Autor Thema: SATURN - Leseprobe  (Gelesen 4181 mal)

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caesar_andy

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SATURN - Leseprobe
« am: 29.05.11, 14:12 »
Inspiriert durch --- öh --- mich selbst ( ;) ) habe ich mit dem schreiben einer eigenen und eigenständigen SciFi-Geschichte begonnen. Der bisherige Text umfasst ca. 15 DIN-A5 Seiten und ist eher eine Leseprobe, die alle drei primären Handlungsstränge anreißt, die es später in der Geschichte geben wird, wenn ich denn weiter schreibe, was von der Resonanz abhängig ist ;)

Da die Story relativ Low-Tech ist, also keine größeren SciFi-Action-Einlagen zu erwarten sind, habe ich leider keine Ahnung, ob die Thematik hier überhaupt ankommt, bzw. auf entsprechende resonanz stößt. Von der Handlung her geht es um eine Expedition zum Saturnmond Titan, die vollkommen unerwartete Ergebnisse zu Tage fördert und damit einen neuen "kalten Krieg" auf der Erde auslöst.

P.S.: Und ja, die Hermes ist die von mir modelierte Hermes. ;)

Also dann, viel spaß :D









„Was man heute als Science Fiction beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage zu Ende schreiben müssen.“
Norman Mailer





Saturn
Kapitel I


Nur eines macht sein Traumziel unerreichbar: die Angst vor dem Versagen.
Paolo Coelho



„Du siehst scheiße aus.“
Wie aus dem Nichts bohrten sich die Worte in Manuelas Verstand. Mühsam zog sie ihre Augenlider auseinander und löst ihr Gesicht von den Handflächen, auf denen ihr Kopf so eben noch geruht hatte. Das Sonnenlicht zwang sie zum blinzeln.
Mit einer eleganten Bewegung schwang sich Georg über den Gartenzaun, kam auf die Trasse zu geschlendert und schleuderte die Papiertüte mit ihrem Frühstück darin über Manuelas Kopf hinweg auf den gedeckten Tisch.
Hastig griff Manuela zu, um schlimmeres zu verhindern. Der Sturz einer Leberwurst vom Tisch war jedoch bereits beschlossene Sache. Noch bevor sie zugreifen konnte, hatte sich der ihr Chiaua 'Brownie' damit aus dem Staub gemacht.
„Na toll.“ brummte Manuela und warf Georg einen ermahnenden Blick zu.
„Ich meine, so richtig scheiße.“ fuhr George unbeirrt fort und ließ sich auf einen der Stühle fallen. „Ist alles in Ordnung?“
Manuela schüttelte den Kopf. „Ich hatte wieder diesen Traum.“
„Den von – meinen Tod?“ fragte George.
Sie nickte.
„Was war es diesmal?“ fragte er grinsend. „Ein Kugelschreiber im rechten Auge?“
„Das ist nicht witzig!“ erwiderte Manuela empört und fügte etwas leiser hinzu: „Eine explodierende Granate.“
„Mach dir keine Sorgen.“ Er zog Taschenbuch aus der Brusttasche und legte es zwischen ihnen auf den Tisch. Der abgegriffene Einband und die teils heraushängenden Seiten zeugten von einer Historie, die zweifelsohne bis zu Ramses I. zurückverfolgt werden konnte. „Weißt du, was das ist?“
„Die Erstauflage der Bibel?“
„Nein.“ erwiderte George und begann, sich ein Brötchen zu schmieren. „Das ist mein Terminkalender. Und der ist so voll, das ich 'von einer Granate zerfetzt werden' nicht mehr reinkriegen würde, selbst wenn ich es wollte.“
„Wie steht es mit 'erschossen werden'?“
„Auch nicht.“
Aufgehängt werden?“
„Nein.“
Von einer Klippe fallen und ertrinken?“
„Keine Chance.“
Mich veralbern?“
Er verzog das Gesicht zu einer billigen Grimasse. „Das schon eher.“
„Hör auf damit.“ fuhr Manuela ihren Ehemann an. „Ich finde das wirklich nicht lustig. Ich mache mir sorgen.“
George beugte sich über den Tisch zu ihr herüber. „Hör zu. Ich habe sicherlich nicht vor, irgendwo in Gefahr zu geraten, ok? Ich arbeite nur am Zeichenbrett. Den Rest erledigen andere Leute.“
„Trotzdem finde ich, dass du damit aufhören solltest. Es ist gefährlich. Was passiert, wenn dir jemand auf die Schliche kommt?“
Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus, unterbrochen nur durch das zwitschern eines Vogelpärchens, das irgendwo im Garten sein Nest aufgebaut hatte. Der Wind trug das Knattern eines dieselbetriebenen Rasenmähers zu ihnen herüber und Brownie grub schmatzend sein Gebiss in die erbeutete Leberwurst.
„Dann habe ich Freunde, die mir helfen.“ sagte er und wendete seine Aufmerksamkeit der Kanne mit Kaffee zu, die zwischen ihnen auf dem Tisch stand. Aber Manuela wusste, dass er nur ihrem Blick auswich. Genauso wie er es immer tat, wenn er etwas sagte, von dem er nicht überzeugt war. Diese 'Freunde' von denen er immer sprach würden ihm nicht zur Hilfe kommen.
„Du weißt, dass ich nicht einfach Schluss machen kann.“ sagte er schließlich während er den duftenden Kaffee in seine Tasse goss. „Ich will nicht, dass unsere Kinder eines Tages in irgend einen Umsiedlungsprozess gezwungen werden, oder man sie in  unterirdischen Bunker sperren muss, damit sie überleben können.“
„Und warum musst du das unbedingt machen?“
„Manu, wir haben dieses Gespräch doch jetzt bestimmt schon hundert Mal geführt.“ Er seufzte und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. „Weil ich dafür qualifiziert bin.“
„Gibt es keine anderen Leute, die das sind?“
„Und wenn jeder von denen so denkt, wie du? Dann handelt keiner. Und eines Tages blicken wir in den Himmel und sehen nichts anderes mehr, als gelbgrüne Wolken aus denen es schleichenden Tod regnet.“
An diesem Punkt war das Gespräch beendet. Wie jedes Mal wenn sie es bis hierher schafften, ohne sich zu streiten. Manuela kaute unaufmerksam auf ihrem Brötchen herum. Bisweilen hasste sie ihren Mann. Dafür dass er nicht auf sie hören wollte. Dafür, das er so ein Dickkopf war.
Einen letzten Schluck aus seiner Tasse nehmend erhob George sich von seinem Stuhl, schwang sich die Jacke seines Anzugs über die Schulter und gab ihr einen Abschiedskuss. „Ich muss zur Arbeit. Bis heute Abend.“
Manuela sagte nichts. Sie hasste ihren Mann. Dafür, dass er recht hatte und sie es wusste. Zärtlich legte sie die Hand auf ihren Bauch und dachte an die ungeborenen Zwillinge.

