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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen

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Max:

--- Zitat von: SSJKamui am 02.09.12, 16:01 ---1. Die klassische Utopie birgt die Gefahr, sich nur auf den Staat zu konzentrieren und das Individuum zu vernachlässigen. Die meisten klassischen Bücher beschreiben auch hauptsächlich den Staat und die Charaktere sind nur Erzähler, die über den Staat erzählen.
--- Ende Zitat ---
Das stimmt. Wenn die utopische Gesellschaft allerdings originell genug ist, dürfte sie durchaus zu faszinieren wissen. Und die "frühere", klassische Utopie wurde ja auch häufig (nicht nur als Sozialkritik, sondern auch) als eine, nun, "Reiseliteratur" gelesen; denn der utopische Staat war ja auch etwas fremdes, unbekanntes - wie so manches ferne Land. Für unsere Welt nehmen halt jetzt gerne schon mal andere Planeten diese Rolle ein, weil es das unentdeckte oder zumindest abgeschiede Eiland nicht mehr so recht gibt.
Heutzutage würde ich aber schon sagen, dass man eine Utopie gut auch mit Einzelfiguren verbinden kann. Der "Neuling" der die neuen Zustände entdeckt bietet sich hier natürlich am meisten an.


--- Zitat von: SSJKamui am 02.09.12, 16:01 ---4. Die Idee "Utopie = alles Hell, heiter Sonnenschein". Dies ist wirklich die härteste Nuss.

--- Ende Zitat ---
Nun gut, es stimmt schon, dass man dann ein Problem bekommt, wenn man für die Geschichte das Große in den Blick nimmt. Auf der anderen Seite gibt es aber Themen, die auch oder gerade im nicht belasteten Umfeld besonders zu wirken beginnen.
Es ist zum Beispiel ein Unterschied, eine Liebe während eines sicheren Friedens oder eines brutalen Krieges zu zeigen. Das soll jetzt wertfrei verstanden werden, denn weder das eine noch das andere Konzept ist von Haus aus besser bzw. schlechter. Es ist schlicht eine andere Perspektive, die andere Möglichkeiten bietet.

Für die Utopie gibt es eigentlich doch auch zwei Ansatzmöglichkeiten (sicherlich auch noch mehr):
Der Blick aufs Globale - hier wird die Gesellschaftsform gezeigt und sie zu erklären ist das eigentliche Motiv.
Der Blick aufs Kleine - hier stünden wohl die Figuren und ihre eigenen Themen im VOrdergrund. So wie Du auch schon geschrieben hast, ist das Leben in einer rundum tollen Gesellschaftsform nicht gleichbedeutend mit einem sorgenfreien individuellen Leben. Mit einer dunklen Seite der Utopie muss man das aber nicht umbedingt in Verbindung bringen.

Um diese beiden Absätze mal in ein (weiteres) Beispiel zu gießen: Wenn man keine Leistung mehr erbringen muss, um Nahrung, Unterkunft und alles weitere zu erhalten, wenn das Umfeld und das politische System dem Individuum keine eigentlichen Herausforderungen für die Lebensgestaltung stellt, tja, dann wird der Umgang damit, dass man von diesem Individuum auch nichts mehr erwartet und es somit einem ganz praktischen Sinn enthoben wird, zur Herausforderung.

SSJKamui:
Das mit dem Neuling stimmt natürlich. Appleseed hat das mit der Figur der Deunan Knute ziemlich cool gelöst. (Die haben auch quasi das Konzept der abgeschiedenen Insel wieder eingeführt, indem sie die Utopie zum Teil als einen Komplex verbundener Biosphärenhabitate dargestellt haben.) Deunan wird zuerst aus einem Kriegsgebiet ins "Paradies" gerettet, greift dann aber zuerst sogar erstmal ihre Retter an, da sie denkt, dies sei alles nur ein Trick.

Mit "keine Dunklen Ecken" habe ich auch hauptsächlich gemeint, dass nicht alles blitzblank/steril sein muss. Ich meinte eher etwas Optisches und nicht unbedingt "Böse Seiten" wie von Banden kontrollierte Viertel etc. (Man braucht selbst bei den modernsten, strahlendsten Gebäuden meistens nur in den Keller zu sehen, um solche Ecken zu finden, wie ich meine. ) Und ich sage es mal so, es gibt durchaus Szenen, für die eignen sich dunklere, dreckigere Orte eher als auf Hochglanz polierte Gebäude. (Beispielsweise leben viele klassische Detektivgeschichten von Schatteneffekten und einer damit einher gehenden Atmosphäre, die so in der Form in einer Hochglanz polierten Optik nicht möglich sind, schlicht und einfach, weil es da zu Hell ist. ) Und ich bin der Meinung, selbst bei einer utopischen Darstellung des Settings muss man nicht zwangsläufig auf solche Atmosphärischen Effekte verzichten. (Und wenn man solche Effekte zum besseren Spannungsaufbau einsetzen kann, warum sollte man dann auf sie verzichten?)

