Autor Thema: Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen  (Gelesen 59266 mal)

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ulimann644

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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #60 am: 08.09.09, 15:01 »
Zitat
Original von Max
Es stimmt wirklich: Für die echte Wissenschaftlichkeit braucht der Autor einen Background. Aber nebenbei bemerkt muss ich sagen, dass ich den Eindruck habe, dass gar nicht so wenige Vertreter der Sci Fi-Zunft aus der Naturwissenschaft kommen oder kamen. Auf Anhieb fallen mir - natürlich - gleich wieder Lem und Clarke ein.
Aber ich finde, man denkt als moderner Leser vielleicht zu schnell daran, dass tatsächlich Antworten präsentiert werden, dabei sind in meinen Augen die Fragen das interessante, das wirklich reizvolle. Und zur Phantasie könnte auch der zauber gehören, etwas eben nicht zu verstehen.


Da ist was Wahres dran - der Punkt, der mir wichtig war zu erwähnen ist: um z.B. durch ein \"Virenproblem\" Spannung zu erzeugen muss man sich mit den spezifischen Eigenschaften und dem Aufbau von Viren auskennen - das kann man durchaus lesbar schreiben, das Wissen um die Dinge muss aber dennoch vorhanden sein um es auch - oder vielleicht gerade - für Laien spannend zu erzählen...

Oft muss man sogar für recht simple Dinge Recherchen führen, die länger dauern, als man dann für das Schreiben der Szene braucht, für die man recherchiert hat.
Ein Beispiel: Für den lapidaren Satz, dass man bei 50millionenfacher LG für 25600 Lj etwa sechs Stunden braucht - hat die Berechnung ( handschriftlich ) spürbar länger gedauert, als das Schreiben dieses Satzes. ( Natürlich hätte ich das nach Gefühl schreiben und irgend eine Zeitspanne nehmen können, aber damit wäre ich nicht zufrieden gewesen - so war der Satz eben authentisch. )

SSJKamui

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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #61 am: 14.09.09, 11:18 »
Noch was zur Utopie:
Ich denke, ob man eher Utopien thematisiert oder Dystopien etc. hängt natürlich auch davon ab, wie man selber Staaten im Allgemeinen sieht. (Also den Staat an Sich und nicht einen bestimmten Staat wie Deutschland oder USA.) Wer Staaten eher als potentielle Bedrohungen für die eigene Freiheit empfindet als als Chance, wird zum Beispiel eher weniger Interesse an Utopien haben. (Zum Beispiel ist das in einem anderen Thread von mir angesprochene Cyberprep Untergenre von Cyberpunk eher unterrepresentiert bei Cyberpunk. Das liegt zum Teil auch daran, dass die meisten Leute dort eher libertäre bis anarchistische Gesinnungen haben, die den Staat eher als Bedrohung sieht als als Chance.)

Natürlich haben auch manche Libertäre auch teilweise Konzepte für Teilbereiche der Gesellschaft, zum Beispiel dem Bildungssystem, die an utopische Ideen grenzen, aber ganzheitliche utopische Staatsentwürfe sind da eher selten.

Ich persönlich habe auch eine Libertäre einstellung, weshalb es mir häufig schwer fällt, wirklich utopische Entwürfe zu erdenken, aber ich versuche meinen Geist offen für vieles zu halten und auch mal Utopien zu thematisieren und zu überdenken.

Tolayon

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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #62 am: 14.09.09, 11:27 »
Eine mögliche Umschreibung für Utopie könnte unter bestimmten Umsätzen auch \"Diktatur der Vernunft\" lauten; d.h. eine Gruppe von Leuten, die wirklich nur das Beste für das Gemeinwohl wollen reißt die Herrschaft an sich und schreibt den Bürgern deshalb vor, wie sie sich am besten benehmen bzw. nicht benehmen sollen.
In einer solchen Gesellschaft wäre z.B. \"Unterschichten-Fernsehen\", das aus Formaten wie billigen Seifenopern, Casting-Shows und Doku-Soaps besteht generell verboten; jeder erhält ausreichend Bildung, dass er \"Qualitäts-Sender\" wie Arte verstehen und würdigen kann.

