Amelie war immer wieder erfreut, wenn Sarah und Esther bei ihr "zu Besuch" waren.
Richards Zwillinge waren fast zum Knuddeln und scheinbar fühlten sie sich bei ihr durchaus wohl.
Etwas, worauf Amelie in ihrer Karriere immer viel wert gelegt hatte.
Da sie Kinderheilkunde studiert hatte, war es auch fast zwingend erforderlich, mit Kindern als Patienten gut klar zu kommen.
Das war zwar nicht immer so einfach wie im Falle von Sarah und Esther, aber oft genug war es immer ein Vergnügen für Amelie.
Irgendwann - vielleicht - würde sie eigene Kinder haben; sollte sie jemals einen Partner finden.
Aber im Moment konnte Amelie sich eine Beziehung mit einem männlichen Wesen nicht vorstellen.
Außerdem war sie in Eliza verknallt.
Und sollte diese Beziehung eine Chance auf Bestand haben, erübrigte sich das Thema für sie gänzlich.
Und Amelie musste sich selbst gegenüber zweifellos einräumen, dass sie lange nicht mehr so glücklich gewesen war, wie letzte Nacht.
Eliza Crown war in Amelies Augen genau die Richtige; zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht.
Ein verträumtes Lächeln huschte über Amelies Lippen, ehe ihre Xindi-Kollegin ihr Büro betrat:
"Oh, sie sind noch hier?", stellte Mosr'anangq'uaig'ht fest. "Noch viel Arbeit?"
Amelie hatte gar nicht mitbekommen, dass die Insektiode in ihr Büro gekommen war.
Sie hatte ihre blanken Füße immer noch auf dem Tisch liegen.
"Nein, eigentlich nicht.", antwortete Amelie, zog sofort die Füße vom Tisch und ließ sie wieder in die Sandalen, die unter dem Tisch bereit lagen, gleiten. "Nur ein wenig Papierkram."
"Hätten Sie ein paar Minuten Zeit?"
Amelie hatte schon vor einiger Zeit die Protokolle auf der Krankenstation ein wenig...
angepasst.
Sie war kein Freund einer zu formellen Politik.
"Natürlich.", sagte sie. "Nehmen Sie Platz.", und deutete auf einen der freien Sessel vor ihrem Schreibtisch.
"Danke, aber ich ziehe es vor, zu stehen.", sagte Mosr'anangq'uaig'ht klickend.
"Ganz wie Sie möchten."
"Dann gehe ich davon aus, dass ich offen sprechen kann?", folgterte Mosr'anangq'uaig'ht.
"Aber sicher.", ermunterte Amelie ihre Kollegin. "Was haben Sie auf dem Herzen?"
Mosr'anangq'uaig'ht sagte etwas Unverständliches, das wie ein kurzes Schnattern klang.
Der Universaltranslator konnte es aber nicht decodieren.
"Könnten Sie das wiederholen?", fragte Amelie freundlich.
Sie ging nicht davon aus, dass es etwas Unhöfliches gewesen war.
Waren Xindi-Insektoide aufgebracht oder Ähnliches, hätte sich der Ton ihrer Klickgeräusche deutlich erhöht und sie hätte mit ihren Armen hektisch gestikuliert.
Das war jetzt nicht der Fall, daher vermutete Sie, dass es wohl nichts war, worüber Sie sich Sorgen machen musste.
"Tut mir leid, Doc.", sagte Mosr'anangq'uaig'ht. "Ich fürchte, ich muss mir von einem unserer Techniker mal meinen Translator neu justieren lassen.
Er hat in letzter Zeit wohl Fehlfunktionen."
"Okay."
Sie nickte kurz heftig mit dem Kopf, ehe sie weitersprach:
"Ich hoffe, ich habe Sie nicht irgendwie beleidigt, Commander."
Amelie war verwundert.
Wie kam ihre Assistentin zu dieser Vermutung?
"Nein.", sagte sie sofort. "Nein, wie kommen Sie darauf?"
"Nun ja, mir ist aufgefallen, dass sie in letzter Zeit häufiger Distanz zu mir halten. Und daher komme ich zu dieser These."
Amelie schluckte.
Sie hatte - trotz ihrer Phobie vor Insekten - stets größten Wert darauf gelegt, sich diese nicht anmerken zu lassen, besonders nicht, wenn Mosr'anangq'uaig'ht in ihrer Nähe war.
Scheinbar war ihr das nicht gelungen.
Am liebsten wäre sie jetzt im Boden versunken.