* * *

Ein wahrhaft imposanter Anblick. Treffender konnte man den gelben Riesen, der im Augenblick fast zwei Drittel des Bildschirmes an der Raumfront einnahm, nicht beschreiben.
Die langsame, gleichmäßige Rotation ließ den Planeten wie einen sanften Giganten wirken, während die im Sonnenlicht leuchtenden und glitzernden Staubringe dem Anblick eine Form von Magie und Mythos verliehen, die einen Menschen förmlich gefangen nehmen konnte. Und doch brodelte unter der ruhigen Oberfläche ein stürmisches Chaos, eine Naturgewalt, der kaum ein Vergleich gerecht werden konnte.
Was würde Claire dafür geben, diesen Anblick einmal in ihrem Leben mit den eigenen Augen zu erfahren, statt über einen Computermonitor. Da draußen, nur durch ein Fenster von der endlosen tiefe des Raumes getrennt.
Doch ihr Platz war hier unten.
Schnell wischte sie ihre Tagträume beiseite und warf einen Blick auf den Monitor des jungen Technikers der vor ihr saß. Die blinkenden Anzeigen waren vielversprechend.
Allerdings war Claire sich auch darüber im klaren, das sie hier eigentlich nur die Vergangenheit betrachtete. Aufgrund der enormen Entfernung brauchte die Signalübertragung zwischen Erde und Saturn trotz Laserkommunikation annähernd zehn Minuten. Und zehn Minuten waren eine verdammt lange Zeit da draußen. Zeit, in der eine ganze Menge passieren konnte.
„Das Jupiter-6 Relais meldet, die Hermes ist in einen stabilen Orbit um den Titan eingeschwenkt,“ erklärte der Techniker „Triebwerke sind deaktiviert und das Kernsystem wieder eingekoppelt. Die Kühlsysteme sind noch aktiv. Verbrauchter Treibstoff liegt innerhalb der Toleranzen, keine signifikanten Fehler aufgetreten.“
Augenblicklich erfüllte lautes Jubelgeschrei den Raum. Überall um sie herum fielen sich Techniker gegenseitig um den Hals, schlugen ein oder versanken gar in innigen Küssen. Auch Claire konnte sich der überschnappenden Freude nicht verwehren. Es war ein erhabenes Gefühl, der Natur den Kampf anzusagen und siegreich daraus hervor zu gehen.
Erst recht, wenn man zu den ersten Menschen gehörte, denen ein solcher Erfolg gelang. Hier, in diesem  Raum wurde nicht nur Protokolle und Berichte Geschrieben, sondern vor allem Geschichte.
Nur der Techniker vor Claire zeigte keinerlei Gefühlsregung außer extremer Nervosität. Noch immer kontrollierte er mit zittrigen Fingern fast sekündlich die Daten auf seinem Monitor.
Auch wenn Claire wusste, dass es nicht angebracht war, kniff sie ihm freundschaftlich in die Schulter. Der Junge Mann blickte irritiert zu ihr auf.
„Entspannen Sie sich Henry.“ sagte sie lächelnd. „Das war gute Arbeit. Verdammt gute Arbeit sogar.“
Ein unsicheres Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.
„D … danke M'am.“
Eine rothaarige Frau blickte von ihrem Kontrollpult in der Nähe auf und sah herüber. „Wir empfangen eine Einweg-Übertragung von der Hermes. Nur Audio.“
Claire nickte ihr zu. „Auf die Lautsprecher, Lisa.“