Natürlich ist gerade in einem solchen Szenario der Übergang zur Dystopie nur ein sehr schmaler, etwa wenn abweichendes Verhalten entsprechend hart bestraft wird oder Vollidioten per Gehirnwäsche zu kleinen Intelligenz-Bestien mutieren.

SSJKamui

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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #63 am: 14.09.09, 11:36 »
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Original von Tolayon
Eine mögliche Umschreibung für Utopie könnte unter bestimmten Umsätzen auch \"Diktatur der Vernunft\" lauten; d.h. eine Gruppe von Leuten, die wirklich nur das Beste für das Gemeinwohl wollen reißt die Herrschaft an sich und schreibt den Bürgern deshalb vor, wie sie sich am besten benehmen bzw. nicht benehmen sollen.
In einer solchen Gesellschaft wäre z.B. \"Unterschichten-Fernsehen\", das aus Formaten wie billigen Seifenopern, Casting-Shows und Doku-Soaps besteht generell verboten; jeder erhält ausreichend Bildung, dass er \"Qualitäts-Sender\" wie Arte verstehen und würdigen kann.

Natürlich ist gerade in einem solchen Szenario der Übergang zur Dystopie nur ein sehr schmaler, etwa wenn abweichendes Verhalten entsprechend hart bestraft wird oder Vollidioten per Gehirnwäsche zu kleinen Intelligenz-Bestien mutieren.


Das Stimmt. Viele Utopien kann man wirklich als \"Diktatur der Vernunft\" beschreiben. Zum Beispiel in der Utopie Futurum 2/Walden 2 von B.F. Skinner gibt es kein demokratisch gewähltes Parlament sondern speziell dafür ausgebildete \"Gesellschaftsmanager\", die dann sagen, wo es lang geht und denen das Volk dann gehorcht. (Gerade das wurde von vielen Kritikern des Buches kritisiert.)

Bei Platons Staatsentwurf, der als eine der ersten Utopien gilt wird der Staat nicht von einer Volksversammlung regiert, da Platon fand, dass so die Idioten die Leute, die Ahnung von der Sache haben immer überstimmen würden. Stattdessen regieren die weisesten Bürger das Land relativ unkontrolliert. (Das wurde später auch stark kritisiert und ich meine mich erinnern zu können, sogar eine Folge der Simpsons hätte das mal thematisiert und karikiert.)

ulimann644

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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #64 am: 14.09.09, 11:40 »
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Original von Tolayon
Eine mögliche Umschreibung für Utopie könnte unter bestimmten Umsätzen auch \"Diktatur der Vernunft\" lauten; d.h. eine Gruppe von Leuten, die wirklich nur das Beste für das Gemeinwohl wollen reißt die Herrschaft an sich und schreibt den Bürgern deshalb vor, wie sie sich am besten benehmen bzw. nicht benehmen sollen.
In einer solchen Gesellschaft wäre z.B. \"Unterschichten-Fernsehen\", das aus Formaten wie billigen Seifenopern, Casting-Shows und Doku-Soaps besteht generell verboten; jeder erhält ausreichend Bildung, dass er \"Qualitäts-Sender\" wie Arte verstehen und würdigen kann.

Natürlich ist gerade in einem solchen Szenario der Übergang zur Dystopie nur ein sehr schmaler, etwa wenn abweichendes Verhalten entsprechend hart bestraft wird oder Vollidioten per Gehirnwäsche zu kleinen Intelligenz-Bestien mutieren.


Wobei nur das Individuum für sich selbst entscheiden kann, was für ihn letztlich das Beste ist IMO...
Letztlich unterscheidet sich also auch eine solche Diktatur nicht von allen anderen...

