Autor Thema: [RPG] Anderswo  (Gelesen 3925 mal)

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[RPG] Anderswo
« am: 25.05.15, 22:00 »
[RPG – Anderswo]

Unbekannter Ort.

Donner krachte vernehmlich und beinahe gleichzeitig spaltete draußen ein Blitz den Himmel und tauchte die Trophäenwand in ein stroboskopisches Flackern, das den afrikanischen Masken, die dort hingen, Leben einzuhauchen schien. Sie verzogen für den Bruchteil eines Augenblicks die Brauen, runzelten die Stirn, stülpten die Lippen vor, und blickten sie vorwurfsvoll an.
Marilyn hatte die Masken von Anfang an nicht gemocht und es gehasst, dass sie ihr bei allem zusahen – das galt besonders für jene, die drüben im Schlafzimmer hingen, das sie früher mit ihrem Mann geteilt hatte. Sie kam sich beobachtet vor und in ihrer Intimsphäre gestört.
Einmal hatte sie versucht, diese hässlichen Dinger abzunehmen, nicht nur Probeweise, sondern mit der ernsthaften Absicht, sie in irgendeinem Müllschlucker verschwinden zu lassen. Just in diesem Moment war ihr Mann aus dem Badezimmer gekommen, und sie hatte sich ertappt gefühlt, wie ein Kind, das mit der Hand in der Keksdose erwischt worden war. Und ihr Mann hatte sie auch genau so behandelt. Sie hatte ihn noch nie schreien gehört, und er hatte auch an jenem Tag nicht geschrieen, aber trotzdem hatte sie sich ein Donnerwetter anhören können, das dem, das heute schon seit Stunden über der Kolonie niederging, in nichts nachstand. Marilyn seufzte bei der Erinnerung. Sie war gewiss nicht auf den Mund gefallen, und selten irgendjemandem irgendeine Antwort schuldig geblieben, aber ihrem Mann gegenüber, hatte sie an jenem Tage keine Widerworte herausgebracht, so betroffen hatte sie seine Empörung gemacht.
Schließlich hatte er sich neben sie auf das Bett gesetzt, und sie umarmt, und ihr uralte Geschichten erzählt, von Ritualen und Ahnenkult und natürlich von den Masken, die er auf seinen Reisen mit nach Hause gebracht hatte.
Seine verdammten Reisen.
Sie hatte ihn immer davor gewarnt, dass sie ihn eines Tages umbringen würden, und schließlich war es auch geschehen, wenn auch auf gänzlich andere Art, als einer von ihnen beiden gedacht hätte.
Nein, korrigierte Marilyn.
Nicht die Reisen, waren schuld. Das, was sie aus ihm gemacht hatten. Dabei wäre es so einfach gewesen, ihm zu helfen. Warum hatten sie ihm nicht geholfen? Sie hatten Marilyn versichert, hoch und heilig versichert, sich um ihn zu kümmern. Das wird wieder, hatten sie gesagt. Unsere Psychologen sind an der Sache dran. Er ist in wunderbaren Händen.
Leere Worte.
Nichts hatten sie unternommen. Gar nichts. Bis es zu spät war, und er keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte, als...
Schluss!
Marilyn verscheuchte die grässlichen Gedanken. Noch vor wenigen Tagen wären sie von furchtbarer Trauer begleitet gewesen, und die Trauer hatte sie auch mehr als nur einmal übermannt und als wimmerndes Wrack zurückgelassen. Jetzt nicht mehr. Inzwischen hatte sie so viele Tränen vergossen, dass nur noch Leere zurückgeblieben war.
Zunächst.
Für einen kurzen Zeitraum hatte es sogar so ausgesehen, als gäbe es einen Hoffnungsschimmer; die Forschungen des Doktors hatten auch äußerst vielversprechend geklungen. Auch ihm war der Lebenspartner geraubt worden, und auch er hatte nach Möglichkeiten gesucht, diese Ungerechtigkeit ungeschehen zu machen. Sie waren sich auf der Beerdigung ihres Mannes begegnet. Offenbar hatte der Doktor ihn von früher gekannt. Er war ganz aufgekratzt gewesen, hatte ihr seine Forschungen mitgeteilt, und Marilyn hatte sich recht bald von seiner Begeisterung anstecken lassen, und ihm schließlich die nötigen Mittel zukommen lassen, damit er sein Experiment starten konnte. Viel hatte er nicht gebraucht; ein ziviles Runabout, diverse Geräte.
Ein leichtes, für jemanden mit ihrem Einfluss.
Vor drei Tagen war er aufgebrochen und Marilyn hatte seither voller Hoffnung auf eine Erfolgsmeldung von ihm gewartet.
Vor einer halben Stunde hatte er sie über den Ausgang des Experiments informiert. Seither war ihre Hoffnung zerschmettert. Diesmal spürte sie keine Trauer. Auch keine Leere. Etwas anderes war an ihre Stelle getreten: Zorn. Brennend heißer Zorn! Nicht einmal auf den Doktor. Nein. Er hatte einen entscheidenden Fehler gemacht, aber den konnte sie ihm verzeihen. Er litt innerlich genauso wie sie; vielleicht noch mehr. Da waren Fehltritte normal.
Nein, SIE hatten wieder dazwischen gefunkt.
Diese verdammte Crew, die ihr auch schon den Mann geraubt hatte.
Mit geballten Fäusten wandte sich Marilyn von den Masken ab und durchquerte rasch den Raum bis zu ihrem Schreibtisch. Die flackernden Blitze erhellten ihr dabei den Weg – das Licht hatte sie ausgeschaltet. Sie wollte es nicht hell haben.
Nie wieder.
Das hier war besser.
Das Wetterleuchten tauchte die Penthousesuit in ein gespenstisches Spiel aus Licht und Schatten, und ließ die Größe des Zimmers nur erahnen. Drohende Koboldfratzen tauchten im Flackern auf, Statuen von Drachen, die ihm Flug erstarrt waren, und brutale Rüstungen aus einem Dutzend verschiedener Welten. Das Mobiliar hätte eher in ein Museum oder eines der alten europäischen Schlösser der Erde gepasst, als in die Penthouse-Wohnung eines Hochhauses.