Es knackte im akustischen System, gefolgt von einem penetranten rauschen. Es dauerte einige Augenblicke, bis ein verständliches Signal aus den Lautsprechern erklang. „ … ollten wir nur Bescheid geben, dass wir heile angekommen sind! Unseren Berechnungen nach, werden wir wegen der Rotation des Saturn für die nächsten 36 Stunden nicht in Sichtweite zum Jupiter-6 Relais sein. Daher wird keine Kommunikation stattfinden können. Vorab die Kurzform unseres Berichtes: Uns allen geht es gut und die Hermes ist in bester Verfassung. Ich melde mich wieder, sobald ich erneut Kontakt herstellen kann. Hermes Ende.“
„Ein unglaubliches Schiff.“ pfiff Lisa anerkennend.
„Das Beste.“ korrigierte Claire sie und blies sich eine blonde Locke aus dem Gesicht. Angesichts der Tatsache, dass keine staatliche Raumfahrorganisation bisher weiter geflogen war als bis zum Jupiter und die Hermes schon zum zweiten Mal den Saturn angeflogen hatte, würde sich diese Aussage auch nur schwerlich widerlegen lassen.
Applaus ertönte hinter ihnen und der Jubel im Raum verstummte. Der drahtige Enddreißiger der klatschend an der Tür lehnte grinste breit unter seinem Kurzhaarschnitt hervor. „Gut gemacht. Alle miteinander. Dafür lädt die Firma heute Abend zum Dinner ein. Ich hoffe, ihr habt genug Hunger für fünf Gänge.“
„Das ist sehr freundlich, Charly.“ erwiderte Claire. „Richte der Chefetage bitte meinen Dank aus.“
„Ach was.“ erwiderte Charly, strich sich seinen teuren Anzug glatt und trat auf sie zu. „Die Firma weiß eben, was sie an euch hat.“
„Wie läuft der Bau der 'Hermes 2'?“ fragte Claire schnell um das Thema zu wechseln und einem von Charlys obligatorischen Balzversuchen zuvor zu kommen.
„Könnte besser laufen. Die Europäer weigern sich, ihren Vertragsteil zu erfüllen und ihren Raumbahnhof zur Verfügung zu stellen. Dadurch wird der Transport von Waren zur Werft unnötig verzögert.“
„War doch zu erwarten.“ erwiderte Claire. „Nachdem die Hermes die Voyager in allen Belangen deklassiert hat, wird die ESA wohl kaum scharf darauf sein, das wir noch einen oben drauf setzen. Obwohl ich ehrlich gesagt eher damit gerechnet hätte, dass die Chinesen oder Amerikaner Probleme machen.“
Charly winkte ab. „Das Raumfahrtprogramm der Chinesen liegt im Augenblick brach. Die sind froh, dass wir ihren Raumhafen nutzen, sonst würde er nur ungenutzt Kosten verursachen. Sie haben sogar bereitwillig angeboten, den Vertragspart der Europäer zu übernehmen. Und die Amerikaner … die halten inzwischen so viele Aktien an dem Projekt, das eine Verzögerung sie mehr Kostet, als die Blamage, wenn wir wieder mal besser sind als die NASA.“
„Das sind gute Nachrichten.“
„Allerdings. Wenn es so weiter geht wie bisher, läuft die Hermes 2 Ende des nächsten Jahres vom Stapel.“
„Und dann geht es auf in Richtung Uranus?“ fragte Claire scherzhaft.
„Also ich hatte da eher an den Pluto gedacht.“ Charly sah sie an und setzte sein spitzbübisches Frecher-Junge-Lächeln auf. „Wir sehen uns heute Abend. Treffen um Acht Uhr in der Lobby des Verwaltungsgebäudes.“ Damit drehte er sich um um verließ den Kontrollraum.