SSJKamui

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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #65 am: 30.10.09, 13:56 »
Gestern habe ich mal einen kurzen Artikel zum Thema Cyberprep, also auf Informationstechnologie basierenden Utopien für ein neues Cyberpunkwiki geschrieben. Ein kleiner Passus beschäftigt sich auch mit en von einigGene Roddenberries Werken:
http://www.cyberpunkwiki.org/wiki/index.php?title=Category:Cyberprep

(Ich dachte, der Artikel könnte vielleicht ein paar Leute hier interessieren und da das hier unser allgemeiner Utopie thread ist währe er hier wahrscheinlich am Besten aufgehoben.)

SSJKamui

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #66 am: 23.04.11, 14:44 »
Ich habe eben folgenden interessanten Artikel über eine geplante Star Trek Serie gefunden, in der scheinbar auch gewisse Kritiken an der utopischen Föderation, die hier immer aufkommen behandelt werden sollten:
http://trekmovie.com/2011/04/16/exclusive-details-excerpts-from-star-trek-federation-series-proposal/

Ich fand das Konzept irgendwie ganz interessant. Gewisse Beschreibungen zur Entwicklung der Föderation erinnerten mich sehr an die Kulturkritiken von Nietzsche etc. (Ein wenig muss ich zugeben hörte sich die Beschreibung der Föderation im Artikel auch nach Westerwelles Äußerungen von "Anstrengungslosen Wohlstand" und "spätrömischer Dekadenz" an, was gewisse Denkmuster der Autoren des Konzeptes zeigen könnte, die womöglich durchaus selber kritisch zu hinterfragen währen. )

Max

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #67 am: 24.04.11, 11:51 »
Ich fand das Konzept irgendwie ganz interessant. Gewisse Beschreibungen zur Entwicklung der Föderation erinnerten mich sehr an die Kulturkritiken von Nietzsche etc.
Ist es sehr gemein, wenn ich jetzt einfach mal behaupte, dass die, die sich das Konzept überlegt haben, wohl nicht wirklich bei Nietzsche nach Anleihen gesucht haben? ;) ;)


Also, die Idee auch für Star Trek eine komplexere Serienstruktur jenseits "kleiner", abgeschlossener Episoden zu wählen, finde ich grundsätzlich nicht schlecht. Und auch der Ansatz, dass sich das ST-Universum nicht ständig selbst verdauen soll, gefällt mir an sich, denn es bringt nicht mehr viel, die selbstgeschaffene Komplexität dauernd durchzuventilieren. Vom Konzept, eine neue Serie in eine fernere Zukunft zu setzen, bin ich sowieso überzeugt.
An sich es es aber schon mal beruhigend, dass dieser Konzeptvorschlag nicht schon wieder auf Kriegplots beruht, sondern die Stagnation einer Utopie ins Zentrum rückt. Das könnte interessant sein, wobei ich denke, dass man aus der Utopie selbst mehr herausholen könnte. Das mal wieder etwas geforscht werde sollte, fände ich natürlich phantastisch :D


Zitat
The Central Core: an open shaft at the center of the saucer where all corridors intersect in an open area, which would act like a "town square" for the ship
Joah, diese Idee kommt mir bekannt vor: Das ist wie die Agora meiner "Solaris" :D

SSJKamui

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #68 am: 24.04.11, 18:49 »
Ich fand das Konzept irgendwie ganz interessant. Gewisse Beschreibungen zur Entwicklung der Föderation erinnerten mich sehr an die Kulturkritiken von Nietzsche etc.
Ist es sehr gemein, wenn ich jetzt einfach mal behaupte, dass die, die sich das Konzept überlegt haben, wohl nicht wirklich bei Nietzsche nach Anleihen gesucht haben? ;) ;)

Das ist mir klar. (Und auch, das sie sich nicht von Westerwelle inspirieren liessen. ;))(Das hatte ich auch nicht gesagt. Ich hatte das nur einfach mit einigen Denkweisen in der Historie verglichen.)

