Autor Thema: Thomas Ligotti - Horror und Dark Fantasy  (Gelesen 3238 mal)

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Tolayon

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Thomas Ligotti - Horror und Dark Fantasy
« am: 26.05.12, 12:42 »
Gerade weil dieser Autor einer breiten Öffentlichkeit so unbekannt ist, verdient er hier seinen eigenen Thread.
Geboren 1953 in Detroit und dort auch aufgewachsen, graduierte Thomas Ligotti 1975 als Bachelor in Anglistik und arbeitete daraufhin als Lektor.

Der Einfluss des Studiums auf sein Werk ist unverkennbar; Ligotti beweist in seinen Werken einen hohen literarischen und stilistischen Anspruch und entpuppt sich als wahres Chamäleon, was die Sub-Genres des Horrors und der dunklen Phantastik betrifft.
Viele von Ligottis Geschichten lehnen sich an den von H. P. Lovecraft ins Leben gerufenen Cthulhu-Mythos an und sind teilweise sogar als eine direkte Hommage an Lovecraft und dessen unheimliches Universum geschrieben.

Andere Autoren scheinen aber einen kaum minder großen Einfluss auf Thomas Ligotti zu haben; neben Edgar Allan Poe sind auch europäische Vertreter wie Franz Kafka und Vladimir Nabokov zu nennen.

Trotz seines ungeheuren Talents, das Ligotti zu einem Bestseller-Autor machen könnte, bevorzugt er es, seine Werke nur in kleinen Auflagen erstzuveröffentlichen. Bescheiden gibt er an, lieber durch einen Lottogewinn zum Millionär werden zu wollen als durch den Verkauf seiner Bücher.

Ein weiteres Merkmal von Ligottis Schaffen ist die Kooperation mit Vertretern anderer Kunstrichtungen. Mit dem befreundeten Musiker David Tibet von Current 93 erschuf er in den 90er Jahren ein Gesamtkunstwerk, in welchem Musik und Ligottis Texte miteinander verschmolzen.
In den 2000er Jahren erschien die bislang zweibändige Graphic Novel "The Nightmare Factory", welche auf Ligottis Erzählungen beruht.


Meinen persönlichen Erstkontakt mit Thomas Ligotti hatte ich in Gestalt des Erzählbandes "Die Sekte des Idioten" (DuMonts Bibliothek des Phantastischen, 1992). Dieser dürfte inzwischen wohl nur noch gebraucht zu kriegen sein, aber die neueste Sammlung "Das Alptraum-Netzwerk" (Blitz, 2003) könnte noch verfügbar sein - ich selbst habe noch nicht nachgesehen.

Weitere Informationen - inklusive einiger englischsprachiger Ausschnitte aus Ligottis Werk - gibt es unter diesen zwei Links:

-> Thomas Ligotti (Wikipedia)

-> Thomas Ligotti Online

Tolayon

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Antw:Thomas Ligotti - Horror und Dark Fantasy
« Antwort #1 am: 30.05.12, 18:03 »
"Das Alptraumnetzwerk" war bei Amazon noch neuwertig verfügbar und heute ist das Buch angekommen. Es enthält drei Geschichten, von denen die erste schon den Umfang eines kleinen Romans hat. Thematisch widmen sie sich alle der globalisierten Geschäftswelt, und das erste Anlesen verspricht einen starken satirischen Charakter (ich stelle mir gerade einen Cthulhu im Nadelstreifen-Anzug vor ;)).

Eine ausführlichere Rezension wird hier wahrscheinlich demnächst folgen. Ich kann zumindest schon jetzt sagen, dass der Stil sich von den älteren Geschichten aus der DuMont-Sammlung abhebt, aber ich habe ja bereits erwähnt dass Ligotti ein stilistisches Chamäleon ist.

Tolayon

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Antw:Thomas Ligotti - Horror und Dark Fantasy
« Antwort #2 am: 31.05.12, 13:09 »
"Das Alptraum-Netzwerk" war so spannend, dass ich es schon jetzt komplett durchhabe - und ich muss sagen, es ist trotz aller neuen Elemente und der Konzentration auf die Geschäftswelt typisch für Thomas Ligotti. Denn es gibt diverse Verweise auf Elemente seiner älteren Geschichten, und vor allem ist auch hier die Grundatmosphäre wieder unverkennbar, wenn auch ohne die alten, schwarzromantischen Ingredienzen, die hier alle durch eine bissige Satire ersetzt wurden.

Kurz zum Inhalt der drei Einzelgeschichten:
  • "Meine Arbeit ist noch nicht erledigt" ist der bereits angekündigte Anfang und für Ligotti-Verhältnisse eine extrem lange Novelle (man könnte auch schon sagen Roman).
    Der Protagonist und Ich-Erzähler, ein Karrieremensch mit Zwangsneurosen und psychopatischen Anwandlungen, wird von seinen Kollegen und Vorgesetzten zur Kündigung gemobbt. Auf seinem daraufhin folgenden Rachefeldzug stehen ihm übernatürliche Kräfte zur Seite, die es ihm erlauben seine kranken Fantasien ungehemmt auszuleben.

  • "Ich habe einen speziellen Plan für diese Welt"
    Die Umstrukturierung einer Firma für Dokumenten-Manipulationen nimmt mörderische Ausmaße an, und der Ich-Erzähler ist auch hier nicht der harmlose Angestellte, als der er zunächst auftritt.

  • "Das Alptraum-Netzwerk"
    Statt einer zusammenhängenden Geschichte wird hier eine Sammlung aus fiktiven Stellenanzeigen, Memos und internen Berichten präsentiert, die alle den Aufstieg und Niedergang eines Giga-Konzerns beschreiben, der sein Geld anscheinend mit der Vermarktung von Albträumen verdient.


Grundsätzlich sei zur speziellen Atmosphäre in Thomas Ligottis Werken noch Folgendes gesagt:
Die Verlorenheit des Menschen in einem unendlichen Raum der Leere bzw. übernatürlicher Protagonisten erinnert wie schon erwähnt an H.P. Lovecraft, geht hier aber noch viel weiter. Während bei Lovecraft und den meisten anderen Autoren die reale und die übernatürliche Welt klar voneinander abgetrennt sind - was eine Bekämpfung des "Bösen" immens erleichtert - ist bei Ligotti das Unheimliche omnipräsent und mehr oder weniger verdeckt ein "ganz normaler" Teil des Alltags.

Dadurch ist eine konkrete Trennung in "Gut" und "Böse" nicht mehr möglich, die vermeintliche Realität (oder was von ihr übrig ist) entpuppt sich stets als hauchdünne Fassade, hinter der eine alles verschlingende Leere brodelt und der jederzeit jeder zum Opfer fallen kann.

Der mit dieser Grundannahme verbundene Negativismus verhindert letzten Endes wohl auch Ligottis Durchbruch als kommerziellen Autor, denn die Durchschnittsleser wollen zumindest einen positiven Hoffnungsschimmer, einen überlebenden "Helden", der schließlich wieder in die behütete Normalität zurückkehrt.

 

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