontrolle!“ Meine Stimme klingt freundlich, aber energisch, wie es sich gehört. „Ich werde mal kurz nach dem Rechten sehen. Genießen Sie das Buffet – ich bin gleich wieder für Sie da! Und seien Sie versichert, dass wir in Kürze die Ursache dieser … Unannehmlichkeit finden.“
Aber die kenne ich längst: Varaillianer sind keine hübschen, bunten Klunkern, sondern Geschöpfe von großer Macht. Vor fünf Jahren wäre ein hakanischer Raumfrachter beinahe auf ihrem Planeten abgestürzt, weil der Captain ein paar besonders angesehene Philosophen respektloserweise  in seine Tasche gestopft hatte. Dem Schiff war sämtliche Energie entzogen worden, die Lebenserhaltung versagte. Glücklicherweise klärte sich das Missverständnis und die Varaillianer sind mit der Interplanetaren Allianz in Beitrittsverhandlungen getreten.
Hoffentlich sind sie auch diesmal so großmütig! Bitte, Tenarak!
Wie befürchtet, lutscht sie an einem trapezförmigen roten Kristall herum.
„Tenarak, nimm sofort den Kultusminister aus dem Mund!“
Sie sieht mich nur mit kreisrunden Kulleraugen bar jeder Vernunft an. Dabei versteht sie mit Sicherheit, was ich von ihr will, und das macht mich wütend.
„Also hör mal zu: Wie würde es dir wohl gefallen, wenn man dich in eine dunkle Höhle sperrt und von Kopf bis Fuß einschleimt? Soll ich das mal mit dir machen? Dieser Kristall ist ein fühlendes Wesen und kein Spielzeug!“
Mir ist es todernst und das spürt meine Kleine. Sie legt den Kristall auf den Tisch und fängt bitterlich an zu weinen.
Ich habe Bauchweh und weiß nicht, wen ich zuerst trösten soll: Tenarak oder den Varaillianer. Kurz entschlossen nehme ich mein Baby in den Arm, greife mit der anderen Hand nach dem unglückseligen Kultusminister und wische ihn mangels Taschentuch vorsichtig am Sitzpolster ab. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, Herr Minister! Ich weiß nicht, ob Sie Erfahrungen mit humanoidem Nachwuchs haben, aber meine Tochter ist noch sehr jung und weiß nicht, was sie tut. Bitte fassen Sie es nicht als böswillige Absicht auf ...“
Meine wortreiche Entschuldigung scheint ihn zu besänftigen.
„Neu geformte Varaillianer entwickeln ihr Bewusstsein auch nur allmählich“, ertönt seine glockenhelle Stimme in meinem Kopf. „Die Schuld an der Unvollkommenheit Ihres Abkömmlings liegt nicht bei Ihnen.“
Das Licht geht wieder an, der Varaillianer hat mir und Tenarak verziehen. Ich atme erleichtert auf und rufe meine Sekretärin: „Janice, bitte seien Sie so lieb und holen Sie Tenarak einen Lutscher ... lesen Sie ihr was Schönes vor ... nur machen Sie, dass sie beschäftigt ist!“