Also, die Idee auch für Star Trek eine komplexere Serienstruktur jenseits "kleiner", abgeschlossener Episoden zu wählen, finde ich grundsätzlich nicht schlecht. Und auch der Ansatz, dass sich das ST-Universum nicht ständig selbst verdauen soll, gefällt mir an sich, denn es bringt nicht mehr viel, die selbstgeschaffene Komplexität dauernd durchzuventilieren. Vom Konzept, eine neue Serie in eine fernere Zukunft zu setzen, bin ich sowieso überzeugt.
An sich es es aber schon mal beruhigend, dass dieser Konzeptvorschlag nicht schon wieder auf Kriegplots beruht, sondern die Stagnation einer Utopie ins Zentrum rückt. Das könnte interessant sein, wobei ich denke, dass man aus der Utopie selbst mehr herausholen könnte. Das mal wieder etwas geforscht werde sollte, fände ich natürlich phantastisch :D

Nun ja, das denke ich auch, aber der interessantere Plot fand ich immer noch den, der vor einigen Jahren diskutiert wurde nach dem Zerfall der Föderation der Neuafbau der Föderation auf einer kleineren Kolonie. Das hätte wirklich zwangsläufig zu richtig interessanten Diskussionen zum Thema Utopie geführt. (Das klassische Star Trek Schema wurde leider vielzuhäufig benutzt, genau dem auszuweichen.)

Taschenmogul

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #69 am: 25.04.11, 15:09 »
Ich finde das Konzept (also das was ich davon gelesen habe, etwa die erste Seite) schon ganz interessant, und ich gehe auch mit den grundlegenden Überlegungen soweit konform.
Ich denke aber, daß ein ganz großes Schlüsselelement von Star Treks Erfolg auch in diesen aufgebauten Strukturen und Geschichten liegt.
Ich persönlich würde mir wünschen, daß bereits etablierte Themen etwas weiterverfolgt würden, zumindest noch einmal aufgegriffen würden.
Das wäre ja letztlich gerade das was über Erzählstrukturen geschrieben wurde im Artikel, bloß eben serienübergreifend betrachtet und nicht nur serienintern.
Ich zumindest fände es schade, wenn man z.B all die Technologie und all die Implikationen, welche die Rückkehr der Voyager mit sich gebracht hat, gar nicht näher behandeln würde.

Von daher finde ich ein Ansetzer der Serie im 30. Jahrhundert doch etwas heftig.
Mir würde da eher sowas gefallen wie 15, 20, 30 Jahre später, also in etwa Anfang des 25. Jahrhunderts.
Da wäre es dann z.B. auch möglich, den neuen Slipstream/Coax-Warp/Transwarp Antrieb für einen Flug zur Magellanschen Wolke einzusetzen.

Was die Utopie betrifft, so würde ich die gerne überhaupt erstmal sehen, bevor sie beerdigt wird.
Ich zumindest habe in Star Trek noch nicht viel utopisches gesehen.
Immer nur geredet wurde darüber, über die heeren Werte.
Das was in den Serien dann wirklich gezeigt wurde, war meist eher Military SciFi.
Wenn z.B. in der einen Voyager-Folge Seven die Verheißungen der Individualität versprochen werden, und in der anderen Folge Harry Kim mit intimen Beziehungen zu Schiffsfremden gegen die Regeln verstößt und seinen Captain (mal wieder) "schwer enttäuscht", dann frage ich mich schon, wo da die Utopie sein soll.
Ich denke, man hat einfach nie gewagt, sie auch mal wirklich zu zeigen, und hat statt dessen immer als Universalentschuldigung die hierarchische Militärstruktur der Sternenflotte mit ihren strengen Regeln und Direktiven vorgeschoben.

SSJKamui

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #70 am: 25.04.11, 18:05 »
Was die Utopie betrifft, so würde ich die gerne überhaupt erstmal sehen, bevor sie beerdigt wird.
Ich zumindest habe in Star Trek noch nicht viel utopisches gesehen.
Immer nur geredet wurde darüber, über die heeren Werte.

Genau das ist ein weiteres Element, was ich an der Utopie Star Treks kritisiere. Es werden auch häufig wenn nur die Folgen (keine Krankheit,Armut etc.) oder Oberflächlichkeiten (kein Geld) genannt aber nirgendwo wird erklärt, wie dieser Staat eigentlich aufgebaut sein soll.