* * *

Vorsichtig zwängte sich Melvin Anderson durch die enge Einstiegsluke auf den Kommandantensitz der Landekapsel. Obwohl schon das Crewquartier, das ihnen die letzten 8 Monate an Bord der Hermes zur Verfügung gestanden hatte, alles andere als geräumig gewesen war, kam ihm diese Kapsel geradezu winzig vor.
Mühsam presste er seinen Körper in die Sitzschale, legte den Helm auf seinem Schoß ab und wendete sich dem Sicherheitsgurt zu.
„Jetzt weiß ich, wie sich eine Sardine fühlt.“ vernahm er den breiten, deutschen Akzent seines Mechanikers neben sich.
„Zum Glück dauert der Flug nicht all zu lang, Edmund.“ erwiderte Melvin, ohne von seinem wehrhaften Sicherheitsgurt aufzublicken. „In ein paar Minuten ist alles vorbei.“
„Könnten ein paar Minuten zu lang sein, Chef.“
Nach gefühlten tausend Versuchen rastete die Schnalle des Sicherheitsgurtes endlich mit einem deutlich hörbaren 'Klick' ein. Melvin konnte sich angesichts dieses Furiosen Sieges des menschlichen Geistes über die widerspenstige Technik ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Schließlich sah er zu seinem Mechaniker herüber. „Was genau meinst du damit?“
Der stämmige Deutsche, der viel zu groß für das kleine Raumschiff schien, hob den Arm und deutete an Melvin vorbei auf die andere Seite der Kapsel. Der Kommandant folgte dem Arm mit seinem Blick zum dritten Sitzplatz in der Kapsel und sah in das Gesicht einer jungen Asiatin. Ein Gesicht, das den Eindruck erweckte, als würde die Junge Dame gerade zum Scharfrichter geführt.
„Alles in Ordnung, Kazumi?“ fragte Melvin.
Die junge Frau nickte zögerlich, schüttelte dann aber nach einer kurzen Pause den Kopf. „Habe ich jemals erwähnt, das ich an Akrophobie leide?“
Melvin lächelte. „Dafür ist es jetzt etwas zu spät. Aber keine Sorge, wenn Sie unbedingt nach unten wollen, ich garantiere ihnen, das schaffen sie in keinem Gefährt schneller, als in diesem.“
Die Asiatin warf ihm einem Blick zu der unverhohlene Geringschätzung zum Ausdruck brachte. „Ich hoffe, sie nehmen es mir nicht übel, dass ich das weder beruhigend noch lustig finde.“
„Machen Sie einfach die Augen zu und stellen sie sich vor, Sie säßen in der Achterbahn.“ schlug Klein vor.
„Ich war noch nie in meinem Leben in einer Achterbahn!“ erwiderte Kazumi entrüstet. „Und jetzt hänge ich hier in einer Sardinendose, 600 Kilometer über dem Boden! Verdammt, gar nichts ist in Ordnung. Ich habe eine Scheißangst!“
„Wenn Sie Kotzen müssen M'am, setzen Sie bitte zuerst ihren Helm auf.“ witzelte Klein und erntete dafür einen vernichteten Blick der Asiatin.
„Alles klar da unten?“ drang die Stimme eines Bordtechnikers von oben zu ihnen herab. Melvin sah auf und nickte. „Wir sind so weit. Je schneller das hier vorbei ist, um so besser.“
„Gut, viel Glück. Wir sehen uns dann in zwei Jahren wieder.“ Mit diesen Worten schloss der Techniker die Luke. Für einen Moment wurde es stockdüster bis sich die Notfallbeleuchtung einschaltete und die Kapsel in ein dämmriges, blaues Licht tauchte.
„Helme auf und Anschnallen.“ sagte Melvin, verriegelte den Druckverschluss seines Helmes und zog sich den stabilen Haltebügel vor die Brust, bis er einrastete.
„Ich glaube mir wird jetzt schon schlecht. Ich will hier raus!“ sagte Kazumi mit zittriger Stimme.
„Wie viele Abwürfe haben Sie im Training absolviert?“ fragte Melvin. So leid ihm die Asiatin auch tat, empfand er ihr Theater dennoch als unangebracht. Immerhin hatten sie sich alle freiwillig für diesen Posten gemeldet, obwohl sie wussten was vor ihnen lag. Und das schloss den Abwurf über dem Titan inklusive 600 Kilometer freiem Fall nun mal mit ein.
„Keinen. Ich habe es irgendwie geschafft, mich davor zu drücken.“
„Dann heißt es jetzt wohl 'Augen zu und durch.'“
„Aber ich werde sterben!“
