
Es begann in dem Moment, als Hykes auf der Oberfläche das Tastenfeld berührte. Von einem Wimpernschlag zum anderen brach auf dem Schiff die Hölle los. Eine Welle schien durch das gesamte umliegende All zu gehen und schwappte über die Estrella Del Alba hinweg. Sämtliche Sensoren begannen gleichzeitig Alarm zu schlagen - vom einfachen Gravimetrie-Verzerrungs-Scanner, über den Subraum-Druckspektrometern, bis hin zum Gammafrequenzzähler; sie alle erwachten synchron und sehr vehement zum Leben und mit ihnen wechselten sämtliche Systemanzeigen auf Jasmines Konsole vom nominalen Grün zu einem äußerst bedenklichen Rot – und nicht nur auf ihrer. Es geschah überall auf der Brücke. Hundert Anzeigen begannen zu wild blinken, die Kontrollkonsolen piepten wie verrückt und tausend Sachen buhlten gleichzeitig um die Aufmerksamkeit der verblüfften Offiziere.
Auch Jasmine wusste überhaupt nicht, auf welche der Kolonnen an Datenreihen, die plötzlich über ihre Monitore jagten, sie zuerst blicken sollte. Sie verspürte ein merkwürdiges Prickeln auf der Haut, und irgendetwas in ihrem Schädel pulsierte wie ein schlagendes Herz, und sie hatte den Eindruck, dass das Licht weicher wurde, war sich aber nicht sicher. Eine enervierend ruhige Computerstimme teilte ihr plötzlich mit, dass der Datenprozessor überlastet war. Jasmine blickte auf das Druckspektrometer – und erschrak. Ihr wurde ein... Ereignis angezeigt, dass so massiv und energiereich war, dass es den Subraum in der Nähe regelrecht umzustülpen schien.
Sie hatte genug vom Basistraining mitbekommen, um in etwa zu wissen, was eine Subraumverzerrung war; eine vom Normalraum auf den Subraum übertragene Erschütterung nämlich, die eine geringfügige Verschiebung der Subraumschichten zur Folge hatte, ohne aber einen Bruch oder Riss zu verursachen. Wie das Vibrieren einer Stimmgabel klang ein solches Phänomen örtlich und zeitlich begrenzt.
Was ihr jetzt aber angezeigt wurde, ging weit über ein solches Phänomen hinaus. Es schien sich eher um einen Riss in der Raumzeit zu handeln, denn ihr wurde ein Aufkommen an Chronitonparkikeln weit jenseits der Skalen angezeigt. Und das Phänomen... schien sich zu bewegen?!
Jasmine blendete das einsetzende Stimmgewirr hinter ihr aus und versuchte die Daten rasch zu bestätigen in dem sie die laterale Sensorenpalette an Backbord hinzuschaltete, doch alles, was der Computer ausspuckte, waren widersprüchliche Werte. Im einen Moment registrierte er das Phänomen noch, im nächsten zeigte er an, dass da nichts war, und unmittelbar darauf, hatte er es wieder erfasst.
„Was zum...?“
War da jetzt etwas, oder nicht? Es kam ihr vor, als würde sie ein Sensorecho verfolgten, aber ein Echo sorgte nicht für
solche Daten. Sie schüttelte fassungslos den Kopf. Es ging alles zu schnell und zu chaotisch, um allein mithilfe der Instrumente Klarheit zu erlangen, also ließ Jasmine den Verzerrungsscanner mit fliegenden Fingern nicht nur den Kurs des Phänomen ermitteln – er führte durch das gesamte System und nach dem Einschlagen eines scharfen Knicks direkt auf Veridian III zu -, sondern auch seine gegenwärtig vermutete Position. Ohne zu zögern, richtete sie sämtliche Sensoren auf diesen speziellen Ort, und nur zwei rasche Eingaben später hatte sie ein Bild extrapoliert. Sie legte es auf den Hauptschirm und drehte sich um, nicht wissend, was sie erwarten sollte.
Ihr Kiefer klappte herab.
Sie hatte noch nie zuvor in ihrem Leben etwas derart... schönes gesehen. Da draußen, direkt vor ihnen, war ein helles Gleiten in Form eines gewaltigen breiten... Bandes, das aber keine festen Umrisse zu besitzen schien, sondern sich in einer fast ununterbrochen fließenden Veränderung befand, ganz so, als wäre es lebendig. Es war umgeben von einer rotleuchtenden Korona aus unzähligen peitschenden Tentakeln , die das Weltall zu allen Seiten abzutasten schien.
