So, das letzte Drittel beginnt!
Die folgende Geschichte, sowie die darin auftretenden Figuren und Ereignisse sind vollkommen fiktiv und geistiges Eigentum von Kai Brauns. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit vorhergehender Genehmigung des Autors.RAUMSCHIFF CAWDOR
von Kai Brauns
Episode VII: The Eye of Childhood
Lieutenant Commander Laurent Emanuele saß in der Kantine und saugte an an seinem Trinkfläschchen. Kurz blickte er auf, als sich Commander Beth auf den Sessel gegenübersetzte und festschnallte. „Guten Morgen, Commander,“ begrüßte er seinen Vorgesetzten.
„Guten Morgen,“ erwiderte Beth. „Gut geschlafen?!“
„Mehr oder weniger,“ antwortete der taktische Offizier. „Darf ich offen sprechen, Sir?“
Beth, der gerade dabei war, ein Tablett mit Trinkfläschchen und einer Tube Nahrungscreme aus dem Replikator in der Wand zu ziehen, blickte den anderen Mann überrascht an. „Ich ziehe ein offenes Wort einem betretenen Schweigen vor, Commander,“ sagte er schließlich. „Sprechen Sie!“
„Ich mache mir Sorgen um den Captain, Sir!“ Emanuele stellte sein Trinkfläschchen auf die Magnetfläche seines Tabletts und atmete tief durch. „Er leidet offensichtlich an Depressionen.“
„Sie befürchten, dass sein Urteilsvermögen beeinträchtigt sein könnte?!“
„Es geht mir nicht um sein Urteilsvermögen, Sir,“ stellte er klar. „Ich diene Captain Donalbain jetzt seit zwei Jahren als taktischer Offizier, und ich habe selten einen so aufrechten und ehrenvollen Mann erlebt. Sein derzeitiger Zustand macht mich betroffen.“
Beth nickte. „Ich danke Ihnen, Commander, für ihre Aufmerksamkeit. Und ich möchte Ihnen versichern, dass ich mich der Sache annehmen werde.“ Er machte eine kurze Pause. „Vor einigen Monaten hat mir jemand, der angeblich die Zukunft voraussagen konnte, prophezeit, ich würde bald Captain werden, und das mir die Umstände nicht gefallen würden. Vielleicht ist es jetzt soweit.“
„Commander,“ sagte Emanuele mit ernstem Ton. „Es sollte unser Bemühen sein, dem Captain zu helfen, und nicht ihm zu schaden.“
„Wie darf ich das verstehen, Commander Emanuele?“
„Nun, Sie haben einen gewissen Ruf, Sir. Es gibt Gerüchte über ihre Zeit auf der NIPPON während der Tau-Ceti-Blockade.“
Beth starrte den Offizier tief getroffen an. „Lieutenant Commander Emanuele, was auf der NIPPON geschehen ist, hat keine Relevanz. Und ich rate Ihnen und allen anderen Besatzungsmitgliedern dringend davon ab, derlei Gerüchte weiterzuverfolgen.“ Er schnallte sich los und stieß sich von seinem Sessel ab. „Mir ist der Appetit vergangen!“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ die Kantine.
Emanuele blickte ihm noch eine Weile hinterher. „Soviel zu offenen Worten,“ murmelte er zu sich selbst.
Donalbain kam gerade von seiner Trainingseinheit zurück auf die Brücke, als Lieutenant Matheson ihn ansprach: „Captain, wir erhalten gerade einen Funkspruch von der SHIVA, Prioritätsstufe Alpha.“
Prioritätsstufe Alpha. Höchste Dringlichkeitsstufe und hohe Sicherheitseinstufung. „Ich nehme die Nachricht in meinem Raum entgegen,“ sagte Donalbain knapp und bewegte sich zur Tür. Nachdem diese sich hinter ihm schloss, gab er per Telepathen sein Identifikationssignal und sah vor seinem inneren Auge das Bild von Admiral Refa auftauchen. „Ah, Captain! Ich habe einen wichtigen Auftrag für Sie,“ sagte der Admiral ohne Begrüßungsfloskel. „Wir haben von einigen Agenten die Nachricht erhalten, dass sich in der Stadt Kalarp auf dem südlichen Herma-Kontinent ein größerer Stützpunkt der Rebellen befindet.“ Einen Moment ließ er diese Worte wirken.