Der Empfang der varaillianischen Delegation ist mittlerweile drei Tage her. Heute bekam ich eine offizielle Einladung vom varaillianischen Regierungsrat: Ich soll mich auf ihrer Heimatwelt einfinden und „meinen Nachwuchs mitbringen“.
Letzteres bereitet mir große Bauchschmerzen. Den halben Tag war ich mit Reisevorbereitungen beschäftigt, und die andere Hälfte des Tages mit Zen-Meditation zwecks Besänftigung meines Drangs, alles kaputt zu schlagen.
Verdammt, ich habe doch bereits getan, was ich konnte, um die Varaillianer zu beschwichtigen! Eigentlich bin ich davon ausgegangen, das Tenaraks undiplomatisches Genuckel vergeben und vergessen sei!
Wer weiß, was die Regierung für ein bizarres Entschuldigungs-Ritual von mir verlangt, oder von Tenarak. Sie wissen doch, dass meine Kleine ein unschuldiges Kind ist!
Karon steht plötzlich hinter mir, legt seine Arme um mich, reibt sein leicht stoppeliges Gesicht zärtlich an meinem Hals und streicht mir aufreizend langsam über die Brüste, offensichtlich, um mich aufzuheitern.
„Bist du jetzt überzeugt, dass es besser ist, mich mitzunehmen?“, raunt er mir ins Ohr.
 „Na ja, du bist zu fünfzig Prozent verantwortlich für Tenaraks Existenz, also auch für dieses völkerrechtliche Desaster.“
„Ist das der einzige Grund, weshalb du mich dabei haben willst?“
„Zu zweit haben wir Tenarak besser im Griff. Wer weiß, was sie anstellt!“
„Wenn dir das solche Sorgen macht, gibt es immer noch Janice. Dort wäre sie für ein paar Tage gut aufgehoben.“
„Du schlägst vor, die Kleine hier zu lassen und den Varaillianern eine Ausrede aufzutischen, weshalb wir unseren ‚Nachwuchs’ nicht mitbringen konnten?“ Ich lächle ihn schief an. „Gib´s zu: Du hast nur keine Lust, hinter ihr herzuputzen, wenn sie mal wieder die Wände mit dem Inhalt ihres Nachttopfes bemalt“, necke ich ihn.
„Du weißt, wie sehr ich Tenarak liebe ... aber ihre Fäkalien sind etwas anderes.“
„Ach, und deshalb überlässt du sie mir? Ich weiß noch, als Tenarak gerade geboren war, wolltest du dem armen Kind tatsächlich einen Schlauch in den Hintern schieben, weil du zu faul zum Windeln wechseln warst!“
„Ich wollte dir doch nur die Arbeit erleichtern.“
„Und ich hätte mich scheiden lassen, wenn du das gewagt hättest!“
„Du kannst mir nicht vorwerfen, dass sämtliche Drecksarbeit an dir hängen geblieben wäre! Dieses sogenannte Gemälde hast du nämlich mir überlassen.“
„Weil ich es nicht übers Herz gebracht habe, etwas zu zerstören, das von soviel Talent zeugt. Abgesehen von seinem Geruch war es nämlich sehr hübsch.“
Karon lacht leise. „Ich sollte mal heimlich in deinen frühkindlichen Erinnerungen graben.“
„Damit du weißt, was dir noch bevorsteht? Du wolltest ja unbedingt ein Kind, das nach mir kommt – das hast du nun davon.“
Karon lächelt unergründlich. „Es ist die fleischgewordene Entropie, aber ich weiß, es wird eine faszinierende Frau.“


Sachte schaudernd denke ich an Tenaraks letzten Flug mit einem Linienschiff zurück … Karon hatte ihr telepathisch vorgegaukelt, wir seien von Monstern umzingelt, die sie augenblicklich fangen und verspeisen würden, wenn sie sich mehr als einen halben Meter von uns wegbewegt. Es wirkte tatsächlich: Tenarak war ganz brav und klammerte sich ängstlich an mir fest, so lange, bis Karon vor Erschöpfung eingeschlafen war.
Ehe ich mit der Wimper zucken konnte, war Tenarak auf die Gepäckablage geklettert, krabbelte dort mit Lichtgeschwindigkeit rauf und runter, brachte diverse im Weg liegende Handtaschen zu Fall, landete auf dem Schoß eines Raumflottenoffiziers und pflückte ihm sämtliche Rangabzeichen vom Kragen. Zum Glück nahm er seine „Degradierung“ mit Humor.
Zu derlei Aktivitäten scheint sie heute keine Lust zu haben. Seit sie der Katze meiner Sekretärin begegnet ist, hat sie nämlich eine neue Lieblingsbeschäftigung: „Miez spielen“. Im Klartext: Sie kippt ihr Essen auf den Tisch und leckt es genüsslich auf. Wir haben uns eben bei der Stewardess bedankt, schon verteilt die süße Tenarak ihren Brei auf der Platte.
„Tenarak … Nein!“ fauche ich sie an.
Sie blickt erschrocken auf und blinzelt mit ihren Kulleraugen. Ob sie uns blamiert, ist mir allmählich egal. Aber wer weiß, was in diesem Schiff für Krankheitskeime herumschwirren. Ich muss sie davon abhalten, diesen Brei aufzulecken, egal wie!
„Der Weltraum ist kalt“, beginne ich mit todernster Miene. „Und weißt du, was das heißt? Das Metall saugt die ganze Kälte von draußen auf. Wenn du also den Tisch ableckst, wird deine Zunge festfrieren. Das tut richtig weh, sage ich dir!“
Das Bild sorgt dafür, das Tenarak zurückschreckt. Karon unterstützt mich erfolgreich mit seinen telepathischen Kräften. Schließlich begnügt sich unser hinreißender Nachwuchs damit, ein Werbeprospekt der Fluggesellschaft klein zu rupfen und die Schnipsel an der Tischplatte festzukleben. Nach der Landung auf Varaillia greint sie, weil sie die Platte nicht mitnehmen darf. Sie ist wohl der festen Überzeugung, dass sie da ein besonders gelungenes Kunstwerk fabriziert hat.