„Ich kratze ihre Überreste aus der Schale.“ bot Edmund sich an.
„Extrem witzig.“
Es knackte im Sprechgerät. „In Ordnung Leute. Wir sind gleich in Position. Noch zehn Sekunden bis zum Ausklinken. … neun … acht … sieben ...“
Auch Melvins Puls hatte sich inzwischen deutlich beschleunigt. Krampfhaft schloss er seine Hände um die Haltebügel. Eigentlich war Edmunds Analogie zu der Achterbahn gar nicht so verkehrt – das Kribbeln im Bauch kurz bevor die Fahrt begann war das selbe wie hier oben. Nur das es vermutlich keine Achterbahn im Universum gab, deren Schussfahrt so tief war, wie diese hier.
„sechs … fünf … vier … drei ...“
Angst gehörte dazu, nur wer in der Lage war, über seinen eigenen Schatten zu springen, war auch in der Lage dazu, die Grenzen des physikalisch möglichen zu erweitern.
Er hatte schließlich noch nie mit jemandem gesprochen, der vor einem Abwurf gar keine Furcht verspürt hatte. Unter diesem Gesichtspunkt empfand er es schon als Vorteil, nicht mehr so zu schwitzen, wie bei seinem ersten Testabwurf, bei dem er zu allem Überfluss fast das Bewusstsein verloren hätte.
“... zwei … eins … Ausgeklinkt!“
Mit einem lauten Knall lösten sich die Halteklammern und die Eigenrotation der Hermes schleuderte die Kapsel auf ihren Eintrittskurs. Die Ruckartige Beschleunigung als die Steuerdüsen zündeten presste Melvin in die Sitzschale.
„Jetzt geht’s los.“ presste Edmund hervor.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ hörte Melvin Kazumi über Funk flüstern.
Trotz des Schrecks verliefen die ersten Augenblicke des Fluges ruhig. Das kleine Raumschiff hatte zwar keine Fenster und die internen Kontrollen boten nur ein Minimum an verwertbaren Anzeigen, dennoch wusste Melvin genau, was geschah. Dafür hatte er alles oft genug geübt.
Eine leichte Vibration erfasste die Kapsel, als der Hitzeschild die oberen Atmosphärenschichten des Titan berührten und das Schiff ruckartig abbremste. Die Geschwindigkeitsanzeige auf der Kontrolltafel begann sprunghaft abzufallen und stieg dann wieder an, während das kleine Gefährt durch die Schwerkraft des Mondes rasch beschleunigte.
Je tiefer die Kapsel in die Atmosphäre eindrang, desto stärker wurden die Vibrationen und die Geschwindigkeitsanzeige schnellte zunehmend in die Höhe.
Melvin schloss die Augen und klammerte sich so fest an die Haltegriffe, das seine Hände schmerzten während sein Magen anfing, Kapriolen zu schlagen.
Kazumi schwieg. Vermutlich hatte es ihr genau so die Sprache verschlagen, wie ihm selbst. Aber er konnte sich vorstellen, wie sie Todesängste ausstand, während sie von den Vibrationen des Schiffes in ihrem Sitz hin und her geschleudert wurde.
Scheinbar endlose Sekunden verstrichen bevor ein kraftvoller Ruck durch die Kapsel ging und die Geschwindigkeitsanzeige abfiel um dann wieder zu anzusteigen. 'Der erste Fallschirm', dachte Melvin.
Sekunden später wiederholte sich der ganze Prozess. Als beim Dritten Mal der Bremsschirm aufklappte war der Ruck so heftig, das es Melvin tief in den Sitz presste. Unmittelbar darauf öffnete sich der letzte Gleitschirm und die Kapsel kam allmählich zur Ruhe. Das harte Vibrieren wandelte sich in sanftes Schwanken.
„Sind wir unten?“ erklang Kazumis gequälte Stimme über Funk.
„Noch nicht ganz.“ erwiderte Melvin.
„Können wir noch sterben?“
Eine Sekunde lang war Melvin versucht, ihr die Wahrheit zu sagen, entschied sich dann aber für ein diplomatischeres „Nein.“
Langsam fiel der Höhenmesser ab, während das kleine Raumschiff an seinem Fallschirm zu Boden glitt. Schließlich erfasste eine weitere heftige Vibration die Kapsel, als der Gleitschirm abgesprengt wurde und ein ohrenbetäubendes Heulen von der Zündung der Landetriebwerke zeugte. Kurz darauf setzte die Kapsel unsanft auf dem Boden auf und das Jaulen der Triebwerke erlosch. In der darauffolgenden Stille war nur das Prasseln von Regentropfen auf der Hülle der Kapsel zu hören.