Donalbain überdachte diese Information kurz. Kalarp war die Hauptstadt des Herma-Mohn-Bezirks, irgendwas zwischen zwei und drei Millionen Einwohnern. Bisher war die Stadt von Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen und den Truppen von Philion und Space Force ziemlich unbetroffen gewesen, wie der Herma-Mohn-Bezirk überhaupt. „Die Rebellen haben sich einen Stützpunkt weit von irgendwelchen Brennpunkten entfernt ausgesucht.“
„Eine interessante Taktik,“ kommentierte der Admiral. „Wenn das STI unsere Aufklärung nicht unterstützt hätte, würden wir wohl noch Jahre danach suchen.“ Er beugte sich vor. „Wir haben kein Lager, Donalbain, dass nahe genug wäre. Auch kein Schiff, dass sich in Gefechtsreichweite des Herma-Mohn-Bezirks liegt.“
„Außer uns,“ bemerkte Donalbain. „Außer der CAWDOR. Aber wir haben kaum Soldaten an Bord, und unsere Jäger sind für Atmosphärenflug nicht ausgerüstet.“
„Sie sollen auch nicht mit Bodentruppen oder ROCKS angreifen, Captain,“ erwiderte Refa. „Wir haben vor wenigen Minuten die Genehmigung des kaiserlichen Palastes bekommen, Kalarp mit Ihren Bordgeschützen anzugreifen.“
Donalbain wollte seinen Ohren nicht trauen. „Admiral, mit unseren Waffen, unserer Zielvorrichtung können wir niemals verhindern, dass die Zivilbevölkerung zu erheblichen Schäden kommt. Meiner Einschätzung nach würde bereits ein Schuss mit unseren Plasmawaffen die gesamte Innenstadt von Kalarp vernichten.“
„Und genau das werden Sie tun, Captain!“
„In Kalarp leben fast drei Millionen Zivilisten, Admiral! Ein Angriff würde mindestens die Hälfte von ihnen töten.“
Der Admiral nickte. „Wir sind im Krieg, Captain! Und ein Krieg fordert Opfer.“
Donalbain starrte einen Moment vor sich hin. Hatte er eben tatsächlich den Befehl bekommen, Millionen von Unschuldigen zu opfern, um ein paar Hundert Rebellen zu töten? War die Space Force wirklich soweit gekommen? „Es tut mir Leid, Admiral,“ sagte er schließlich, „aber ich muss diesen Befehl verweigern. Das Opfern von Millionen unschuldiger Zivilisten kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“
Refa blickte ihn eindringlich an. Donalbain kam es nicht vor, als wäre die Überraschung des Admirals nur geheuchelt. „Sind Sie sich über die Folgen Ihrer Befehlsverweigerung bewusst? Eine Befehlsverweigerung zu Kriegszeiten bringt Sie direkt vor’s Kriegsgericht!“
Donalbain schluckte. „Ich bin mir über die Konsequenzen im Klaren, Admiral, aber Ihr Befehl lässt mir keine andere Wahl.“
Refa zögerte einen Moment. Ihm wurde klar, dass sich der Captain durch Einschüchterung nicht zum Einlenken bewegen lassen würde. „Dann muss ich Sie hiermit von Ihrem Kommando entheben, Captain. Ich werde umgehend Ihren Stellvertreter instruieren und Sie vom Sicherheitsdienst zum Arrest in Ihr Quartier bringen lassen.“
Donalbain nickte. „Ich verstehe, Sir!“
„SHIVA, Ende,“ sagte der Admiral und unterbrach die Verbindung.
Donalbain starrte eine Weile vor sich hin. Dann informierte er Matheson, dass er eine Verbindung zum Regierungskonsul von Kalarp wünschte.
Commander Beth saß in seinem Quartier und versuchte zu entspannen. Über Telepathen hörte er eine Blues-Melodie und schloss die Augen. Seit seinem Gespräch mit Lieutenant Commander Emanuele am Morgen beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Nun versuchte er, in der langsamen Saxophon-Musik Entspannung und Zerstreuung zu finden. Dieser Versuch wurde jäh unterbrochen, als er ein Prioritätssignal über Telepathen erhielt. Beth seufzte genervt und gab widerwillig sein Identifikationssignal. Augenblicklich erschien das Bild von Admiral Refa in seinem Kopf.
