Autor Thema: Twin Peaks  (Gelesen 3090 mal)

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Tolayon

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Twin Peaks
« am: 26.06.11, 19:08 »
Meine bisherigen Erwähnungen dieser Serie sind hier nicht gerade auf nennenswerte Resonanz gestoßen, dabei ist David Lynchs "Twin Peaks" die erste große Mystery-Serie der 90er Jahre und genießt zu Recht einen Kultstatus, der trotz des Erfolgs von "Akte X" anhält.

Gerade von letzterer Serie unterscheidet Twin Peaks sich maßgeblich, denn statt einzelner, in sich abgeschlossener Episoden mit dem "Monster/ Alien/ Gespenst etc. der Woche" gibt es eine durchgehende Handlung, bei der fast jede Folge genau einen Tag umfasst. Die komplette, nur sieben Episoden umfassende erste Staffel sowie die erste Hälfte der zweiten Staffel befassen sich mit der Aufklärung des Mordes an der 17-jährigen Laura Palmer, für die der FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) mit dem Sheriff der kleinen Stadt Twin Peaks zusammenarbeitet.
Die fiktive Ortschaft ist eine rustikale Kleinstadt mit etwas über 51.000 Einwohnern an der Grenze zu Kanada. Die Haupteinnahmequelle sind Holzverarbeitung und Tourismus (das "Great Northern" Hotel, in dem auch Cooper sein Zimmer hat). Das Zusammenleben der Bewohner ist von Intrigen und grotesken bis erschreckenden Situationen gekennzeichnet, die Lynch geradezu genüsslich mit den ironisch überhöhten Stilmitteln der (amerikanischen) Seifenoper inszeniert.

Doch auch der Mystery-Aspekt kommt nicht zu kurz: Anstatt Außerirdischer oder klischeehafter Wesen/ Begebenheiten, die man sonst in diesem Genre vorfindet bildet die indianische Mythologie die Vorlage. Diese steht nach der erfolgreichen Aufklärung des Mordes im Mittelpunkt, als Dale Cooper sich und die Bewohner der Stadt gegen seinen verrückt gewordenen Ex-Partner Windom Earle verteidigen muss. Dieser spielt mit Cooper ein buchstäblich mörderisches Schachspiel und sucht nebenbei Zugang zur ominösen "Schwarzen Hütte", einem extradimensionalen Ort an dem laut indianischer Mythologie finstere Mächte versammelt sind, die man sich mit entsprechenden Mitteln zunutze machen kann.
Den Gegenpol zur Schwarzen bildet die "Weiße Hütte", gewissermaßen der Ort an dem die Seelen der Verstorbenen nach diversen Prüfungen gelangen können.

Beiden Hütten ist ein sogenannter "Warteraum" vorgelagert, der von roten Vorhängen geprägt ist und von dem Dale Cooper bereits während der Mord-Ermittlungen Visionen hat. In ihm hält sich ein mysteriöser tanzender Zwerg auf, aber auch die verstorbene Laura Palmer sieht Cooper dort in seiner Vision.
Die normalen Naturgesetze gelten in diesem Raum nicht; die Leute dort sprechen alle sehr seltsam, was dadurch erzielt wurde, indem die Schauspieler/ Synchronsprecher ihren Text rückwärts aufsagten und die Aufnahme anschließend wiederum rückwärts abgespielt wurde. Das Ergebnis ist eine surreal-geisterhafte Version des ursprünglichen Textes.

Die beiden "Hütten" waren auch Forschungsobjekt des geheimen Air-Force-Projekts "Blue Book", an dem auch Ex-FBI-Agent Windom Earle teilnahm.
Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter von "Blue Book" ist Major Garland Biggs (Don "General Hammond" Davis), der allerdings wegen seiner Geheimhaltungspflicht nur stückweise zur Aufklärung der Begebenheiten um die Hütten beitragen kann. Am Ende einer Folge verschwindet er sogar für zwei Tage, was optisch wie eine Entführung durch Außerirdische inszeniert wird, aber in Wahrheit hängt dieser Vorfall mit der Schwarzen und der Weißen Hütte zusammen.

Auch der eigentliche Mörder von Laura Palmer, ein Dämon namens "Bob" der Besitz von Menschen ergreifen kann, stammt aus dem Umfeld dieser Hütten (wahrscheinlich direkt aus der Schwarzen Hütte selbst).

Neben dem oben erwähnten Don S. Davis hat ein weiterer späterer Serien-Star einen, wenn auch nur zwei Folgen dauernden Gastauftritt: Kein geringerer als David Duchovny gibt sich die Ehre als Transvestit und Special Agent Denis(e) Bryson im Auftrag der Drogenbehörde.

Wie in allen Produktionen von David Lynch spielt auch in Twin Peaks die - in diesem Fall minimale, aber stets pointierte und mitreißende - Musik eine tragende Rolle; sie wurde von dem Komponisten Angelo Badamenti erstellt und bildet auch die Grundlage für zwei Alben der Sängerin Julee Cruise, die in der Serie sogar ein paar Gastauftritte in einem Nachtclub hat.
Im folgenden Video erklärt Badalamenti, wie er zusammen das "Laura Palmer"-Thema komponierte, dessen gespenstischen Anfangs-Akkorde von Moby in dessen Hit "Go" verarbeitet wurden:
Badalamenti Twin Peaks Love Theme

SSJKamui

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Antw:Twin Peaks
« Antwort #1 am: 25.07.11, 11:01 »
Also, bisher habe ich von Twin Peaks noch nicht viel gesehen. Der Pilotfilm hat mich etwas überrascht. (Ich hatte gedacht "Was ist das, bin ich jetzt etwa in einer Soap gelandet?")