Genaugenommen stammten die Möbel und Statuen auch aus Palästen, so wie die Bilder und Masken an den Wänden aus den ehemals wertvollsten Kunstsammlungen übernommen worden waren. Ihr Mann hatte dieses Zimmer nach seinem persönlichen Geschmack eingerichtet. Auf sein Nachbohren hin, hatte sie ihm immer versichert, dass der Stil ihr ebenfalls gefiel, und dass sie sich hier wohl fühlte. Er war dann immer ganz glücklich gewesen.
In Wahrheit machte sie sich nichts aus diesem Zeugs, aber selbst – oder besonders - jetzt, nach seinem Tod, brachte sie es nicht mehr über das Herz, sich davon zu trennen. Es war das letzte, was ihr von ihm geblieben war. Masken und Gebilde als Ausdruck einer Leidenschaft, die nur er selbst nachempfinden hatte.
Kopfschüttelnd trat Sie an ihre Konsole und blickte noch einmal auf die Nachricht. Es waren nur wenige Worte:

Vorhaben gescheitert. Komplikationen durch... Fremdeinwirkung (Flottenoffiziere). Estrella Del Alba.

Da war er wieder.
Der Zorn.
Es genügte schon, diesen Namen zu hören; Estrella Del Alba.
Sie ballte erneut die Fäuste, und das so fest, dass die Fingernägel in ihr Fleisch schnitten. Vielleicht war es besser so, überlegte sie, dass sich diese Leute nie bei ihr gemeldet hatten. Marilyn hätte sie erwürgt.
Einer nach dem anderen.
Dennoch... es war nicht anständig. Einfach nicht anständig.
Nicht einmal einen persönlichen Kondolenzbrief hatten sie aufgesetzt. Stattdessen war sie von einem jungen Fähnrich besucht worden, der ihr die traurige Nachricht seines Todes überbracht, und sie im gleichen Atemzug darum gebeten hatte, die Sache aus gründen der internen Sicherheit vorerst für sich zu behalten, denn man wolle erst eine Untersuchung durchführen – eine, die bis heute nicht stattgefunden hatte.
Unglaublich.
Statt zur Verantwortung gezogen zu werden, schipperten diese Leute noch immer da draußen herum, und hatten nichts besseres zu tun, als jetzt auch noch ihre allerletzte Hoffnung auf persönliches Glück zu rauben. Das schlimmste war, dass ihnen nicht einmal bewusst war, was sie angerichtet hatten. Vermutlich wussten sie ja nicht einmal, dass es Marilyn gab.
Aber bald, schwor Marilyn sich. Bald würden sie ihren Namen kennen.
Auf die ein oder andere Art.
Sie hatte sich geärgert, ja, war aber auch bereit gewesen, die Sache ruhen zu lassen.  Aber jetzt nicht mehr. Nicht nachdem, sie nun auch noch Cake sabotiert hatten. Das Fass war voll.
Ob absichtlich oder nicht, diese Leute hatten sich in ihr nun einen Feind geschaffen, einen mit beträchtlichen Ressourcen, und die gedachte Marilyn nun allesamt einzusetzen, um den Verantwortlichen jene Strafe zukommen zu lassen, die sie verdienten.
Wenn die Sternenflotte die Estrella-Offiziere nicht von selbst zur Verantwortung zog, dann würde sie die Sache eben selbst in die Hand nehmen müssen.
Marilyn wusste auch genau wie. Sie aktivierte das Komm-Panel und stellte eine Verbindung zu CBS-Terranews her, dem führenden Nachrichtenmagazin in der Föderation. Eine junge Bajoranerin nahm sie in Empfang. Marilyn bat um eine Weiterleitung zur Redaktion, und versprach, dass sie eine Story hätte, die garantiert Gehör fände.
„Wen darf ich melden?“, fragte die Bajoranerin.
„McDougal.“, antwortete Marilyn wahrheitsgetreu. „Marilyn McDougal.“
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« Antwort #1 am: 26.05.15, 02:50 »
Andoria
Neu Verthedi – Wohndistrikt.
Zwölf Stunden später.

„Na? Endlich wach?“
Bis vor zwei Sekunden war sie es jedenfalls noch nicht gewesen, und eigentlich fühlte sie sich auch jetzt deutlich mehr dem Reich der Schlafenden und Träumenden zugehörig, als dem der Munteren und Wachen. Und doch spürte ihr nur langsam in die Gänge kommender Verstand überdeutlich die ganz reale und sicher nicht unangenehme Berührung von Shrevans schlanken Fingern, die sich einen Moment lang an ihrer Wange zu schaffen machten, über ihren Hals die Schultern herabkrochen, und dabei versuchten, sich einen Weg unter die Bettdecke zu graben – nur um sich spielerisch zurückzuziehen, als sie schlaftrunken danach schlug, wie nach einer nur lästigen Fliege.
Reshthenar sh’Dranii – Thenar für ihre Freunde - war viel zu müde, um zu treffen. Außerdem wollte sie es auch gar nicht.
„Lass mich in Ruhe.“, murmelte sie trotzdem, das Gesicht noch halb im Kopfkissen vergraben. „Wenn du überschüssige Energie hast, dann steh auf und mach Kava.“
„Aww.“, hörte sie Shrevans, vor spöttischem Mitleid triefende Stimme. „Ist meine gute alte shen etwa ausgelaugt?“
Irgendwie brachte Thenar es sogar fertig, den Kopf so weit aus dem Kissen herauszudrehen, dass sie ihn mit zumindest einem halb geöffneten Auge verärgert anfunkeln konnte. Alt? Wer war hier alt? Natürlich prallte die ohnehin nicht besonders große Wirkung ihres bösen Blickes völlig an der fröhlichen Ausstrahlung ihres Partners Shrevan ab. Er lag mit nacktem Oberkörper neben ihr, den Kopf keck mit einer Hand abgestützt, und blickte sie aus amüsiert funkelnden Augen an. „Du lässt nach.“
„Ruhe, >kleiner< thaan!“
Shrevan runzelte in übertrieben gespielter Verärgerung die Stirn. „In diesem Schlafzimmer“, sagte er gewichtig „benutzten wir das Wort >klein< nicht. Abgemacht?“
Sie gab ein unmissverständliches Gemurmel von sich.