„Commander, dies ist ein dringender Notfall,“ begann Refa. „Captain Donalbain hat gerade eben einen Befehl der Priorität Alpha verweigert. Ich habe ihn daraufhin mit sofortiger Wirkung seines Kommandos enthoben. Sie, Commander, werden ab sofort das Kommando über die CAWDOR führen. Eine entsprechende Beförderung zum Captain folgt in wenigen Stunden. Vorher möchte ich jedoch, dass Sie gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst Captain Donalbain in sein Quartier bringen, wo er unter Arrest bleibt, bis ein Abtransport möglich ist.“
Beth starrte in die Leere, in der er das Gesicht des Admirals sah. Ein mulmiges Déjà-vu-Gefühl setzte ein. Schnell fing er sich jedoch wieder, nahm innerlich Haltung an und antwortete: „Verstanden, Admiral! Ich werde mich umgehend darum kümmern.“
„Captain, ich darf leider keine Befehle mehr von Ihnen entgegennehmen,“ sagte Lieutenant Matheson bedauernd.
Donalbain atmete tief durch. „Lieutenant, ich weiß, dass mir das Kommando entzogen wurde, aber wenn ich nicht umgehend Kontakt mit Kalarp aufnehmen kann, werden Millionen unschuldiger Zivilisten sterben.“
Matheson schwieg, offenbar schockiert. Nach einigen Augenblicken meldete er schließlich: „Verbindung zum Konsul von Kalarp steht, Sir!“
Erleichtert atmete Donalbain auf. In seinem Kopf erschien das Bild eines massigen Golluer, der in einer Art Poncho gekleidet war. Sein Signal wies ihn als Stadtführer Mopar aus. Seine Augenfarbe wechselte mehrmals, und der Telepath übersetzte diese Kommunikationsform für Donalbain: „Was kann ich für Sie tun, Captain?!“
„Stadtführer, Sie müssen Kalarp umgehend evakuieren lassen! Ich musste eben den Befehl verweigern, das Feuer auf Ihre Stadt zu eröffnen, um ein paar hundert Rebellen zu töten.“
Der Stadtführer war offensichtlich entsetzt. „Vielen Dank für die Warnung, Captain! Ich werde sofort alles in die Wege leiten, um die Golluer aus der Stadt zu bringen.“
Die Verbindung wurde unterbrochen. Donalbain fuhr mit der Hand über sein Gesicht. Was nun?! Sollte er seinen Arrest einfach hinnehmen? Das zu erwartende Kriegsgericht? Wenn rauskam, dass er nicht nur seinen Befehl verweigert, sondern auch Informationen von hoher Sicherheitseinstufung nach außen gegeben hatte, würde es garantiert nicht mit einer unehrenhaften Entlassung getan sein. Da konnte er auch nicht mehr auf seinen Helden-Bonus setzen. Außerdem würde der Krieg weitergehen. Und wenn die Dinge sich weiterhin so entwickelten, wie bisher würden noch viele unschuldige Zivilisten geopfert werden. Dagegen musste er etwas tun. Kurz darauf kontaktierte er die Person an Bord, der er am meisten vertraute.
Commander Beth traf im Korridor vor der Brücke auf Lieutenant Commander Emanuele und drei weitere bewaffnete Sicherheitsleute. Die Ensigns Grayson, Dupuis und Koch sahen den ersten Offizier ebenso nervös an, wie der taktische Offizier. Wie es Routine war, trugen alle vier Magnetstiefel, um im Fall der Fälle besser kämpfen zu können. „Was geht hier vor, Commander?“ verlangte Emanuele zu erfahren.
„Es ist passiert, was wir befürchtet haben,“ erwiderte Beth. „Der Captain hat eine Alpha-Order verweigert. Admiral Refa hat ihm das Kommando entzogen. Wir sollen Donalbain zum Arrest in sein Quartier bringen.“
Emanuele schwieg, doch sein Blick zeigte sein Misstrauen.
Die Ensigns zeigten vor allem Unsicherheit. Beth wusste, wie ihnen zumute war. Vor wenigen Jahren hatte er eine ähnliche Situation meistern müssen.