Und allein schon gewisse Lichteffekte können einen ansonsten sauberen Ort schnell so verändern, dass er unglaublich dreckig wirkt. (Um mal ein Extrembeispiel zu nennen "Lampe hinter Gitter.")

Und zum Thema Dreck, der erwähnte George Lucas, der eigentlich die "dreckige Welt" in der Science Fiction Populär gemacht hat, hat davor das Werk THX 1138 veröffentlicht, was in vielen Räumen durch eine extreme Sauberkeit hervorstoch. (So gut wie alles in Weiß, fast kein Dreck, große Räume etc.) Und obwohl dies eine Dystopie war und deshalb unheimlich aussehen sollte, war ein Grund für den Flop des Films, dass die Sets so zu "leblos" wirkten. Ähnliches hat man über Star Trek: The Motion Picture gesagt, weshalb man bei ST2 ein wenig in Richtung dreckiger Used Future ging. Als etwas aktuelleres Beispiel, die Serie Madoka Magica vom letzten Jahr hatte eine helle, strahlende Stadt, die meistens totalst sauber war (bis auf das Industriegebiet) , war durchaus nicht kalt (im Gegensatz zu den anderen Beispielen), sondern Warm und sogar Bunt. Das Ganze sah mehr als ultramodern aus, aber trotzdem eigentlich nicht furchterregend. Trotzdem sagten viele Kritiker, dies sei eine der unheimlichsten/ungemütlichsten Sci Fi Städte überhaupt, weil es übertrieben Hell, Modern (sogar "Natürlich") etc. war.

(Ehrlichgesagt kann ich das nicht ganz verstehen, denn optisch empfand ich das Set Design irgendwie am Coolsten und Schönsten von vielen Serien seit Langem. Zum Beispiel muss ich zugeben, ich hätte gerne selbst so ein Badezimmer: http://wiki.puella-magi.net/File:E2Bathroom.jpg Genau so finde ich diesen Klassenraum beeindruckender und besser als die meisten Klassenräume in der Realität: http://wiki.puella-magi.net/File:Madoka_magica_school.jpg  Trotzdem empfanden die meisten Zuschauer diese Sauberkeit, Weitläufigkeit etc. als Ungemütlich. )

Dies zeigt sehr gut, dass eine zu große Sauberkeit manchmal sogar schädlich für den Eindruck des Guten, Positiven sein kann und es, wenn es ein wenig dreckig ist auch menschlicher wirken kann.


Zum Thema des Globalen Ansatzes, da denke ich mir sowieso schon länger, wahrscheinlich ist da das Medium Buch,Film, Fernsehen etc. eh suboptimal. Ich glaube, der Ansatz würde am Besten funktionieren in Form eines Computerspiels ähnlich Sim City. Also, der Spieler hat eine Menge von Werten, die seine Utopie beschreiben und hat verschiedene Möglichkeiten, diese Werte zu beeinflussen. (Zum Beispiel Änderungen am Bildungs-,Gesundheits- und Wirtschaftssystem.) Man kann mit vielen Varianten zum Ziel kommen, aber alles hat Vorteile und Nachteile. Ein wirkliches Spielziel würde es nicht geben, ähnlich wie bei Sim City.

 Ab und zu können aber Ereignisse passieren wie Forschungserfolge, Katastrophen oder sogar Erstkontakte mit Außerirdischen, mit denen man Allianzen eingehen kann, ähnlich wie bei Star Trek. Das Problem im Spiel wäre dann, wie man sich entscheidet. Zum Beispiel, will man eher einen Naturstaat mit ökologischem Bewusstsein oder eine Hightechmetropole? Soll es eine soziale Gesellschaft mit großen Sicherheiten für den Einzelnen werden, oder eine individualistische Gesellschaft, wo jeder hauptsächlich an Sich denkt, aber so an Alle gedacht ist? Ist der Bürger eigenverantwortlich, oder werden die meisten Dinge des täglichen Lebens Robotern und Computern anvertraut? Oder versucht man aus dem Meisten, oder aus Allem einen Mittelweg zu gehen, ohne in ein Extrem zu verfallen.