„Das werte ich als ein Ja.“, entschied Shrevan. „Also, bist du jetzt bereit für Runde zwei oder was?“
Ihre einzige Antwort bestand darin, die Decke noch ein bisschen höher zu ziehen.
Shrevan lachte. „Du bist prüde.“, behauptete er.
„Das Wort, das du suchst.“, gab Thenar gähnend zurück. „Ist nicht >Prüde< sondern >Müde<. Und jetzt lass mich in Frieden.“ Sie vergrub ihr Gesicht wieder ins Kissen, schloss die Augen und lauschte auf die Stille, die im Apartment herrschte. Nach so vielen Wochen im All erwartete ein Teil von ihr noch immer das Brummen eines Antriebes zu hören, das Fiepen eines Kommunikators, oder das Rattern loser Deckplatten. Stattdessen hörte sie... nichts.
Kein Brummen, kein Fiepen, kein Rütteln.
Und vor allem... kein Geschrei oder der sonstige Radau, den Shrevans Kinder in den drei Tagen, seit sie wieder daheim war, ununterbrochen von sich gegeben hatten. Thenar liebte die beiden, als wären es die Kinder ihrer eigenen Verbindungsgruppe (wenn sie denn eine gehabt hätte), aber die jungen Geschwister konnten auch sehr anstrengend sein, und Thenar war froh, dass sie die Nacht zur Abwechslung einmal bei Nachbarn verbrachten. Das hatte sie in die angenehme Verlegenheit versetzt, mit Shrevan alleine zu sein, und es war auch das erste Mal seit Wochen, dass sie in Ruhe und Frieden ausschlafen konnte.
Es war bitter nötig. Sie musste wohl auch noch einmal eingenickt sein, denn als sie das nächste Mal die Fühler reckte, spürte sie, dass sie allein war.
Sie tastete ungelenk mit der Hand neben sich und fand Shrevans Bettseite leer vor, wenn auch noch warm.
Im nächsten Moment hörte sie ihn in der Küche herumwerkeln. Verschlafen hob sie den Kopf – es kostete sie ziemliche Überwindung – blinzelte auf das Chronometer und registrierte ohne besondere Überraschung, dass sie fast zehn Stunden geschlafen hatte.
Nun... direkt geschlafen hatte sie davon allerhöchstens die Hälfte, woran Shrevan mit seinen einfach nicht endenden Energiereserven nicht ganz unschuldig war.
Nicht, dass sie sich darüber beschwert hätte...
Sie ließ den Kopf wieder ins Kissen gleiten und genoss es einen Moment lang noch, einfach so dazuliegen, und sich in die Wärme der zerknautschten Bettwäsche zu kuscheln, während die Erinnerungen der vergangenen Nacht dafür sorgten, dass sie nun doch langsam wieder zu sich kam. Dann stand sie doch noch auf – wenn auch widerwillig und fröstelnd (Shrevan, der in einer der kältesten Regionen Andors aufgewachsen war, bevorzugte eine deutlich kühlere Raumtemperatur, als sie es tat). Sie schlurfte ins Bad, wobei sie zunächst den Blick in den Spiegel mied – was hätte sie dort auch neues entdecken können, außer dem vertrauten Gesicht einer Andorianerin die die unliebsame vierzig vor einer Woche überschritten hatte, und dem kurzen, weißen Haar, in das sich, als Folge des Alters, erste gelbe Streifen schummelten (obwohl Thenar doch wirklich alles tat, um sich so jung und fit wie möglich zu halten (zumal der um zehn Zyklen jüngere Shrevan eine gute Quelle sportlicher Betätigung darstellte)) - und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit in der Schalldusche langsam aufzuwachen.
Als sie sich nach der restlichen Pflegeroutine den weißen Morgenmantel schnappte und in die Küche tappte, zog bereits der Duft von frisch aufgebrühtem Kava durch das Apartment. Aber Shrevan hatte nicht nur Kava gemacht, sondern ein üppiges Frühstück für zwei repliziert, dass er gerade auf dem Tisch ausbreitete.
Bei dem Anblick begann ihr Magen zu knurren und erst jetzt spürte Thenar, wie hungrig sie eigentlich war. Er hatte selbst an ihre Lieblingsspeise gedacht – Gewürzbrot mit Yutta-Beeren.
Sie lächelte dankbar und gab Shrevan im vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. Da sie fast einen Kopf größer war als er, musste sie sich etwas bücken. „Ich habe dich nicht verdient.“
„Nein.“, bestätigte er lächelnd. „Das hast du wirklich nicht.“
Sie setzte sich ans Kopfende des Frühstückstisches, warf einen kurzen Blick zum Fenster hinaus – es hatte vergangene Nacht schon wieder heftig geschneit -, und runzelte die Stirn, als sie bemerkte, wie Shrevan sie mit Blicken förmlich auszog.
„Erst wird gefrühstückt.“, beharrte sie betont langsam.
„Ich habe auf etwas anderes Appetit.“
Sie blinzelte. „Meine ich das nur, oder bist du neuerdings wirklich etwas... ausgehungert?“
„Was willst du?“, erwiderte er lachend. „Ich habe ein gewisses Nachholbedürfnis. Immerhin habe ich dich die letzten sechs Wochen nur via Subraumkommunikation gesehen. Und nur in Uniform.“
„Und das war anscheinend schon zuviel.“, seufzte Thenar. „Aber jetzt habe ich Urlaub und alle Zeit der Welt für dich. Die Uniform liegt gut verpackt im Schrank, wo sie auch bleiben wird.“
„Vorläufig.“, bemerkte er.