Dies ist auch ein Grund, warum ich diese utopische Seite Star Treks häufig nicht besonders ernst genommen habe. (Es geht ja nicht, das ich, der die Utopie der Föderation kritisch sieht sich ausführlicher damit beschäftigt als eine Serie, die mich eben davon überzeugen will. ) Ich finde, dieses nichtansprechen diskreditiert dieses Staatskonzept zum Teil auch als Diskussionsgrundlage, da man sich so vor jeder möglichen Kritik immunisiert.  (Die meisten richtig ausgebauten Utopien (zum Beispiel Utopia und Walden 2/Futurum 2) driften zwar leider schnell ins totalitäre ab und sind deshalb abzulehnen, aber diese kann man wenigstens einigermaßen diskutieren, da diese sich nicht vor Kritik verstecken.)

Wegen diesem Problem musste ich mir bei meinen Fanfics auch erstmal ein genaues Bild machen, was ich mir unter Föderation eigentlich vorstelle. Deshalb hatte ich mich auch intensiv mit Staatsphilosophie beschäftigt um so ein objektives Bild zu entwickeln. (Und meine Kritik auszubauen.) Dies wurde teilweise kritisiert als nicht zutreffend, aber genau da ist das Problem. Weil fast nichts fest, verbindlich in Star Trek gesagt wurde lässt sich so eigentlich jede Kritik an der Föderation als "Non Canon" abstempeln.
« Letzte Änderung: 25.04.11, 18:36 by SSJKamui »

ulimann644

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #71 am: 25.04.11, 19:34 »
Genau das ist ein weiteres Element, was ich an der Utopie Star Treks kritisiere. Es werden auch häufig wenn nur die Folgen (keine Krankheit,Armut etc.) oder Oberflächlichkeiten (kein Geld) genannt aber nirgendwo wird erklärt, wie dieser Staat eigentlich aufgebaut sein soll.

Wobei man sich selbst bei den einfachsten Oberflächlichkeiten widerspricht.
In ST-7 behauptet Kirk gegenüber Picard, als sie im Nexus sind, dass er sein Haus schon vor Jahren "verkauft" hat...
In ST-4 hingegen behauptet er, dass es in seiner Zeit kein Geld gibt.
Und auch die Tatsache, dass Flottenangehörige im QUARKS gegen Credits oder Latinum dort verkehren, wirkt irgendwie merkwürzig...

Taschenmogul

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #72 am: 25.04.11, 21:48 »
@Ulimann: Die Tatsache, daß die Ferengi überhaupt so Handel treiben können, wie sie es können, wirft doch m.E. schon Fragen auf.
Denn wenn die Föderation ihre Replikatortechnologie so freimütig weggibt, dann müsste doch im Alpha- und Beta-Quadranten der Markt für quasi alle vernünftig replizierbaren Güter schon längst eingebrochen sein.
Natürlich gäbe es Waren, bei denen es sehr viel lohnenswerter wäre, herkömmliche Methoden zur Herstellung zu verwenden, entweder weil Replikation zuviel Energie kostet, oder weil damit einfach nicht genügende Mengen hergestellt werden könnten.
Auch hier wäre dann das Existieren der Replikation als Alternative an sich aber schon ein wichtiger Faktor, was den Preis der entsprechenden Ware anginge.

@SSJKamui:

Ja, leider muß man sehr viel "interpolieren", wenn man ein verwertbares Bild der Föderation haben will.
Das finde ich eben auch sehr schade, weil es ja nun nicht ganz so schwer sein dürfte, etwas brauchbares zu entwerfen.
Ich schätze, man hat sich halt nur deshalb nicht getraut, weil man dann wohl den Themenkreis des Sozialismus schwer hätte umschiffen können.
Wenn ich mal so drauflos schwadroniere, würde ich sagen, daß man die Föderation vielleicht als eine pan-nationale demokratisch sozialistische Republik bezeichen könnte.
Und Sozialismus kommt in den USA auch heute noch nicht so gut, und da reicht es schon, wenn man auch nur eine allgemeine Krankenversorgung sicherstellen will, um als Sozialist/Kommunist beschimpft zu werden...