Die Tür zu Brücke schob sich zur Seite und Beth führte den Sicherheitstrupp hindurch. Die Brückenbesatzung war erwartungsgemäß völlig überrascht, nur Matheson hatte wissend wirkende Sorgenfalten auf der Stirn. Unbeirrt steuerte Beth die Tür zu Donalbains Bereitschaftsraum an. Hinter ihm murmelten die Besatzungsmitglieder aufgeregt durcheinander.
Donalbain saß in seinem Sessel hinter dem Schreibtisch. Er hatte Beth und den Trupp offensichtlich schon erwartet. Seine Hände lagen mit den Innenflächen nach unten auf dem Tisch. Seine Augen fixierten sich sofort auf den ersten Offizier.
„Captain Donalbain,“ begann Beth in sachlichem, bestimmtem Ton. „Wegen Verweigerung eines Befehls von Alpha-Priorität stelle ich Sie hiermit unter Arrest. Wir begleiten Sie zu Ihrem Quartier, wo sie bleiben werden, bis Ihr Abtransport möglich …“
„Wissen Sie,“ unterbrach Donalbain den jüngeren Mann mit ruhiger Stimme, „was die Alpha-Order verlangte?“
Beth seufzte ungehalten. „Der Inhalt der Alpha-Order ist irrelevant. Wir sind im Kriegszustand und müssen Befehle ausführen, auch wenn sich uns der Sinn dahinter nicht erschließt.“
„Drei Millionen Zivilisten zu töten, weil sich ein paar hundert Rebellen darunter befinden? Das ist irrelevant? Commander, ich habe sehr gut verstanden, was für ein Sinn sich hinter dieser Order verbirgt.“ Donalbain schnallte sich los und stieß sich sachte von seinem Sessel ab. „Wir haben uns in einen Bürgerkrieg eingemischt, der uns nichts anging. Wir haben uns hoffnungslos selbst überschätzt und greifen deshalb zu Mitteln, die massiv gegen die Richtlinien der Vereinten Planeten verstoßen. Und, Commander, mein Gewissen verbietet es mir, unschuldige Zivilisten zu opfern, nur um ein paar Aufständische zu erwischen.“
Beth schluckte. Einerseits konnte er Donalbains Standpunkt verstehen. Doch andererseits … „Wir sind im Krieg, Captain! Und wer sich nicht darüber im Klaren ist, dass ein Krieg Opfer verlangt, der hat weder in einer Kommandostellung noch in der Space Force etwas verloren.“
Plötzlich spürte er, wie sich der Lauf einer Plasma-Pistole gegen seine rechte Schläfe drückte. Emanuele! Beth blickte auf den taktischen Offizier, der seine Waffe auf den neuen Kommandanten der CAWDOR richtete.
„Emanuele, ich hoffe, Sie haben eine gute Erklärung für dieses Verhalten,“ sagte Beth gereizt.
„Die habe ich, Sir,“ erwiderte Emanuele. „Der Captain hat eine richtige Entscheidung getroffen, und ich werde nicht zulassen, dass er für das Beschützen von unschuldigen Zivilisten bestraft wird.“
„Lieutenant Commander Emanuele, Ihre Loyalität gegenüber dem Captain ist in diesem Falle höchst deplatziert! Weder Sie noch der Captain können die Gefahr, die von den Rebellen ausgeht, richtig einschätzen. Dies können nur jene, die alle Informationen vorliegen haben, und dies sind unsere Vorgesetzten. Als der Captain den Befehl verweigert hat, hat er den Kriegsverlauf zu unserem Schaden geändert, was höchst fahrlässig war. Deshalb muss er unter Arrest und vor ein Kriegsgericht gestellt werden.“
„Das ist doch alles nur Gerede,“ entgegnete Emanuele. „Fakt ist, der Captain hat mit seiner Befehlsverweigerung die Opferung von Millionen von Zivilisten verhindert, und sagen Sie nicht, das sei nicht gerechtfertigt. Es wird genauso gehandelt, wie einst bei der Schlacht von Orion 7. Ein schneller Sieg mit wenigen Verlusten von Soldatenleben wird mit der Opferung von unzähligen Zivilisten erkauft. Und das ist nicht zu rechtfertigen.“
„Schluss damit,“ warf Donalbain ein. „Unsere Standpunkte sind klar, die Gegensätze offensichtlich unüberbrückbar.“ Der Captain sah auf die drei Ensigns, die bisher ziemlich unsicher im Hintergrund standen. „Entscheidend ist, welchen Standpunkt Sie wählen.“
Betroffenes Schweigen herrschte, bis sich Ensign Grayson schließlich räusperte. „Ich habe immer daran geglaubt, dass ein guter Soldat nicht dazu da ist, um so viele Feinde wie möglich zu töten, sondern um so viele Leben wie möglich zu retten.“ Er sah zu seinen Kameraden. „Wenn ihr mich fragt, hat der Captain nichts Unrechtes getan.“
„Und wie viele Leben werden verloren, wenn die Rebellen den Krieg gewinnen?“ entgegnete Ensign Koch.