„Aber das schon seit drei Tagen.“
„In denen wir so gut wie nie alleine waren.“ Er zog eine Grimasse. „Und schon gar nicht unbelauscht, oder?“
Thenar lächelte. „Die Kinder sind eben neugierig. Und wir wollten ihnen doch keinen Schrecken einjagen, oder?“
„Es ist nur so...“, seufzte Shrevan „dass wir nicht wissen, wann wir das nächste Mal die Gelegenheit haben werden allein zu sein. Nur wir zwei, meine ich.“
Thenar seufzte. Das Thema hatten sie nun schon sooft. „Der... Dienst ist momentan sehr einnehmend, ich weiß. Die Flotte macht eine schwere Phase durch. Aber es werden auch wieder ruhigere Zeiten kommen. Versprochen. Kannst du dich noch etwas gedulden?“
„Ein klein wenig.“
Sie neigte spöttisch den Kopf. „Ich dachte in diesem Haus verwenden wir das Wort >klein< nicht.“
Er hob tadelnd den Finger. „Das gilt hauptsächlich für’s Schlafzimmer.“
„Selbst schuld.“, sagte sie zwinkernd. „Wo du auch immer das Thermostat so niedrig stellen musst.“ Sie nippte an ihrem Kava und wollte eine weitere spöttische Bemerkung hinzufügen, aber in diesem Moment schrillte die Türglocke. Shrevan’ Fühler richteten sich alarmiert auf. Einen Moment lang sah er sie fragend an, dann ließ er enttäuscht die Schultern hängen. „Und schon ist die gemeinsame Zeit vorbei.“
„Es könnte sonst wer sein.“, meinte sie irritiert.
„Heute?“ Sein Blick sprach Bände. „Um die Uhrzeit? Du weißt genauso gut wie ich, wer da vor der Tür steht.“
„Und wenn ich es ignoriere?“, schlug Thenar vor, auch wenn beide wussten, dass sie es nicht tun würde. Es klingelte erneut, und diesmal hielt der unbekannte Besucher den Finger auf dem Klingelknopf. Shrevan wollte aufstehen, aber Thenar hielt ihn mit einer knappen Geste zurück, schloss ihren Morgenmantel so gut es ging und stand selbst auf. Das Schrillen der Klingel brach nicht ab, während sie zur Tür ging, sondern schien noch aufdringlicher und drängender zu werden.
Thenar machte sich nicht einmal die Mühe, auf den kleinen Monitor zu blicken, sondern schlug regelrecht auf den Türöffner und setzt zu einer alles anderen als freundlichen Begrüßung an. Aber vor der Tür stand ein schlanker junger Menschenmann in der roten Uniform der Sternenflotte, der sogar noch kleiner war als Shrevan und so nervös und verloren wirkte, dass Thenar sich alles verkniff, was ihr auf der Zunge lag. Für den Moment.
„Staff-Captain sh’Dranii?“, fragte der Lieutenant.
„Steht vor ihnen.“, entgegnete sie streng. „Im Morgenmantel. An ihrem freien Tag...“
Der junge Mann errötete. „Ich... uh, ich bedaure die Störung wirklich außerordentlich, Sir.“, er blickte kurz an ihr vorbei, sah Shrevan mit vor der Brust verschränkten Armen in der Küchentür stehen und grüßte ihn mit einem verlegenen Nicken, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf Thenar richtete. „Aber mein Vorgesetzter war nicht in der Lage, sie über die herkömmlichen Mittel zu erreichen.“
„Ich habe das Komm-Terminal deaktiviert.“, offenbarte Thenar, ohne jede Spur von Reue. „Mit Absicht.“
„Uh. Es ist nur so... Ihre Expertise wird benötigt, Sir. Der Direktor lässt bitten, dass sie ins Büro kommen.“
„Kann das nicht warten?“, fragte Shrevan genervt. Thenar sah flüchtig zu ihm. Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass er ihr nachgekommen war.
Der Lieutenant schüttelte ansatzweise den Kopf. „Tut mir wirklich leid, aber nein. Ich habe den Befehl den Staff-Captain abzuholen. Und schnell – bitte.“
Thenar setzte zu einer Beschwerde an, beließ es aber bei einem Seufzen und wandte sich Shrevan zu, der ihren Blick auffing und bitter sagte: „Gehe eine Beziehung mit einem Offizier ein, und du gehst eine Beziehung mit der ganzen Flotte ein, hm?“
„Es...“ Sie suchte nach den richtigen Worten und fand keine. „Es tut mir leid.“, war alles, was sie sagen konnte. Und sie meinte es so.
„Ich weiß.“ Er zwang sich zu einem Lächeln „Aber das muss es nicht. Mach dir keine Gedanken. Du hast ein sechswöchiges Martyrium hinter dir. Der Direktor würde dich kaum wegen einer Lappalie nach drei Tagen aus deinem wohlverdienten Urlaub holen. Ich kann warten – wenn auch nicht zu lange.“, fügte er hinzu.
„Du bist nicht sauer?“
„Nein.“ Dennoch warf Shrevan dem Lieutenant einen Blick zu, der das Gegenteil sagte. Er konzentrierte sich wieder auf Thenar. „Ich wusste worauf ich mich einlasse. Ich war damals dazu bereit. Ich bin es noch.“
Einen Moment lang, fehlten ihr die Worte. Dann küsste sie ihn einfach. „Wie gesagt.“, flüsterte sie. „Ich habe dich nicht verdient.“
„Nein.“, bestätigte er abermals, und diesmal war das Lächeln schon wieder sehr viel fröhlicher. „Das hast du nicht.“ Und er fügte scherzhaft hinzu: „Aber bleib nicht zu lange weg. Du wirst schließlich nicht jünger, weißt du? Wenn ich dich das nächste Mal sehe, schaffst du vielleicht nicht einmal mehr Runde Eins.“ Damit drehte er sich herum und scharwenzelte zurück in die Küche.
Thenar sah ihm lächelnd nach und schüttelte den Kopf.
Sie machte sich keine Mühe den Lieutenant hereinzubitten. Stattdessen verschwand sie rasch in der Umkleide und kam keine drei Minuten später komplett und vorschriftsmäßig in ihre Uniform gehüllt, wieder zu ihm heraus.