„Sind wir unten?“ fragte Kazumi mit zittriger Stimme.
„Ja sind wir.“ erwiderte Melvin und fragte sich, ob das auch für seine inneren Organe galt, die er beim Absturz zweifellos alle verloren hatte.
Es knackte im Funkgerät. „Hermes hier. Alles klar bei euch?“
Melvin betätigte einen der Schalter an der Kontrolltafel und erwiderte „Der Adler ist gelandet. Wir sind alle wohlauf.“
Einige Sekunden später erklang erneut ein Knacken. „Alles klar. Wir Orten eure Landestelle etwa 2000 Meter westlich des anvisierten Landeplatzes. Das ist innerhalb der Toleranzen, aber ihr werdet ein Stück zu Fuß gehen müssen.“
„Na toll.“ fluchte Kazumi. „Ich will einfach nur raus aus diesem Anzug und eine warme Dusche nehmen.“
„Das wäre mal eine Maßnahme.“ pflichtete Edmund ihr bei.
„Hört mal Leute,“ schnarrte es aus dem Funkgerät, „vermutlich ist es das beste, wenn ihr erst mal den Reaktor der Anlage hochfahrt und die KI in Betriebt nehmt. Sobald ihr es euch da unten gemütlich gemacht habt, klinken wird die Frachtcontainer aus und ihr könnt alles einsammeln, damit ihr auch was zum Beißen habt.“
„Hauptsache ihr zielt mit der Fracht besser, als mit uns.“ erwiderte Melvin bissig. „Ich will mein Abendbrot nicht am Nordpol aufsammeln müssen.“
„Wir geben uns Mühe. Hermes Ende.“
„Also dann, steigen wir aus.“ Melvin erhob sich von seinem Platz und löste die manuelle Verriegelung der Ausstiegsluke. Mit einem ohrenbetäubenden Knall vollzog sich der Atmosphärenausgleich zwischen dem Kapselinneren und der Mondatmospähre.
Die dichte Atmospähre des Titan, drängte wie ein Explosion in das Innere der Kapsel und presste die drei Menschen zurück auf ihre Sitze, als wären sie nichts weiter, als ein Blatt im Wind.
Regentropfen sanken durch die nur teilweise geöffnete Luke in das Innere der Kapsel und zersprangen trommelnd auf dem Visier seines Helmes. Draußen war das heulen kraftvoller Winde zu hören.
Endlich gelang es Melvin, die Luke vollständig zu öffnen und sich aus der Kapsel zu befreien. Aufgrund der großen Distanz zur Sonne lag eine dämmrige Dunkelheit über dem Mond. Normalerweise wäre von hier aus betrachtet der Saturn wohl deutlich heller und deutlicher am Himmel zu sehen als die Sonne, doch die dichte Wolkendecke, die den Titan vollständig umschloss, verhinderte jeden Blick gen Himmel.
Vorsichtig kletterte Melvin die Hülle der Kapsel hinab und setzte seinen Fuß zum aller ersten Mal in seinem Leben auf den Boden eines anderen Himmelskörpers. Im Lichtkegel der Signalscheinwerfer bot sich ihm ein Anblick, der noch weniger als trostlos war. Ein dichter Dunstschleier lag über dem Boden des Mondes, einer toten, harte Kruste aus Eis auf der sich hier und da kleinere Pfützen gebildet hatten.
Und trotz allem fühlte Melvin sich wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal den größten Baum im elterlichen Garten bestiegen hatte.
Hinter ihm schob sich Edmund Klein, prustend und wilde Flüche über die Konstrukteure der Kapsel verhängend, durch die Luke ins Freie. Melvin fragte sich ohnehin wie es der breitschultrige Deutsche geschafft hatte, in die Kapsel hinein zu kommen, ohne in der engen Luke stecken zu bleiben.
Edmund hielt zwei schwere Taschenlampen in der Hand und reichte Melvin eine davon. Der kräftige Lichtkegel schnitt sich mühelos durch den dunstigen Nebel und enthüllte eine Welt, die genau so öd und karg war, wie es die Umgebung der Landekapsel hatte erahnen lassen.
„Wenn es eine Hölle gibt,“ hörte Melvin Kazumis Stimme im Funkgerät, „dann sieht es dort mit Sicherheit so aus, wie hier.“
„Kalt und feucht?“ fragte der Deutsche überrascht. „Sie haben ein seltsames Bild von der Hölle.“
„Ich bin Atheist.“ erwiderte Kazumi. „Die Hölle ist für mich der ultimative Ort an dem  ich nicht sein will.“