„Das ist reine Spekulation, Koch,“ warf Dupuis ein. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Rebellen den Krieg tatsächlich gewinnen, ist minimal.“
„Das können wir nicht entscheiden,“ entgegnete Koch.
„Aber die Vereinten Planeten, und die haben festgelegt, dass die Zahl ziviler Opfer auch im Krieg so minimal wie möglich zu halten sind.“
„Was genau haben Sie eigentlich vor?“ fragte Beth. „Sie mögen ja anderer Meinung sein, als Ihre Vorgesetzten, aber was für Konsequenzen ziehen Sie daraus?“
Koch nickte. „Er hat Recht, Dupuis. Ihr würdet alle wegen Befehlsverweigerung angeklagt werden, möglicherweise noch als Komplizen des Captains und Emanuele.“
„Ich mache euch einen Vorschlag.“ Beth blickte Dupuis und Grayson eindringlich an. „Bisher habt ihr noch nichts Gravierendes verbrochen. Wenn ihr euren Widerstand jetzt aufgebt, dann vergesse ich die ganze Angelegenheit und keiner von euch kommt vor’s Kriegsgericht.“ Er blickte zu Emanuele, welcher immer noch mit seiner Waffe auf ihn zielte. „Dieses Angebot gilt auch für Sie, Lieutenant Commander. Sie können entweder wegen bewaffneten Angriff auf einen Vorgesetzten lebenslang eingesperrt werden, oder sie lassen die Waffe sinken und helfen mir, den Captain in Gewahrsam zu nehmen.“
„Ich habe noch einen weiteren Vorschlag,“ warf Donalbain ein. „Sie kommen mit mir auf den Planeten runter und versuchen, Kontakt mit der Öffentlichkeit aufzunehmen.“
Beth starrte den Captain ungläubig an. „Sie können nicht so einfach auf den Planeten runter. Sie hätten ja schon Probleme, von diesem Deck runterzukommen.“
Donalbain lächelte wissend. „Ich habe vorgesorgt, Commander. Ein Shuttle steht mir zur Verfügung, wir müssten nur zum Hangar runter.“
Das saß! Einen Moment herrschte Schweigen, diese neue Information musste Beth erstmal verarbeiten. Emanuele hatte sich als Verräter herausgestellt, zwei der drei Ensigns schienen sich ebenfalls auf die Seite von Donalbain ziehen zu lassen, und wenn Donalbain tatsächlich bereits für Unterstützung außerhalb dieses Raumes gesorgt hatte, so schien die Gefahr eines verlustreichen, andererseits jedoch Fluchtversuchs recht groß. Bevor Beth irgendetwas zu Gunsten seines Standpunkts sagen konnte, ergriff Grayson das Wort: „Ich komme mit, Captain!“ Der Ensign blickte seinen Kameraden Dupuis an. Dieser nickte zustimmend.