Schweigend folgte sie dem jungen Mann in den Aufzug, sich fragend, wie lange sie diesmal von Shrevan und den Kindern getrennt sein würde. Und wie viele gelbe Haare sie wohl beim nächsten Blick in den Badezimmerspiegel entdecken musste.
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« Antwort #2 am: 26.05.15, 02:52 »
Andoria
Demmos – Sternenflotten-Dienststelle Andoria
Zwanzig Minuten später.

Auf dem Schild neben der Tür stand: Direktion der Sternenflotten-Abteilung für interne Angelegenheiten – Außendienststelle Andoria. Dahinter befand sich ein weitläufiger Raum, der von einem wuchtigen Schreibtisch dominiert wurde, hinter dem ein nicht minder wuchtiger Bolianer in Admiralsuniform saß und Thenar aufmerksam und schweigend dabei beobachtete, wie sie den Bericht überflog, den er ihr soeben überreicht hatte. Durch die Fensterfront in seinem Rücken konnte man die Schneeflocken draußen einen Tanz aufführen sehen, für den sich keiner der beiden Anwesenheiten interessierte.
Schließlich blickte Thenar auf. „Eine zivile Untersuchungs-Kommission, sagten sie?“
„Frisch vom Föderationsrat unter Anleitung der Präsidentin ins Leben gerufen.“, bestätigte Admiral Naro.
Thenar legte den Datenblock verärgert zurück auf den Schreibtisch und blickte Naro an. „Kurz gesagt; man hat uns ausgebootet.“
Naro leugnete es nicht. „Die Abteilung ist kaum in der Lage, das Arbeitspensum zu bewältigen, das über uns hereingebrochen ist. Ein nicht geringer Teil der Flotte befindet sich in einem desolaten Zustand, wie sie wissen.“ Er seufzte schwer. „Der Krieg hat viele Opfer gefordert, und er holt sie sich auch jetzt noch. Da draußen sind eine Menge Offiziere, die sich gedanklich noch immer im Gefechtszustand befinden – und entsprechend handeln. Die AIA ermittelt in diesen Fällen, und wir versuchen wirklich zu helfen, wo wir können. Aber manchmal... manchmal, da fällt ein Schiff auch einfach durch die Maschen.“
„Wie die Estrella Del Alba?“, fragte Thenar, auf den Bericht deutend, den sie eben gelesen hatte.
„Wie die Estrella Del Alba.“, bestätigte Naro. „Das Flottenkommando ist schon seit einer Weile besorgt. Das Schiff scheint eine Spur der Verwüstung hinter sich herzuziehen. Die schlechten Berichte reißen einfach nicht ab. Und es gibt ernste Sorgen wegen der an Bord herrschenden Zustände.“ Er schüttelte den kahlen Schädel. „Mangelnde Disziplin, Cowboy-Diplomatie... Eine Crew außer Rand und Band.“
„Das ist schön und gut Admiral, fällt aber, wie sie sagten, in den Zuständigkeitsbereich der AIA. In unsere Zuständigkeit. Was hat eine zivile Kommission damit zu schaffen?“
Naro brummte. „Ganz einfach: Die Estrella hat irgendwem ganz oben ans Bein gepisst. Jemandem, der ziemlich gut informiert ist, und über eine Menge Kontakte verfügt. Wir haben noch nicht ermittelt wer, aber jemand hat Druck gemacht, vertrauliche Informationen weitergegeben und die Presse aufgehetzt – das ganze Drum und Dran. Ist ein Riesenskandal. Überall in den Medien ist die Rede vom Stiefkind der Flotte. Die Estrella würde sich prügelnd und schießend durch den Quadranten bewegen. Die Zustände an Bord seien so schrecklich, dass sich die Leute schon umbringen.“ Er fügte rasch hinzu: „Ganz so schlimm ist die Realität bei weitem nicht. Die Nachrichten übertreiben. Leider fußen die Meldungen dennoch auf wahre Grundlagen. Es hat tatsächlich einen Selbstmord an Bord gegeben. Und dass die Crew recht... hitzig agiert, lässt sich auch nicht bestreiten. Den Rest erledigt die Phantasie. Jetzt sind die Leute natürlich besorgt. Leidet diese Crew an einer Art Posttraumatischem Stresssyndrom? Wie viele andere Mannschaften sind betroffen? Stehen wir einer Generation von Offizieren gegenüber, die erst schießen, dann handeln? Wann läuft der erste Amok? Warum kümmert sich die Sternenflotte nicht darum?“ Er schüttelte betroffen den Kopf. „Die Präsidentin ist heute Morgen von den Reportern regelrecht überfallen worden. Sie musste eine Stellungsnahme abgeben. Da sie praktisch mit dem Rücken zur Wand stand, hat sie verkündet, der Sache persönlich nachzugehen. Praktisch keine fünf Minuten später stand eine neu gegründete Kommission, und im Rahmen dieser Kommission will sie direkt einen ihrer Leute auf die Estrella schicken, der vor Ort prüft, woran es hakt, und ob die Mannschaft in der derzeitigen Form überhaupt noch tragbar ist.“
Thenar runzelte die Stirn. „Klingt eher nach pressewirksamer Schnellschusspolitik.“
„Damit liegen sie gar nicht mal so falsch, Staff-Captain“, musste Naro einräumen. „In erster Linie geht es wohl darum, die Wogen zu glätten. Etwas Zeit zu schinden, bis sich die Leute wieder für andere Dinge interessieren.“
„Und das Sternenflotten-Kommando ist darauf eingegangen?“, fragte Thenar skeptisch. Sie konnte das nicht so recht glauben.