Aus seiner weißen, halbtransparenten Hauptmasse, in der Jasmine für einen Moment lang... Dinge zu sehen glaubte - Schiffe? -, strahlte ein unglaublich warmes Licht, das über die Brückenbesatzung hinwegschappte, wie eine wohltuende Welle aus reiner Energie. Niemand sprach.
Auch Jasmine konnte sich der ätherischen, geradezu fesselnden Wirkung, die davon erzeugt wurde, nicht entziehen. Für die Zeitspanne einer Sekunde, einer Minute, oder vielleicht auch einer Millionen Jahre, vergaß sie alles; die Uniform, den Dienst, wo sie sich befand, ja selbst, wer sie war. Nichts davon war noch wichtig, nichts davon spielte eine Rolle.
Sie verlor sich ganz in dem strahlenden Licht, in dem die Engel sangen, und ein Universum der Tausend Möglichkeiten sie mit einer Umarmung willkommen hieß – ein Universum, das die ewige Existenz all jener versprach, in deren Gegenwart sie sich wohl und geborgen fühlte. Ihre Eltern waren dort. Und Rock, ihr geliebter Lematya, dem sie auf Vulkan vor ihrem Eintritt in die Sternenflotte hatte Lebe Wohl sagen müssen. In dem Licht würde sie es nie wieder tun müssen. Dort gab es keine Abschiede. Nur ein ewiges Beisammensein mit all jenen, die sie am meisten liebte. Sie wusste nicht, woher sie dieses Wissen bezog, aber es war da, und es war überwältigend. Sie spürte mit jeder Faser ihres Seins, dass sie nie wieder im Leben etwas anderes brauchen würde, als die Wärme dieses Ortes.
Doch der Moment verging. Das Phänomen verlor mit einem Mal an Kontur und wurde durchsichtig, wie ein Holodeckfigur, die man aus dem Programm entfernte. Schließlich verschwand es einfach. Das Licht verblasste mit ihm, und dadurch auch die bannende Wirkung. Das Prickeln auf der Haut ließ nach, und alles kehrte in den Normalzutand zurück.
Der Spuk hatte ein Ende.
Vom einem auf den anderen Moment war da nur noch leerer Raum auf dem Bildschirm, und auch die Sensoren verstummten und zeigten nichts mehr an.
Jasmine, die sich gerade wieder ihrer Körperlichkeit bewusst wurde, blinzelte, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht. Vielleicht war sie das.
Eine sonderbare, schwer in Worte fassende Stimmung hatte von ihr Besitz ergriffen; irgendetwas zwischen Glück, Zufriedenheit und Melancholie. Verwirrt sah sie sich auf der Brücke um. Auf den Gesichtern der anderen spielten sich ganz ähnliche Empfindungen ab. Was immer gerade geschehen war; Jasmine hatte nicht geträumt. Sie hatten alle das Gleiche erlebt.
Sie fasste sich schnell wieder, verbannte die merkwürdigen Empfindungen in den hintersten Teil ihres Bewusstseins, und war bereits wieder mit der Datenanalyse beschäftigt, als auch die anderen Offizire aus dem... was auch immer erwachten. „Was war das?“, hörte sie hinter sich jemanden fragen - den Captain?
Jasmines Finger flogen über das Schaltpult. „Unbekannt.“, antwortete sie, ohne den Blick von den Anzeigen zu nehmen. „Die Sensoren geben widersprüchliche Daten von sich, aus denen ich nicht schlau werde. Was immer wir da gerade auf dem Hauptschirm gesehen haben - es scheint die gleiche Erscheinung gewesen zu sein, die dieses System vor sieben Jahren durchkreuzt hat. Kurs, Geschwindigkeit, Abmessungen – alles ist mit dem Energieband von damals identisch.“ Nun wandte sie sich doch noch dem Captain zu. „Ich glaube aber, wir sind nicht Zeuge einer erneuten, physischen Manifestation dieses Energiebandes geworden, Sir, sondern von einer Art Echo-Effekt" Und was für einer, fügte sie in Gedanken hinzu. Lauter sagte sie: "Ich habe aber nicht die geringste Ahnung, was das ausgelöst haben könnte.“