Nichts beschämte sie mehr, als wenn Sie sich dabei ertappte, Angehörige fremdartiger Spezies in irgendeiner Weise - selbst wenn es unbewusst war - schlecht zu behandeln. So geringfügig die Art und Weise auch sein mochte.
"Oh nein.", sie stützte ihren Kopf in die Handfläche, atmete kurz tief durch. "Nein, Doktor. Sie sind da völlig auf dem Holzweg."
Sie blickte die Xindi direkt an:
"Es tut mir sehr leid. Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann bin ich das."
Mosr'anangq'uaig'ht klickte verwirrt, während sich ihre beiden Fühler aufrichteten:
"Warum denn das?"
"Es ist mir ein wenig peinlich, darüber zu sprechen.", gestand Amelie ein. "Ich leide seit meiner Kindheit an Insektenphobie."
Ihre Kollegin legte den Kopf schief.
Ihre Kieferzangen öffneten und schlossen sich:
"Oh. Das wusste ich nicht."
"Ich möchte Sie ganz offen um Verzeihung bitten.", sagte Amelie. "Ich hatte niemals die Absicht, Sie in irgendeiner Form durch dieses Verhalten zu beleidigen. Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie dadurch irgendwie gekränkt haben sollte."
"Oh, das muss Ihnen nicht leid tun.", beruhigte die Xindi sie. "Das ist ja nicht ihre Schuld. Es ist nur eine Phobie und beruht nicht auf irgendwelchen Vorurteilen."
"Dennoch.", Amelie hob ihre Hände. "Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel. Ich werde in Zukunft daran arbeiten, diese... Phobie zu überwinden."
"Es ist sehr mutig, sich seinen Ängsten zu stellen.", meinte Mosr'anangq'uaig'ht. "Falls ich Ihnen dabei irgendwie helfen kann, würde es mich freuen."
Amelie stellte fest, dass sie die Xindi völlig falsch eingeschätzt hätte.
Sie hatte eher damit gerechnet, dass sie enttäuscht oder vielleicht sogar wütend reagiert hätte - aber so verständnisvoll...
Sie überwand ihre Furcht und streckte Mosr'anangq'uaig'ht die Hand über dem Tisch entgegen.
"Was halten Sie von einem Neuanfang unserer Arbeitsbeziehung?"
"Sehr gerne."
Sie ergriff - erstaunlich sanft - Amelies Hand und verwundert stellte diese fest, dass sie sicht nicht einmal irgendwie dazu überwinden musste.
"Gut.", Mosr'anangq'uaig'ht setzte sich wieder ein Stück auf. "Und nun,...", ihre Fangarme deuteten unter den Tisch: "erzählen Sie mir vielleicht etwas über Ihre neue,... Freundschaft?"
"Wenn Sie das möchten.", setzte Amelie an. "Aber aus Rücksicht auf die Wünsche meiner... Partnerin, kann ich Ihnen leider nicht sagen, wer dieser Jemand ist."
"Das respektiere ich.", meinte die Xindi. "Aber es gibt ja sicher andere Bereiche, über die man sich austauschen kann."
"Ja, warum nicht?", stimmte Amelie zu. "Sind sie eigentlich verheiratet?"
"Verheiratet?"
Das würde kompliziert werden.
"Haben Sie einen Partner oder mehrere?"
"Oh ja.", Mosr'anangq'uaig'ht nickte mit dem Kopf. "Aber die leben alle in unserer Heimatwelt oder in Kolonien."
"Also leben Insektoide in Vielehen.", folgerte Amelie.
"Das könnte man so sagen. Wir binden uns jedoch nicht an einen Gefährten. Wir leben in Großfamilien."
"Das ist faszinierend."
"Ja.", stimmte Mosr'anangq'uaig'ht zu. "Aber ich kann Ihnen sagen, manchmal ist es auch ein wenig,... anstrengend. Zum Beispiel wenn man mit vielen... Verwandten gleichzeitig in einem Raum ist."
"Wenn ich fragen darf:", sagte Amelie. "Haben Sie,... Kinder?"
"Oh ja.", meinte Mosr'anangq'uaig'ht, während ihre Zangen vibrierten; ein Äquivalent zur Schwärmerei.
"Dreizehn."
"Oh.", Amelie stützte ihr Kinn wieder auf eine Hand. "Eine Großfamilie also."
"Nein, die Menge ist noch sehr überschaubar.", erklärte ihre Kollegin. "Aber meine Jungen sind schon alle flügge. Wir Insektoiden leben sehr lange - bis zu dreihundert Jahre. Und ich bin noch nicht mal zweihundert."