Donalbain zeigte mit einem eigenen Kopfnicken in die Richtung der beiden Ensigns, dass er sich ihrer Position bewusst war, wandte sich danach zu Emanuele und sagte: „Lieutenant, ich denke, wir wären soweit.“
Dupuis und Grayson richteten ihre Waffen auf Koch, Emanuele zielte weiterhin auf Beth. Donalbain bewegte sich um den Schreibtisch herum und gemeinsam mit Emanuele, Dupuis und Grayson bewegten sie sich auf die Tür zu. Diese öffnete sich und ließ die vier Männer hinaus auf die Brücke. Nachdem die Tür sich geschlossen hatte zielte Emanuele auf die Schalttafel daneben und sorgte mit einem schwachen Schuss dafür, dass Beth ihnen nicht so bald in die Quere kommen konnte. Donalbain wandte sich an die inzwischen völlig verwirrte Brückenbesatzung. „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Admiral Refa mich meines Kommandos enthoben hat, nachdem ich seinen Befehl, eine Millionenstadt aus dem Weltraum aus zu beschießen und somit Millionen von Opfern in Kauf zu nehmen, verweigert habe. Ich gedenke jedoch nicht, mich deswegen vor ein Kriegsgericht stellen zu lassen, welches sich momentan wohl lediglich aus Hardlinern am Rande des Fanatismus zusammenstellen würde. Lieutenant Commander Emanuele und die Ensigns Dupuis und Grayson haben sich mir angeschlossen, gemeinsam werden wir auf den Planeten fliehen. Wer sich uns anschließen möchte, ist willkommen. Wer uns aufhalten will, wird mit Gegenwehr rechnen müssen.“ Erwartungsvoll blickte er in die Gesichter der Besatzungsmitglieder.
Lieutenant Matheson schnallte sich als erster von seinem Sessel. „Ich komme mit Ihnen, Captain!“ Er gesellte sich zu der Gruppe hinzu, wandte sich dann erwartungsvoll an Lieutenant Kaneko. „Was ist mit dir, Shinji?“
Der Steuermann der CAWDOR atmete tief durch, wandte schließlich seinen Blick ab. „Ich kann nicht.“
Donalbain nickte. Er wandte sich an seine Leute: „Gehen wir!“ Gemeinsam machten sich die Befehlsverweigerer von der Brücke.
Beth blickte Koch an. „Welche Ihrer Kameraden beurteilen Sie als unbedenklich?“
Der junge Sicherheitsmann dachte einen Moment nach. „Marsh, McCormick,“ begann er aufzuzählen, während er gedanklich noch nach weiteren Kandidaten suchte. „Broflovski, Stotch, Williams ...“
„In Ordnung, kontaktieren Sie sie und geben Sie ihnen Anweisung, Donalbain und die anderen aufzuhalten.“
„Aye, Sir,“ bestätigte Koch. Doch als er den Telepathen benutzen wollte, wurde er herb enttäuscht. „Mein Telepath scheint nicht zu funktionieren, Sir.“
Beth versuchte es mit seinem, doch auch sein Telepath reagierte nicht. „Verdammt!“
„In Ordnung, Beth wird sicher bald das ganze Sicherheitsteam auf uns angesetzt haben,“ meinte Emanuele, als sich die Gruppe auf den Lift zu bewegte.
„Nein, Sir, dass kann er nicht,“ entgegnete Matheson. „Ich habe die Telepathen von Commander Beth und Ensign Koch, sowie die Kommunikationswege der Brücke deaktiviert.“
„Und da wir schon bis zum Treffen mit Beth nicht wussten, dass Sie Ihres Postens enthoben wurden,“ bemerkte Dupuis, „wird wohl der Rest des Schiffes keine Ahnung haben.“
„Großartig,“ sagte Donalbain. „Dann wird es wenigstens keine Konfrontation mehr geben.“
Koch brachte die Sprengladung in der Mitte der Tür an. „In Deckung, Sir!“
Kurz darauf wurde die Tür aufgesprengt, der Weg zur Brücke war frei. Beth stürmte hinaus. „Haben Sie Kontakt zum Rest des Schiffes?“ fragte er in die Runde.
„Nein, Sir,“ meldete Kaneko. „Matheson hat sich dem Captain angeschlossen und offenbar den Nachrichtenverkehr behindert.“
Beth schnaufte frustriert. „Sie wollen mit einem Shuttle zum Planeten runter. Koch, suchen Sie jemanden, dessen Telepath funktioniert, und sorgen Sie dafür, dass sich Lieutenant Brandhorst und seine Leute bereit machen!“
„Aye, Sir,“ bestätigte Koch und machte sich auf den Weg.
Nach fünfzehn Minuten hatten Donalbain und seine Leute das Hangar erreicht. Commander Kathy Troy und einige ihrer Leute warteten bereits. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann, Kathy,“ sagte Donalbain anstelle einer Begrüßung.