Eigentlich hätten sie bereits die Signallichter der Station sehen sollen, doch es war absolut finster. Schon zum sechsten Mal wischte Melvin sich das Helmvisier trocken, nachdem der pfeifende Wind ohne Unterlass den Regen dagegen peitschte.
„Wir müssen in diese Richtung.“ erklärte Edmund nachdem er einen Blick auf den Computer geworfen hatte, den er an seinem Arm trug. „Etwa 2.000 Meter.“
Melvin nickte. „Gut, gehen wir.“
Der Weg führte über nahezu ebenen Boden, Höhenunterschiede von mehr als einem Meter gab es nicht. Trotzdem kamen sie auf dem glitschigen Eisboden nur langsam voran. Die schweren Druckanzüge leisteten ihr Übriges um die kleine Gruppe zu ermüden und auszubremsen.
Das Gelände um sie herum erwies sich als derart eintönig, dass es bereits beim Betrachten Depressionen hervorrief. Sich hier draußen zu verlaufen wäre schon deshalb tödlich, weil es keinerlei Geländemerkmale gab, an denen man sich orientieren konnte.
'Als hätte man die Sahara eingefroren', dachte Melvin.
„Wie kann das eigentlich sein, dass es bei diesen Temperaturen regnet?“ fragte Edmund, der sich schon wieder das Visier sauber wischen musste. „Schnee ja, aber Regen?“
„Haben Sie in den Vorbereitungskursen nicht aufgepasst?“ fragte Kazumi schnippisch, wohl froh darüber sich für die Sticheleien betreffend ihrer Höhenangst rächen zu können.
„Doch schon.“ schnarrte Edmunds Stimme über Funk. „Meistens zumindest.“
„Der Regen besteht nicht aus Wasser, sondern Methan.“ erklärte die Asiatin „Das ist bis -180C° flüssig. Der Boden hier, der besteht aus Wasser.“ Zur Demonstration stampfte sie auf. Der tiefgefrorene Boden knackte nicht einmal.
Erst nach einer guten Stunde Fußmarsch erreichten sie einen niedrigen Kamm hinter dem der Boden sanft zu einer Kraterartigen Vertiefung abfiel. Am Boden der Vertiefung machte Melvin eine Reihe niedriger Kuppelbauten und etwas höher gebaute Türme aus. Auf einem der Türme brannte ein langsam rotierendes Flutlichtaggregat, das sein gleißendes Licht wie ein Leuchtturm in die ewige Nacht hinaus schickte.
„Wir sind da.“ sagte er.
„Na endlich.“ seufzte Kazumi und starrte durch den Nebel Richtung der Anlage. „Irgendwie hatte ich mir das hier größer vorgestellt.“
„Die Station ist zum Schutz vor der Kälte großteils unterirdisch errichtet.“ erklärte Melvin. „Was wir hier sehen, sind nur die Zugangsschleusen, die Entlüftungssysteme und die Sensoren.“
Die Asiatin winkte ab. „Von mir aus eben so. Hauptsache, es gibt fließendes Wasser.“
Der Eingang zur Basis lag ein Stück abseits in einer künstlich ausgehobenen Kuhle. Melvin legte den Manuellen Öffner um und die schwere Tür wurde mit einem elektrischen Summen beiseite geschoben.
Im Inneren der kleinen Schleusenkammer brannte nur eine einzelne, rote Lampe. Mit einem Surren schloss sich die Tür hinter ihnen. Kurz darauf öffnete sich die zweite Schleusentür und gab den Weg in das finstere Innere der Basis frei. Vor ihnen lag ein langgezogener, niedriger Tunnel an dessen Wänden ganze Kabelbündel und Rohre verliefen.
„Irgendwie unheimlich hier.“ bemerkte Kazumi.
„Passen sie auf.“ erwiderte Edmund, „Gleich kommt der Teufel um die Ecke und holt uns.“
„Ich sagte Ihnen bereits, ich bin Atheist.“ protestierte Kazumi. „Ich glaube nicht an den Teufel.“
„Und wer herrscht dann Ihrer Ansicht nach über die Hölle?“
Sie sah Edmund an, schwieg aber.
An der ersten Weggabelung blieb Melvin stehen. „Wir trennen uns. Ich gehe in die Kommandozentrale und kümmere mich um die Stations-KI. Edmund, du bringst den Fusionsreaktor auf Touren.“
Edmund nickte. „Klar, Chef.“
„U … und was mache ich?“ fragte Kazumi.
„Sie haben die Wahl.“ erwiderte Melvin. „Hierbleiben und weiter mosern, oder einen von uns beiden begleiten und sich nützlich machen.“