Sim City Societies ging ein wenig in diese Richtung, aber das Ganze könnte man noch sehr weit ausbauen und solche Fragen noch weiter in den Mittelpunkt rücken. Ich glaube, so ein Spiel wäre so nah an der klassischen Utopie, wie es nur möglich ist und wäre wahrscheinlich auch der beste Weg, dies wirklich auf lange Sicht Spannend zu halten. (Auch ohne zu sehr in das Schema, "einer Erklärt, alle Anderen hören zu", zu verfallen.) 

Ich hatte mir auch sogar mal überlegt, mal sowas in der Art mit Unity 3D zu versuchen. (Nur bräuchte ich da Unterstützung von anderen Autoren, 3D Modellern etc. )

Max:

--- Zitat von: SSJKamui am 02.09.12, 17:59 ---(Und wenn man solche Effekte zum besseren Spannungsaufbau einsetzen kann, warum sollte man dann auf sie verzichten?)

--- Ende Zitat ---
Ich würde die Sache halt so einschätzen, dass sich eine Utopie schnell gewöhnlichen Spannungsmustern entzieht und deswegen auch nicht auf solche Effekte zurückgreifen könnte.
Bei einer Utopie würde ich es spannender finden, auf "innere" statt auf "äußere" Spannungsmomente zu setzen: Wie gehen die Figuren damit um, wenn andere Figuren Konventionen verletzen?
Die "Fallhöhe" ist hier in einer Utopie deutlich größer als in einer Welt, in der man wie bei Detektivgeschichten mit Lug und Trug eher rechnet.
Auf der anderen Seite finde ich auch, dass Du mit dem "atmosphärischen Faktor" schon recht hast, nur weiß ich nicht, wie man ihn dann am geschicktesten einsetzt, ohne die Utopie auszuhöhlen. Ein interessanter Ansatz wäre vielleicht, eine Ordnung zu schaffen, in der die Unsauberkeit des Chaos zur geltenden Lebensweise geworden ist...


--- Zitat von: SSJKamui am 02.09.12, 17:59 ---Dies zeigt sehr gut, dass eine zu große Sauberkeit manchmal sogar schädlich für den Eindruck des Guten, Positiven sein kann und es, wenn es ein wenig dreckig ist auch menschlicher wirken kann.

--- Ende Zitat ---
Ja, das klingt nich unplausibel. Man könnte natürlich für eine Geschichte mit der Perfektion spielen und sie für die Verdachtsmomente einsetzen, gerade weil die Lese- und Sehgewohnheiten ja zu Perfektes als jenseits der Norm erscheinen lassen.


--- Zitat von: SSJKamui am 02.09.12, 17:59 ---Zum Thema des Globalen Ansatzes, da denke ich mir sowieso schon länger, wahrscheinlich ist da das Medium Buch,Film, Fernsehen etc. eh suboptimal. Ich glaube, der Ansatz würde am Besten funktionieren in Form eines Computerspiels ähnlich Sim City. Also, der Spieler hat eine Menge von Werten, die seine Utopie beschreiben und hat verschiedene Möglichkeiten, diese Werte zu beeinflussen. (Zum Beispiel Änderungen am Bildungs-,Gesundheits- und Wirtschaftssystem.) Man kann mit vielen Varianten zum Ziel kommen, aber alles hat Vorteile und Nachteile. Ein wirkliches Spielziel würde es nicht geben, ähnlich wie bei Sim City.

--- Ende Zitat ---
Stimmt, für Spiele ist das schon passend. Wobei es schon fast etwas ironisch ist, wenn ein PC-Spieler mal eben neben her eine utopische Welt aufbaut ;)


--- Zitat von: SSJKamui am 02.09.12, 17:59 ---Zum Beispiel, will man eher einen Naturstaat mit ökologischem Bewusstsein oder eine Hightechmetropole?

--- Ende Zitat ---
Ist das nicht im neuesten "Anno"-Teil so der Fall?

Oddys:
@Anno Zum Teil schon aber die Ecos sind genauso Hightech wie die Tycoons setzten halt nur andere Technik ein.

SSJKamui:
Das mit Anno hatte ich auch gehört. Auf mich hörte sich das aber eher danach an, als ob die Ökos und die Tycoons 2 verschiedene Fraktionen seien, zwischen denen es keine großartigen Mittelwege geben würde. (Weiß ich leider nicht so genau. Hab das Spiel leider noch nicht gespielt. )

Ich hatte mir das eher wie ein kontinuierlicher Wert vorgestellt, der durch verschiedene Maßnahmen verändert werden kann, wie Parks anlegen, Atmosphärenrheinigung etc. um die Natürlichkeit zu fördern und auf der anderen Seite zum Beispiel künstliche Nahrungsproduktion, was die Welt eher in Richtung Technologie bewegen würde. (Aber Vorteile wie günstigere Nahrung bietet.)

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