Varaillia - keines der Bilder aus dem Datennetz wird der fremdartigen Schönheit dieses Planeten gerecht: leuchtend türkisfarbener Himmel, zartgelber Wüstensand und eine riesige weiße Sonne, die uns gnadenlos das Hirn versengt. Das eigentlich Atemberaubende sind die Kristalle, die überall herumliegen: rote, blaue, grüne, violette … Sie funkeln in der Sonne, dass es eine wahre Pracht ist! Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass intelligente Lebensformen so existieren: Ohne körperliche Kontakte, unfähig, sich fortzubewegen oder die Galaxie zu erforschen.
Puh, die Schwerkraft ist mörderisch, ich würde am liebsten alle Viere von mir strecken und Tenarak geht es genauso: Karon muss sie auf den Arm nehmen und tragen, wobei er fast zusammenbricht. Das lässt er sich in seinem Männlichkeitswahn zwar nicht anmerken, aber ich kenne ihn.
Ein rotarkanischer Verbindungsoffizier geleitet uns zum Premierminister, einem vergleichsweise kleinen, unregelmäßig geformten Varaillianer von einem klaren, leuchtenden Azurblau. Er ist hier der erste, der einen Translator auf dem Rücken trägt. „Willkommen, Botschafterin Elenor O’Leary vom Planeten Erde“, begrüßt er mich. Wir tauschen ein paar Minuten lang Höflichkeitsfloskeln aus, dann fordert der Varaillianer: „Heben Sie mich bitte auf und betten sich mich in Ihre Öffnung zur Kommunikation.“
Karon und ich blicken uns stirnrunzelnd an. Wir haben alles Mögliche erwartet, nur nicht das. Wenn dieser Wunsch nicht ausgerechnet von einem fünf Zentimeter breiten, blauen Kristall käme, würde ich es glatt für eine sexuelle Anspielung halten.
„Aber Ihr Kultusminister war ziemlich verärgert, als mein Kind ihn in den Mund genommen hat.“
Der Translator des Varaillianers blinkt in allen Farben. „Unser Minister war nicht auf die ungezügelten Emotionen Ihres Abkömmlings gefasst. Das brachte seine Energien für einen Moment aus dem Gleichgewicht.“
„Also, dann hat es ihm nicht missfallen?“, begreife ich allmählich.
„Im Gegenteil: Er hat das humanoide Wesen zum ersten Mal in seiner Komplexität erfahren und wurde zu wunderschönen Melodien inspiriert. Ich werde es Ihnen zeigen.“    
Also nehme ich ihn vorsichtig in den Mund.
Es ist unbeschreiblich! Ich fühle, erlebe es mit jeder Faser meines Körpers: sphärische Klänge, explodierende Farben, Bilder des Universums, wie es nur ein Varaillianer sehen kann. Gedanken, für die ich keine Worte finde.
„Man muss keine Raumschiffe bauen, um den Kosmos zu erforschen“, begreife ich. „Es gibt auch eine andere Art der Reise.“
„Nur Ihre innere Welt war uns bisher verschlossen“, erwidert der Varailianer. „Wir brauchten Translatoren und binäre Signale, um uns mit organischen Wesen zu verständigen. Aber Sie haben ein Geschöpf von besonderer Weisheit produziert, Elenor O’Leary, und nun ist eine neue Ära hereingebrochen.“
Also, jetzt muss ich doch herzhaft lachen! Der Varaillianer fällt aus meinem Mund und ich fange ihn gerade noch rechtzeitig auf.
„Tenarak ist ein Baby! Alles, was ihr gefällt, muss sie anfassen und ablutschen. Das nennt man orale Phase. Darin liegt keine Weisheit, glauben Sie mir.“
Karon lächelt mir verschwörerisch zu. Plötzlich wird mir alles klar: Die Varaillianer verständigen sich durch elektromagnetische Felder, und elektrische Energie wird durch Feuchtigkeit weitergeleitet. Indem ich also einen Varaillianer in den Mund nehme, werden seine Gedankenmuster direkt in mein Gehirn übertragen – und umgekehrt.
Tenarak döst in Karons Armen und er streichelt sie andächtig.
„Vielleicht ist sie tatsächlich ein Geschöpf von besonderer Weisheit“, überlege ich.
„Möglicherweise ist sie für euch Menschen die Eintrittskarte in die Allianz“, meint mein Mann leichthin.

(C) 2009/2010 by Adriana W.

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\"Metamorphose\" hab ich noch mal leicht überarbeitet. Vor allem den Schluss, der war z.T. etwas unklar.
Ausgebaut hab ich\'s allerdings nicht - das hebe ich mir für einen Roman auf ;).
"Ich habe diese Geschichte nur gepflanzt, aber sie wächst, wie sie will, und alle verlangen, dass ich voraussehe, welche Blüten sie treiben wird." (Cornelia Funke: Tintentod)


Alexander_Maclean

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Lairis\' Kurzgeschichten
« Antwort #7 am: 15.05.10, 19:20 »
Klingt ziemlich faszinierend.

und wie immer sehr lustig. Die humorvolle Schiene hast du voll drauf, ohne dass es comic relief wird.
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