„Man hat uns kaum eine Wahl gelassen.“, zuckte Naro die Schultern. „Die Präsidentin hat rasch den Föderationsrat auf ihre Seite gebracht und der hat die Muskeln spielen lassen. Der CinC ist natürlich Stinksauer, dass wir uns der Estrella nicht schon eher gewidmet haben – vor allem nach dieser Mariposa-Sache. Sie wollen gar nicht wissen, was ich mir alles anhören durfte.“ Sein Blick richtete sich kurz nach innen. Dann fuhr er kopfschüttelnd fort: „Auf jeden Fall muss eine Lösung her. Captain Katic scheint die Situation nicht zu begreifen. Und ihr Erster Offizier... Nun, der ist ein Fall für sich. Inzwischen gibt es ernste Zweifel an seiner Kompetenz. Sogar an seiner Ehrlichkeit.“
Thenar legte den Kopf schief. „Sir?“
„Wie jetzt rauskam, hatte er keinen Kommandotest abgelegt. Er behauptet es... einfach verschludert zu haben.“ Naro zeigte mit einem Schnauben, was er davon hielt. „Ein solches Verhalten wirkt sich natürlich auf die restliche Crew aus. Der Fisch stinkt immer zuerst am Kopf, wie sie wissen. Und wenn die Presse davon erst Wind bekommt... Das will ich mir gar nicht ausmalen.“
Thenar nahm den Datenblock wieder zur Hand und rief die Dienstakte des Captains auf, um sich das Bild noch einmal zu betrachten. „Sie ist jung.“
„Vielleicht zu jung.“, bemerkte Naro betrübt. „Sie gehört zu den Offizieren, die sich durch den Tod der Vorgesetzten spontan auf dem Stuhl in der Mitte wiederfanden – weit vor ihrer eigentlichen Zeit. Wir haben einige gute junge Offiziere erlebt, die an einer solchen Herausforderungen wuchsen. Und andere...“
„Die daran zu Grunde gingen.“, vervollständigte Thenar den Satz. „Niemand wächst von heute auf Morgen in eine Rolle, für die man normalerweise jahrelang üben muss.“
„Und manche tun es nie.“, setzte er hinzu.
Thenar zuckte mit den Schultern. „Ich kann zumindest ansatzweise nachvollziehen, dass es für diese Offiziere sehr schwierig sein muss. Wie sie sagten, Sir. Es ist eine massive Umstellung, wieder Friedensstifter zu spielen, wenn man monatelang in den Schützengräben gekämpft hat. Erst recht, wenn man neu auf dem Stuhl in der Mitte ist. Fehler sind da vorprogrammiert. Ein Commissioner, der nie die Uniform trug, wird dafür jedoch weniger Verständnis aufbringen.“
„Und hier kommen wir ins Spiel.“ Naro lehnte sich vor und verschränkte seine wulstigen Finger auf dem Schreibtisch. „Man mag unglücklich darüber sein, dass die AIA nicht schon vorher ermittelt hat, aber dennoch vertraut man auf unsere Expertise. Wir wissen, wie man solche Problemfälle handhabt. Deshalb wurde eine Zusammenarbeit vorgeschlagen. Und wenn die Präsidentin ihren besten Mitarbeiter schickt, dann will ich dasselbe tun.“
„Admiral...“
„Ich möchte, dass sie den Commissioner begleiten, Staff-Captain, und ihm beratend und assistierend zur Seite stehen. Er wird die Show leiten, die Befragungen der Offiziere durchführen, und das finale Urteil fällen – und das wird bindend sein, egal wie es ausfällt. Aber wir wollen ihm auch die neutrale Perspektive eines Insiders anbieten, jemanden, der die Regeln und die Juristifikation kennt.“
„Kurz gesagt“, übersetzte Thenar. „jemand, der acht gibt, dass die Untersuchung im Rahmen der Statuten bleibt und nicht zu einer Hexenjagd ausartet.“
„So in der Art.“
Thenar legte die Stirn in Falten. „Und wenn die Zustände an Bord tatsächlich so untragbar sind, wie die Berichte vermuten lassen?“
„Dann werden der Commissioner und sie alle nötigen Schritte einleiten.“, antwortete Naro betont ernst. „Selbst wenn das heißt, die Crew zu trennen und auf... anspruchslosere Posten zu verteilen, wenn sie verstehen, was ich meine.“
„Sir..“, begann Thenar gequält, wurde aber rasch von Naro unterbrochen. „Sagen sie nichts.“
Natürlich tat sie es dennoch: „Ich habe gerade erst einen Captain und seinen XO vom Dienst entbinden müssen, weil sie aufgrund der im Dominion-Krieg erlebten Traumata die Psychotests nicht bestanden hatten. Das war... keine angenehme Erfahrung. Für keinen der Beteiligten.“
„Und dennoch haben sie exzellente Arbeit geleistet, und sich in ihrer Aufgabe nicht beirren lassen.“, widersprach Naro. „Und genau das ist es, was wir jetzt brauchen – was die Kommission jetzt braucht.“
Sie wollte protestieren, besann sich aber eines besseren, und blickte kurz zur Seite, um sich zu sammeln. „Und wann...?“
„Ihr Flug geht gleich heute Abend. Alle relevanten Daten wurden bereits auf ihr Terminal übertragen.“ Als Thenar mit erwartungsgemäß wenig Enthusiasmus reagierte, fügte der Admiral hinzu: „Hören sie Thenar, ich weiß, wie kurzfristig das ist. Und ich bedauere, ihren Urlaub bereits so früh absägen zu müssen. Aber die Sache ist wichtig. Die Estrella beginnt dem Flottenkommando unangenehm zu werden. Sehr unangenehm. Meine Vorgesetzten wollen das Problem so schnell und so unauffällig wie möglich bereinigt haben. Auf die ein oder andere Weise. Ich würde eine nicht nur rasche, sondern auch faire Abwicklung bevorzugen. Und dafür brauche ich sie. Helfen sie dem Commissioner mit allen verfügbaren Mitteln. Bringen sie dieses Debakel zu einem Ende.“
„Es ist nur so, Sir... Ich habe mich wirklich darauf gefreut, Zeit mit meinem thaan und den Kindern verbringen zu können...“
„Der Einsatz wird nicht lange dauern.“, versicherte der Admiral. „Ein paar Tage. Höchstens.“
„Das haben sie beim letzten Mal auch gesagt und dann wurden sechs Wochen draus. Sechs Wochen voller Kreuzverhöre, Anschuldigungen und Beschimpfungen von Offizieren, die psychologisch vor mir zusammengebrochen sind.“
Naro starrte sie unbewegt an. Thenar wusste, dass sie sich jeden weiteren Protest sparen konnte, weil Widerstand in diesem Falle wirklich zwecklos war. Also fügte sie sich seufzend, wenn auch widerwillig. „Wo immer der Dienst einen hinführt und so weiter, nicht wahr?“
„So ist es, Captain.“
„Na schön. Ich werde es machen.“
„Das wollte ich hören.“
Sie runzelte die Stirn. „Bei einer Sache sind sie jedoch verdächtig kryptisch geblieben, Sir.“
„Die wäre?“
„Wer ist dieser Commissioner, den sie schicken wollen?“
In einem Anflug eines geradezu unheimlich perfekten Timings, flog genau in diesem Moment die Tür auf, und als Thenar sich erschrocken umwandte, sah sie, wie ein untersetzter und äußerst streitlustig dreinschauender Tellarit mit erhobenem Haupt und wehendem Umhang in den Raum marschierte, wie es höchstens ein König tat, der bei einer seltenen und unerwünschten Gelegenheit unter das gemeine und aus tiefstem Herzen verachtete Volk trat. „Commissioner Furzkin El Dork ist eingetroffen!“, verkündete der Commissioner mit donnernder Stimme, als würde er zu einem Millionenpublikum sprechen.