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« Letzte Änderung: 29.05.11, 14:20 by caesar_andy »

caesar_andy

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Antw:SATURN - Leseprobe
« Antwort #1 am: 25.06.11, 19:29 »
Da hatte ich den Text selber schon fast vergessen.

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Schade drum.

Alexander_Maclean

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Antw:SATURN - Leseprobe
« Antwort #2 am: 25.06.11, 19:51 »
Ich glaube, ich habe es nur angeklickt, aber nicht kommentiert. sry.

hatte viel zu tun.

Zur kritik:

Du schreibst sehr anschaulich. Dadurch wird die Landesequenz sehr real. oder auch die Szene im Kontrollzentrum. Ich frage mich nur, wieder erste teil da reinpasst.
Portfolio
Projekt "One Year a Crew" Status: Konzept 100% Schreiben 28,26% Grafisches 0% Erscheinjahr 2022


ulimann644

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« Antwort #3 am: 25.06.11, 20:42 »
Liest sich durchaus anschaulich - und auch sehr real
Wie die Erste Szene ins Bild passt kann man noch nicht abschätzen. Ein bis zwei kurze Sätze wer Manuela und George sind, wären aber nicht verkehrt.

Fleetadmiral J.J. Belar

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« Antwort #4 am: 25.06.11, 23:38 »
Ich bin im Moment lesetechnisch sehr eingespannt. Ich lese gegenwärtig Alex' Morningstar II und danach Tolayons neuen Serienauftakt. Danach versuche ich an dich zu denken. Aber kanns nicht versprechen. Zwitgleich schreibe ich ja an zwei eigenen Geschichten und hab noch einiges nebenherlaufen. Ich bin eben ein Workoholic, aber ich merke wie ich an meine Grenzen stosse. Ich kann einfach nicht mehr überall was dazu sagen. Was ich persönlich schade finde, aber das war zu erwarten bei steigender Userzahl im Forum. Ich brauche ja alleine schon Tage, um PNs zu beantworten. Es liegt also sicher nicht an desinteresse und eines Tages werde ich mich sicher melden. In ruhigen Stunden stöbere ich nämlich gerne im Forum und schmökere ein wenig.  ;)

Gruß
J.J.
:: MEIN PORTFOLIO:: http://www.sf3dff.de/index.php/topic,1859.0.html
- Si vis pacem para bellum -

RPG Charakter: - Lieutenant Ynarea Tohan / Stellvertr. Sicherheitschef -

 

 

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