David

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #73 am: 25.04.11, 22:56 »
Ich persönlich finde die Ansicht mancher Fans über Star Trek und das Star Trek Universum ein wenig befremdlich.

Zu Utopisch, zu viel heile Welt...

Was ist daran falsch, von einer besseren Welt zu träumen, die nicht gänzlich ohne Fehler ist, aber in der viele Probleme der heutigen Zeit (Hunger, Krieg, Rassismus, Armut, etc.) gelöst sind.
Ohne dies zu Träumen wird  sich auch niemand aufraffen, es zu verwirktlichen.

Wie gesagt, in Star Trek erwarte ich nicht zu viel Realismus sondern die Vorstellung, dass alle Menschen miteinander und mit anderen Wesen in Frieden leben können.

Warum dies mittlerweile häufig im Netz - also nicht nur speziell hier im Forum - kritsiert oder als infantil abgetan wird, kann ich nicht nachvollziehen.

Das wir derzeit nicht in einer solchen Welt leben, ist höchst bedauerlich und ob wir Menschen es tatsächlich einmal gesellschaftlich so weit bringen, wie in der Föderationsgesellschaft, ist doch genau genommen nebensächlich. Das wichtigste ist, dass man den ersten Schritt dorthin macht und diesen Weg dann auch weiter geht, egal wie lange es dauert.

Sicherlich wird unsere Generation und auch die meiner Nichte es sicherlich nicht vergönnt sein, eine solche Welt kennenzulernen, aber deswegen sollte man das doch nicht immer als Fantasterei abtun.

Der Glaube allein zählt doch.

Meine 2 cent dazu

Drake

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Antw:Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
« Antwort #74 am: 25.04.11, 23:27 »
Mir persönlich stößt grundsätzlich diese selbstherrliche Einstellung der Menschen auf, die vor allem Picard gerne mal zur Schau stellt.

"Wir sind perfekt, wir haben alle negativen Wesenszüge unserer Gesellschaft abgelegt und alle anderen sollten sich an uns ein Beispiel nehmen!"

Vor allem weil diverse Folgen und Filme nahelegen, dass das nichts weiter als eine glatte Selbsttäuschung ist.

Fanfictechnisch strebe ich eher die Darstellung an, dass diese Einstellung ein Ideal ist das Charaktere zu erreichen versuchen, aber nicht immer erfolgreich. Dass es nicht selbstverständlich ist, moralisch hochinteger zu sein und dass das Potenzial zu Grausamkeit, Gier und Gewalt noch vorhanden ist. Es ist nur so, dass man erkannt hat, was für eine schlechte Sache das ist und versucht (wiederum: Nicht immer erfolgreich) das zu vermeiden.

Die Darstellung der Gesellschaft der Föderation ist eine andere Sache. Es ist ziemlich offensichtlich, dass man einfach die Prämisse hatte "Es gibt kein Geld mehr. Basta!", ohne sich je über die Implikationen Gedanken gemacht zu haben. Und da gibt es noch ein paar andere Dinge, die unglückliche Implikationen waren, die aber nie so richtig angesprochen wurden.

Da versuche ich mein Bestes, die Lücken zu schließen wo ich kann. Z.B. insofern, dass die Föderation intern ein geldloses Verteilungssystem von Gütern benutzt, die quasi unbegrenzt vorhanden sind, aber eine offizielle Währung für Luxusgüter und den Handel mit anderen Nationen besitzt.

Der Punkt ist: Die Utopie hat Lücken. Und wenn Lücken erkennbar sind, leidet die Fähigkeit das Konstrukt ernstzunehmen. Man kann sicher gut durchdachte Utopien erdenken, aber die Föderation, so wie sie im Canon verankert ist, ist keine davon. Sie ist eine Gesellschaft, die sich selbst als Utopia wahrnimmt, aber dabei nur ihre eigenen Schwächen ignoriert.

 

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