Thenars Fühler und Schultern sanken gleichermaßen herab.
Sie wusste nicht, wen sie mehr bemitleiden sollte: Die Besatzung der Estrella...
...oder sich selbst?
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« Antwort #3 am: 29.05.15, 13:35 »
Andoria
Demmos – Sternenflotten-Dienststelle Andoria, AIA-Büros
Vier Stunden später.

Thenar deaktivierte den Bildschirm, stieß ein müdes Seufzen aus und massierte ihre Schläfen. Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren.
Hört sich fast an, als wäre das etwas schlechtes.
Gleich nach ihrer Unterredung mit dem Admiral hatte sie sich in ihr Büro zurückgezogen, und die vergangenen Stunden über ihrem Schreibtisch gebeugt zugebracht, tief versunken in die Lektüre unzähliger Logbücher, Dienstakten und Fallstudien – alles die Estrella del Alba betreffend.
Viel Zeit hatte man ihr schließlich nicht zur Vorbereitung gelassen. Die Uhr tickte unerbittlich. Aber Thenar war entschlossen gewesen, jede zur Verfügung stehende Sekunde zu nutzen, um sich mit dem Fall vertraut zu machen. Das war ihr zwar gelungen, als unschöne Nebeneffekte brannten nun jedoch ihre Augen, ihr Hinterteil schmerzte, und in ihrem Büro sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Auf sämtlichen Arbeitsflächen stapelten sich die Datenblöcke – den Schreibtisch konnte man kaum noch erkennen und sie bildete sich ein, ihn unter der Last der Papiere ächzen zu hören.
Thenar mochte diese Art der Unordnung nicht – sie widersprach ihrem ganzen Charakter -, aber in manchen Situationen musste man Prioritäten setzen. Aufräumen konnte sie später noch. Sich in die Berichte einlesen nicht.
Thenar richtete sich auf, wogegen ihre Muskeln vehement protestierten, streckte den Rücken durch, und griff über den Morast aus Datenblöcken nach ihrer Kava-Tasse. Sie war dunkel, trug das Symbol des JAG-Corps der Sternenflotte und begleitete sie, seit sie von der Sicherheit herübergewechselt war. Sie hatte zahlreiche Umzüge, Reisen und gelegentliche Versuche überlebt, sie durch andere, wesentlich hübschere Mitbewerber zu ersetzen. Inzwischen gehörte sie zu Thenar wie die Fühler auf ihrem Kopf, und man munkelte, dass sie der wahre Grund für ihren beruflichen Erfolg war. Nicht etwa ihre Gründlichkeit oder Akribie.
Thenar konnte nicht widersprechen – schon alleine, weil sie das Gesicht zu einer Grimasse verzog, als sie an der Tasse nippte. Der Kava war kalt geworden und schmeckte widerlich.
Sie stellte die Tasse schnell wieder ab.
Dabei streifte ihr Blick das Kommunikationsterminal zu ihrer rechten, und Schuldgefühle ergriffen von ihr Besitz. Sie hatte noch immer nicht den Mut aufgebracht, sich bei Shrevan zu melden. Stattdessen hatte sie ihm nur eine knappe Textnachricht hinterlassen, dass es später werden könnte, und er nicht mit dem Abendessen auf sie warten solle. Mit etwas Pech galt das für die nächsten paar Tage. Oder Wochen.
Thenar seufzte erneut.
Wie sollte es ihnen auf diese Art gelingen, ihre Beziehung zu vertiefen? Sie befanden sich noch immer in der Kennenlernphase, aber da Thenar beruflich sehr eingespannt war – vor allem in letzter Zeit – schienen sie sich eher zu entfremden, als einander wirklich näherzukommen. Sie blickte sich in dem Chaos um, das sie umgab. All das hier würde wohl kaum dabei helfen.
Der Fluss ihrer Gedanken wurde von Sivak unterbrochen, ihrem Assistenten, der den Kopf in ihr Büro steckte. „Sir? Ihr Skimmer ist soeben eingetroffen.“
Thenar seufzte. „Danke Sivak.“ Sie stand auf, und machte sich auf die Suche nach ihrer Reisetasche, die sie für solche Fälle immer bereit hatte. Irgendwo in diesem Chaos musste sie sein.
„Es wirkt fast so“, bemerkte der Vulkanier unterdessen. „als hätten sie keine Lust auf diese Reise.“
Thenar hielt in ihrem Tun inne und sah ihn an. „Ist das so deutlich zu erkennen?“
„Mitnichten, Sir. Wie immer beweisen sie ein immenses Maß an Zurückhaltung und Selbstbeherrschung. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, dass mindestens einer ihrer Vorfahren zu meinem Volk gehören musste. Dennoch... kenne ich sie inzwischen gut genug, um auf die Feinheiten zu achten.“
Sie lächelte. „Sie arbeiten wohl schon zu lange für mich.“
„Andererseits“, sagte er und bückte sich hinter den Schreibtisch „bringt das auch gewisse Vorteile.“ Als er wieder hochkam, hatte er ihre Tasche in der Hand.
