UNITY ONE – Gästequartiere
Mit peitschendem Schwanz und geballten Fäusten marschierte die Caitianerin in ihrem Gästequartier auf und ab. Sie hatte wahrhaftig alles versucht, um sich zu entspannen, aber nichts half.
Vor einer dreiviertel Stunde hatte die DEFENDER auf UNITY ONE angedockt – und noch vor dem Abschluss der Andockprozedur erhielten alle Besatzungsmitglieder die Code-Karten für ihre Quartiere. Man konnte über diese Station sagen, was man wollte – aber der Quartiermeister arbeitete äußerst effizient. Organisationstalent war etwas, dass Lieutenant M‘Rass zutiefst bewunderte – vor allem, da sie selbst nicht allzu viel davon besaß.
Ihre Freunde bummelten jetzt über das Promenadendeck oder belagerten das „Pioneer’s Inn“, aber M’Rass hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als in ihrem Quartier zu verschwinden, sich sämtlich Kleider vom Leib zu reißen und unter der Schalldusche zu kugeln. Normalerweise wirkte das beruhigend auf sie. Genau wie klingonische Kampfsportübungen.
Diesmal nicht.
Sie musste nachdenken. Und das war gar nicht beruhigend, denn je länger sie nachdachte, desto mehr ärgerte sie sich: über Captain Lairis, über die Sternenflotte, ihre eigene Naivität … verdammt, sie konnte es nicht einmal genau benennen!
Vielleicht hatte die Schiffscounselor der DEFENDER Recht und die gescheiterte Beziehung zu Marc war nur eine Ausrede, ein willkommener Vorwand, um das Schiff zu verlassen.
Sie liebte ihre Arbeit auf der DEFENDER, ihre Kollegen, ihr Labor, den schwarzen Schlafsessel … aber ihre Schwanzspitze kribbelte und sagte ihr, dass es längst Zeit für eine Veränderung war.
Ihr Leben stagnierte seit Jahren und eine solche Existenz war wie ein altes Kratzbrett: vertraut, geliebt, angenehm – aber irgendwann abgenutzt und unattraktiv. Sie war schließlich zur Sternenflotte gegangen, um das Unbekannte zu erforschen. „To boldy where no Man has gone before …“
Nichtsdestotrotz wurde ihr das Herz schwer bei dem Gedanken, die DEFENDER verlassen zu müssen.
Musste sie aber gar nicht, denn Captain Lairis hatte ihren Versetzungsantrag abgelehnt.
Aufgewühlt von diesem Gedanken, ließ sich M’Rass in einen Sessel fallen, ihre Krallen bohrten sich tief in die Armlehnen.
Sie war froh, dass sie jetzt kein klärendes Gespräch mit Marc führen musste, denn der Ingenieur hatte mit den Reparaturarbeiten auf der DEFENDER alle Hände voll zu tun. M’Rass war weder feige noch konfliktscheu, aber sie hasste es, sich zu entschuldigen. Marc erwartete es wohl von ihr, doch sie fragte sich, was das bringen sollte. Damit machte sie weder ihren Fehler ungeschehen, noch linderte sie damit seinen oder ihren Schmerz. Besser, sie verschwand aus seinen Augen.
Ihre Krallen fuhren in zornigem Rhythmus ein und aus. Sie schloss die Augen, dass glatte synthetische Leder schmeichelte ihren Fingern … und ihren Ohren, als es zerriss … ja, das tat richtig gut! Die Krallen in etwas schlagen, fetzen, reißen …
Reißen!
M’Rass schreckte hoch und erstarrte für einen Moment, als sie sah, was sie angerichtet hatte: Aus den Lehnen des cremefarbenen Designersessels quoll die Schaumstoffpolsterung, der Stoff hing in Fetzen, der Teppich war mit Wattekrümeln übersät.
Na toll, jetzt musste sie sich wirklich entschuldigen – und zwar beim Quartiermeister von UNITY ONE.
Nach einem Stoßseufzer wählte sie den Code für den Zimmerservice. Vielleicht wurde sie ja nicht gleich wegen Zerstörung von Föderationseigentum verklagt und die Logistiktruppe war ebenso effizient darin, ihr einen Kratzbaum zu besorgen.
Die Sache war ihr zutiefst peinlich und um sich abzulenken, loggte sie sich ins Datennetz ein. Vielleicht fand sie ja einen interessanten neuen Artikel über Subraumharmonik oder Temporalmechanik … ein Spiel, mit dem sie sich die Zeit vertreiben konnte, wäre ihr genauso recht gewesen … statt dessen sprangen ihr die Starfleet-News ins Gesicht: U.S.S. ESTRELLA DEL ALBA.