„Immer,“ erwiderte die Chefingenieurin. „Ich hoffe, der Befehl war wirklich so haarsträubend, sonst kannst du was erleben.“ Ihr Blick fiel auf Emanuele, Matheson und die beiden Ensigns. „Du hast dir tatsächlich noch Verstärkung geholt.“
„Ich habe eben gute Leute in meiner Crew.“
„Ich auch! Die Jungs und Mädels hier wollen uns ebenfalls begleiten.“
„Solange im Shuttle genug Platz ist, ist mir jeder willkommen.“ Er hob seine Stimme: „Und jetzt alle Mann an Bord! Wir wollen so schnell wie möglich auf dem Planeten sein.“
Das Shuttle war nur wenige hundert Kilometer weit gekommen, als die Jäger starteten. „In Ordnung, wir wollen die Leute möglichst lebend an Bord holen,“ sagte Brandhorst an seine Untergebenen. „Zielt also möglichst auf den Antrieb und die Waffensysteme, aber nicht auf die Energieversorgung!“ Er wusste, das war viel verlangt, denn die Energiebatterien des Shuttles lagen ziemlich nah am Antrieb.
„Wir bekommen Gesellschaft,“ bemerkte Emanuele, welcher auf dem Co-Pilotensitz saß. „Die Alpha-Staffel, Brandhorsts Leute.“
„Verdammt, wir wollen keinen Kampf,“ meinte Donalbain. „Matheson, können Sie Kontakt mit den Jägern herstellen?“
„Aye, Sir! Meine Vertretung wird sowieso nicht in der Lage sein, das Signal zu stören, die werden immer noch den Schaden, den ich verursacht habe, beheben müssen.“ Der Kommunkationsexperte drückte einige Knöpfe. „Verbindung steht, Captain!“
Brandhorst behielt die Sensoren im Auge. „In Ordnung, wir sind in wenigen Sekunden in Schu...“ Weiter kam er nicht, denn ein Telepathenruf unterbrach ihn.
„Hier spricht Malcolm Donalbain, ehemaliger Kommandant der CAWDOR. Ich wurde meines Postens enthoben, weil ich einen Befehl verweigerte. Dieser Befehl sah vor, dass die CAWDOR eine Stadt mit knapp 3 Millionen Zivilisten vom Weltraum aus angreifen sollte, um einige hundert Rebellen unschädlich zu machen. Wenn Sie der Ansicht sind, dass dieser Befehl rechtens war, so setzen Sie Ihre Verfolgung unseres Shuttles fort. Sind Sie anderer Meinung, so wägen Sie gut ab, was Sie nun tun. Helfer sind uns willkommen, aber Sie sollten sich der Folgen Ihres Handelns bewusst sein.“
Brandhorst stockte der Atem. War das wahr? Er konnte es kaum glauben. Andererseits war der Captain in letzter Zeit stets in depressiver Stimmung. Wenn Martin Beth ihm die Wahrheit erzählt hatte, litt der Captain geradezu unter Paranoia. Er fasste den Entschluss, sich an seine Befehle zu halten. Er vertraute Martin. Und für den Fall, dass Donalbain doch recht haben sollte, so war es wenigstens nicht sein Fehler. „An alle Jäger, hört nicht auf Donalbain! Wir fahren fort wie befohlen.“
„Negativ, Sir,“ antwortete einer der Piloten. Alpha-8, Klaus Thorstein. „Donalbain ist seinem Gewissen gefolgt, ich hätte an seiner Stelle ebenso gehandelt.“
„Sie haben Ihre Befehle, Thorstein!“
„Dann werde ich eben jetzt so handeln, wie Donalbain; ich verweigere die Befehle!“
„Ich ebenso,“ meldete sich ein weiterer Pilot, kurz darauf ein weiterer. Alpha-4, -12.
Bald musste Brandhorst feststellen, dass gut ein Drittel seiner Piloten die Seiten gewechselt hatten, drei weitere Piloten hatten angekündigt, passiv zu bleiben. „Es reicht,“ schrie er regelrecht über Telepathen. „Feuer frei!“
Nun entbrannte der Kampf.
„Was zum Teufel ist da los?“ Commander Beth starrte durch die Sensorenanzeige. Die Alpha-Staffel beschoss sich gegenseitig.