"Hm,... ich hätte Sie keinen Tag älter als hundert geschätzt."
"Ich mag ihre Form von Humor, Doktor.", erwiderte die Xindi heftig nickend.
"Vielen Dank."
"Wenn ich fragen darf: Haben Sie eigentlich Junge?", meinte Mosr'anangq'uaig'ht.
"Kinder.", folgerte Amelie. "Nein. Ich habe mein Leben sehr früh der Medizin und der Sternenflotte verschrieben. Ein Raumschiff ist sicher nicht der allerbeste Ort für Kinder."
"Ich schätze, Commander Harris wird Ihnen da widersprechen."
"Gutes Argument."
Amelie dachte nach.
Ja, sie hatte sich eigentlich irgendwann mal Kinder gewünscht - der Wunsch existierte immer noch.
"Wie soll ich sagen,...", ganz unbewusst streckte sie ihre Beine wieder auf dem Tisch aus. "für mich hatten die Patienten und die Medizin immer Vorrang, wissen Sie?"
"Aber sie sind zweifellos,... interessiert.", meinte Mosr'anangq'uaig'ht ein wenig undeutlich.
"Was meinen Sie?"
Die Xindi streckte vorsichtig einen ihrer Arme in Richtung von Amelies Füßen aus:
"Sie zeigen doch, dass sie auf der Suche oder in einer Beziehung sind."
Amelie hatte keine Ahnung, dass Mosr'anangq'uaig'ht diese kulturelle Eigenart bekannt war.
"Oh.", ein wenig verlegen zog sie ihre Füße wieder vom Tisch. "Ich wusste nicht, dass Ihnen die Paarungsrituale meines Volkes bekannt sind."
"Paarungsrituale sind ein Hobby von mir.", erklärte Mosr'anangq'uaig'ht. "Da war es nicht schwer, zu erkennen, dass sie derzeit... auf der Suche sind."
"Das ist manchmal ein Nachteil bei uns Sagitta. Einem Menschen oder einer Bajoranerin würde man das zweifellos nicht sofort ansehen."
Die Insektoide klickte ein paar mal mit ihren Kieferzangen, blickte dann auf einen tragbaren Computer, den sie am Handgelenk trug:
"Ich würde sehr gerne diese Unterhaltung fortsetzen, aber ich habe ein Experiment im Labor am laufen."
"Natürlich.", sagte Amelie förmlich. "Was halten Sie davon, wenn wir sie einfach vertagen?"
"Sehr gerne, Doktor."
Mosr'anangq'uaig'ht wandte sich zum Gehen um.
"Mosr'anangq'uaig'ht.", Amelie erhob sich von ihrem Platz, woraufhin die Xindi stehen blieb und den Kopf drehte.
"Ich bin sehr froh, dass wir dieses,... interkulturelle Missverständnis ausräumen konnten."
"Ich ebenfalls,...", antwortete ihre Kollegin und fügte nach ein paar Sekunden hinzu: "Ameli-e."
Dann machte sie sich wieder auf den Weg zurück ins Labor.
Amelie ließ sich wieder in ihren Sessel zurückfallen, legte ihre nackten Füße wieder auf den Tisch.
"Na das war ja eine interessante Unterhaltung.", meinte Sie. "Vielleicht die Chance, diese verdammte Phobie endlich loszuwerden. Ich trage sie schon viel zu lange mit mir herum."
Sie wandte sich an den Replikator hinter ihrem Tisch:
"Computer, eine Tasse Latté Macchiato. Mit Amaretto Aroma."
Ihr Arm griff nach hinten und nachdem sie den Henkel der Tasse zu fassen bekam, stellte sie das Trinkgefäß auf ihren Schreibtisch.
Am Computer rief sich die Ärztin anschließend ihren Terminkalender auf:
- 11:00 =A= Dienstberichte bearbeiten
- 12:00 =A= Mittagspause
- 13:00 =A= Routinecheckups Besatzungsmitglieder X-Z (letzte Gruppe für dieses Jahr)
- 16:00 =A= Auswertung von Experimenten im Biolab (mit P'Lor und Sullivan)
- 18:00 =A= Fitnesstraining (nicht schon wieder vergessen !!)
- 20:00 =A= Feierabend
- 21:00 =A= freie Zeit (vielleicht mit Liz =) )
- 00:00 =A= ab ins Bett - nicht wieder Überstunden machen!!
Alles noch überschaubar.
Der Tag hatte wunderbar begonnen. Vielleicht würde es auch den Rest des Tages so bleiben...
David in "interkulturelle Missverständnisse"