Diesen einen Kommissar, der von allem beeindruckt war fand ich zum Teil durchaus lächerlich und nervig. Trotzdem wirkte die Serie durchaus interessant und werde weitergucken.

Tolayon

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Antw:Twin Peaks
« Antwort #2 am: 25.07.11, 12:45 »
Das Seifenopern-Element wird wie ich geschrieben habe von David Lynch bewusst übernommen, um es ironisch-verzerrt einzusetzen. Anstatt dabei nur an der Oberfläche zu kratzen, gräbt er oft etwas tiefer und erschafft so ein ziemlich komplexes Netzwerk.
Wie sich im Lauf der Serie noch herausstellt, hat fast jede der gezeigten Personen ihre "Leichen" im Keller; auch wenn die zahlreichen Nebenhandlungen sich kaum direkt auf die eigentliche Haupthandlung auswirken, sind sie doch wichtig für die Gesamtdarstellung dieser Kleinstadt.

Auch in seinen anderen Werken (wie "Lost Highway" oder "Blue Velvet") nimmt Lynch sich die oberflächlich heile Fassade der bürgerlichen Mittelschicht vor und zeigt dann die Abgründe dahinter auf.

Die Begeisterung des FBI-Agenten vor allem für Kaffee und Essen und die dadurch vermittelte vordergründige Naivität tragen bei "Twin Peaks" zum Gesamtkonzept bei; erst durch diese Serie soll übrigens der Donut in Deutschland populär geworden sein.

Es gibt übrigens auch noch einen Film der 1992/93 erschien und quasi als Prequel den Mord an Laura Palmer zeigt.
Wer sich die Auflösung nicht verderben will, sollte "Twin Peaks: Der Film" frühestens nach der Folge ansehen, an der der besagte Mord aufgeklärt wird. Die danach in der Serie in den Vordergrund tretende Handlung wird von dem Prequel bestenfalls beiläufig berührt.

SSJKamui

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Antw:Twin Peaks
« Antwort #3 am: 25.07.11, 12:55 »
Ich meinte, ich hätte auch irgendwo mal gelesen, Twin Peaks war bevor Lynch dazu kam auch als Seifenoper geplant. Lynch hat dann das Konzept in eine neue Richtung geführt.

Beim Thema "Lynch und die Fassaden der bürgerlichen Gesellschaft" fällt mir noch die Familie von Henrys Freundin in Eraserhead ein, die alles andere als Normal wirkten.

ToVa

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Antw:Twin Peaks
« Antwort #4 am: 25.07.11, 16:00 »
In meinen Augen zerfällt die Serie in zwei Teile - die Aufklärung des Mordes an Laura Palmer und den "Rest". Der erste Teil der Serie ist herausragend, der "Rest" ist es leider nicht. Nachdem der Mord aufgeklärt wurde verlieren viele Figuren erkennbar ihre Motivation und driften teils ins absurde ab. Viele wichtige Figuren werden regelrecht ruiniert (Ben Horn, Katherine Martells - Tod und Wiederauferstehung, Leo Johnsons 'Genesung', Josie Packard u.a), andere verlieren fast komplett ihren Sinn (gerade die "jungen" wie Audrey, James und Donna) und bekommen belanglose Nebenhandlungen oder komische Love Interrests. Selbst die Hauptfiguren Truman und Cooper kommen nicht so gut weg, Truman durch seinen "Einbruch" nach Josies Tod und Cooper als er ganz zum Schluss in diese Liebesbeziehung (mit der sehr jungen Heather Graham) stolpert. Die Figur des Windom Earl gibt der Serie eigentlich den Rest...

Ich glaube man könnte fast empfehlen das ansehen der Serie nach Aufklärung des Mordes (Mitte der zweiten Staffel)... lieber sein zu lassen. Ich habe mir die zweite Staffel auch nie auf DVD zugelegt, sondern besitze nur den Anfang (also die ersten 7 Episoden)... der reicht mir zum ansehen völlig. Und ich sehe die Folgen hin und wieder ungemein gerne. Es ist definitiv eine Nach-Null-Uhr Serie und am besten für den Herbst aufheben, mit Rotwein (oder Kaffee und Donuts) und ein paar Kerzen in einer regnerischen Nacht... es ist eine "Feeling" Serie und die kommt durch Qualität, Darsteller, Story, Kamera, Musik..... einfach super gut. Auch nach 22 Jahren noch. Es ist in meinen Augen der Verdienst dieser Serie dass sie den Trend zu Episoden-Übergreifenden Storys etabliert hat (wenn auch im Krimi-Umfeld), der etwas später auch in SF Serien wie Babylon 5 oder DS9 sehr gute Stories/Nachahmer fand.

Mein absoluter Held ist übrigens immer noch Albert Rosenfield. In diesem Sinne,
"Guck Coop, _es_ denkt!"

 

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