„Sir,“ meldete Ensign Robertson. „Telepathenfunk wieder voll einsatzbereit!“ Der kurzfristig zum neuen Kommunikationsoffizier beförderte Ensign überreichte Beth einen neuen Telepathen.
„Verbinden Sie mich mit Brandhorst!“ Kurz darauf hörte Beth Brandhorsts Stimme in seinem Kopf, der Pilot schien ziemlich beschäftigt zu sein. „Thomas, verdammt, was ist da draußen los?“
„Donalbain hat eine kleine Rede gehalten,“ erwiderte Brandhorst. „Daraufhin ist ein gutes Drittel meiner Staffel auf seine Seite gewechselt.“
„Thomas, er darf uns nicht entkommen!“
„Wir tun, was wir können, aber das Shuttle entfernt sich immer weiter. Und das kann auch noch schießen!“
Beth verkrampfte seine Finger im Geländer der Brücke. Ensign Huang, welche die taktische Konsole bediente, fragte er: „Können wir von hieraus irgendwas tun?“
Die Chinesin schüttelte den Kopf. „Negativ, Sir! Die Jäger sind zu klein, und das Shuttle ist zu weit entfernt für unsere leichten Geschütze.“
Der neue Kommandant schloss die Augen. Über Telepath suchte er erneut Kontakt zu Brandhorst: „Thomas, wie ist der Stand?“
Keine Antwort.
Beth blickte auf die Sensorenanzeige. Alpha-1 wurde nicht mehr angezeigt. Er blickte zu Huang hinüber. Ihr Blick bestätigte seine Befürchtung.
„Sir, Alpha-1 wurde durch einen Treffer des Shuttles zerstört.“
Beth drehte sich zum großen Sichtfenster und starrte in die Leere. Thomas. Er war nicht mehr da draußen. „Machen Sie die großen Geschütze feuerbereit!“
„Sir,“ stieß die junge Frau an der taktischen Konsole entsetzt aus. „Ein Treffer würde das Shuttle vernichten.“
„Er darf nicht entkommen,“ sagte Beth gepresst.
Huang zögerte, um nach wenigen Augenblicken die taktische Konsole zu verlassen. „Nein, Sir!“
Beth starrte sie an, sein wutentbranntes Gesicht jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Nein?! Sie verweigern einen direkten Befehl?“
„Das auf dem Shuttle ist immer noch der Captain,“ versuchte Huang sich zu rechtfertigen.
„IST ER NICHT!“ schrie Beth sie an. „Donalbain hat eine Alpha-Order missachtet, die Space-Force verraten, mehrere Offiziere zur offenen Meuterei angestiftet und gerade eben einen seiner eigenen Offiziere getötet! Das ist nicht mehr Ihr Captain! Das ist ein Verräter! Ein Mörder! Und wenn Sie sich nicht in fünf Minuten auf dem Weg zum Kriegsgericht befinden wollen, dann kehren Sie auf Ihren Posten zurück und feuern auf dieses verdammte Shuttle!“
Die Ensign schluckte, zwang sich an die Konsole zurück und warf einen Blick auf die Sensoren. „Das Shuttle ist in die Atmospäre eingetreten. Eine klare Anzeige ist nicht mehr möglich, Sir!“ Sie hob den Blick und sah zu Beth. Mit geradezu ängstlicher Stimme sagte sie: „Tut mir Leid. Wir können sie nicht mehr erwischen.“
Beth wandte sich wieder dem Sichtfenster zu und starrte zum nahen Planeten hinunter.
Doch damit war es noch nicht vorbei. Donalbain hatte nicht nur eine Alpha-Order verweigert, sondern Mitglieder der Besatzung in Gefahr gebracht. Das Leben der Leute, die er hatte verführen können war besiegelt. Mehrere Piloten waren tot. Und Thomas Brandhorst. Der junge Lieutenant, der zu Beths bestem Freund an Bord geworden war. Der junge Hitzkopf, der nur dem Wohl der Galaxis dienen wollte, die er so häufig nicht verstand.
Nein, damit war es noch nicht vorbei. Beth wusste, er würde Beth jagen. Er würde ihn kriegen. Und er würde ihn zur Verantwortung ziehen.
Und nächste Woche: \"The air-drawn Dagger\"