Der Notruf, den Commander Prescott per Memo an die Besatzung weitergeleitet hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Sie überflog den Text der Meldung: Noch immer kein Hinweis auf die Ursache der Katastrophe … Captain ums Leben gekommen … der Erste Offizier, Commander Lejla Katic … Schiff mittlerweile im Reparaturdock von Spacekomplex UNITY ONE … die genaue Verlustliste …
Der Wissenschaftsoffizier war tot, ebenso einige wichtige Mitglieder seines Teams.
M’Rass Nacken kribbelte.
Selbstverständlich war der Tod von Menschen kein Grund zur Freude, doch was M’Rass verspürte, war eher ein Sog: Die Unruhe vor einer wichtigen Mission, das Gefühl, nicht länger warten zu können, die unerträgliche Spannung, bis man endlich loslegen konnte …
Eben das hatte ihr auf der DEFENDER in letzter Zeit gefehlt: Gebraucht zu werden. Seit die letzte Testphase für den Interphasen-Schild abgeschlossen war, betrieb M’Rass ihre Forschungen eher zum eigenen Vergnügen als zum Wohl der Sternenflotte. Am Anfang hatte ihr das gefallen, doch mit der Zeit …
Wie ferngesteuert streifte M’Rass ihre achtlos zu Boden geworfene Uniform über, griff nach dem Kommunikator und kontaktierte Captain Lairis.
Dass sie wenige Minuten zuvor den Quartiermeister gerufen hatte, kam ihr erst wieder in den Sinn, als der Türmelder summte.
„Herein“, rief M’Rass und eine hübsche rothaarige Frau betrat den Raum.
„Ich bin Lieutenant Alicia DeWitt, verantwortlicher Logistikoffizier und Quartiermeisterin von Unity One. Was kann ich für Sie tun, Lieutennant?“
„Ich bin Lieutenant M’Rass von der USS Defender und … Kzzzzz …“ Sie deutet verschämt auf den ruinierten Sessel hinter sich.
Alicia DeWitt schmunzelte. „Verzeihung. Wir wussten, dass an Bord der Defender eine Caitianerin ist. Leider hatten wir keine Zeit für die Beschaffung … artgerechter Möbel.“
M’Rass ließ erleichtert den Schwanz sinken. „Ich bin sehr dankbar, dass Sie mir die Zerstörung des Sessels nicht allzu übel nehmen!“
Die Quartiermeisterin winkte ab. „Er fließt in das große materielle Kontinuum zurück, um in neuer Form wiederzukehren. Vielleicht als Kratzbaum.“
„Das Große Materielle Kontinuum?“, hakte M’Rass nach.
„Es sorgt für das Gleichgewicht im Universum.“ Alicia lächelte. „Ich halte es zwar nicht so mit Glaubenssätzen der Ferengi – aber da ist was dran.“
„Vielen Dank, Lieutenant, ich weiß das wirklich sehr zu schätzen“, erklärte die Caitianerin aufrichtig.
Diese Frau versteht wirklich ihr Handwerk, dachte sie im Stillen.
In diesem Augenblick trat Captain Lairis durch die Tür.
DeWitt salutierte und die Bajoranerin blickte sie fragend an.
„Ihr Lieutenant braucht einen Kratzbaum“, erklärte die Quartiermeisterin und lächelte leicht. „Haben Sie zufällig einen an Bord, Captain?“
„Sicher. Bei uns nennt sich das Schiffcounselor“, scherzte Lairis.
Alicia konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.
„Mein Kratzbaum ist leider beim letzten Angriff der Gorn verbrannt“, seufzte M’Rass. „Ja, ich brauche etwas, um meine Krallen daran zu wetzen – und zwar wortwörtlich.“
„Ich dachte, Sie hätten sich mittlerweile eingekriegt“, kommentierte Lairis, nachdem DeWitt sich verabschiedet hatte.
„Ich stehe vor schwierigen Entscheidungen“, erwiderte die Caitianerin ruhig. „Ja, Sie haben meinen Versetzungsantrag abgelehnt, Captain, und ich war bereit, Ihre Entscheidung zu akzeptieren …“
„Ich würde sagen, Ihnen bleibt nichts anderes übrig“, unterbrach Lairis sie trocken.
„Angesichts der Situation auf der ESTRELLA bitte ich Sie ernsthaft, diese Entscheidung zu überdenken und meinen Versetzungsantrag Admiral Belar vorzulegen“, entgegnete die Caitianerin mit fester Stimme.