Thenar nahm sie dankbar entgegen. „Was würde ich nur ohne sie machen?“
„Vermutlich ihre Reisetasche nicht finden.“, stellte er trocken fest. „Und sie sind sicher, dass ich sie nicht begleiten soll?“
Thenar schlang sich die Tasche über die Schulter und verneinte. „Es reicht, wenn einer von uns seine Familie vernachlässigt. Es wird ohnehin nicht lange dauern. Bleiben sie nur in der Nähe einer Kommunikationseinheit, falls ich doch noch ein paar Daten benötige.“
„Ich werde sicherstellen, dass sie mich jederzeit erreichen können.“
„Mehr kann ich nicht verlangen.“
Der Vulkanier deutete eine knappe Verbeugung an. „Dann wünsche ich ihnen eine angenehme Reise, Sir.“
Sie nickte und folgte ihm hinaus in den Hexenkessel. So nannten sie den großen Freibereich im Herzen der AIA-Büros, der die juristischen und administrativen Assistenten der hiesigen Ermittler beherbergte. Die meisten der Dutzend Tische waren unbesetzt, die Schreibtischlampen gelöscht. Selbst die Deckenbeleuchtung war gedimmt, obwohl es mitten am Tag war. Aber ihr aller Arbeitspensum war so enorm, dass die wenigsten Kollegen im Büro waren. Die meisten befanden sich im Außendienst.
Und ich jetzt auch wieder, schoss es ihr durch den Sinn.
Nur zwei Tische wiesen noch Anzeichen von Gebrauch auf. Ihr am nächsten war der von Sivak, der als einziger aufgeräumt und ordentlich war. Der Vulkanier nahm gerade platz, um die letzten Formalitäten zu erledigen, und sich dann auch abzumelden. Und der andere Tisch, am entfernten Ende des Raumes und gleich neben Admiral Naros Büro gelegen, gehörte seinem Assistenten Ahmed al-Khaled, einem überarbeiteten Lieutenant, der gerade über einem Chaos an Berichtsstapeln, Verfahrensakten, Datenblöcken- und Karten gebeugt war, und sich auf die gleiche Art die Schläfen massierte, wie Thenar vorhin.
„Lieutenant.“, rief sie, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie deutete zum Büro des Admirals. „Ist Naro inzwischen zurückgekehrt?“
„Nein, Sir.“, antwortete al-Khaled müde. „Und ehe sie mich fragen; ich weiß auch nicht, wo er steckt.“
Thenar presste die Lippen aufeinander. Es war nicht unbedingt erforderlich, aber sie hätte vor ihrer Abreise dennoch gerne ein paar letzte Dinge mit ihm besprochen. Nun gut. Nichts, was sie nicht über Subraum nachholen konnte.
Sie verließ den Hexenkessel raschen Schrittes und marschierte an leere Konferenzräume und verwaiste Büros vorbei hinunter in den ersten Stock, wo sie beinahe Ensign Koobe über den Haufen rannte, die gerade um eine Ecke gebogen kam. Flink und Reaktionsschnell trat sie zur Seite, um eine Kollision zu vermeiden, ohne einen der Datenblöcke fallen zu lassen, die sich ihr bis zum Kinn stapelten. „Verzeihung, Sir.“, sagte sie mit schüchternem Lächeln. „Ich habe sie nicht kommen gehört.“
„Schon gut. Ich bin selber etwas in Eile."
Die junge Frau warf einen flüchtigen Blick auf Thenars Tasche. „Außendienst?“
„Sieht so aus.“
„Wo geht’s diesmal hin?“
„Estrella Del Alba.”
Koobes Brauen schossen nach oben. „Das Schiff aus den Nachrichten?” Der Ensign lachte. „Mein Beileid, Sir.“ Und damit trat sie an Thenar vorbei und setzte ihren Weg fort.
Thenar sah der Frau einen Moment lang irritiert hinterher. Sie hatte sich dazu entschieden, die Nachrichten nicht einzuschalten, um unvoreingenommen an den Fall Estrella herangehen zu können. Nun bekam sie Zweifel, ob das Klug gewesen war.
Sie schüttelte den Kopf – jetzt war das auch nicht mehr zu ändern - und nahm ihren Weg wieder auf. Mit schnellen Schritten durchquerte sie das Foyer, nickte dem Sicherheitsoffizier hinter der Hauptkonsole kurz zu und trat dann durch die Eingangspforte nach draußen.
Der Skimmer stand unten auf der Straße, wie Sivak gesagt hatte. Durch das Schneegestöber war er kaum zu sehen – es schneite jetzt sogar noch heftiger als am Morgen. Hinzu kam ein grauer Dunst, der sich über die gesamte Stadt gelegt hatte, wie eine alles verschluckende Glocke.
Irgendwie passte das Wetter zu ihrer Stimmung.
Thenar zog den Kopf zwischen die Schultern und eilte rasch die Stufen herab. Es war sogar noch kälter als in Shrevans verdammter Heimatstadt. Sie fröstelte, riss die Tür des Skimmers auf und stockte. Admiral Naro starrte ihr vom Rücksitz entgegen. Damit hatte sie nicht gerechnet, und die Überraschung schien ihr auch im Gesicht zu stehen. Doch statt seine Anwesenheit zu erklären, bedeutete er ihr lediglich mit einer ungeduldigen Geste, einzusteigen, und wies dann, kaum, dass sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, den Piloten an, loszufahren. Der Skimmer setzte sich in Bewegung und sirrte durch die Straßen. Außer ihnen war fast niemand unterwegs. Bei diesem Wetter blieben selbst Andorianer daheim.
„Ich wollte sie vor ihrem Abflug noch sprechen.“, sagte Naro, ohne Einleitung. „Hatten sie Gelegenheit sich in das Thema einzulesen?“
„Oberflächlich.“, gestand Thenar und rückte ihre Tasche zurecht. „Aber ich habe einen guten Überblick und den Rest werde ich vor Ort ermitteln.“
„Sehr gut. Admiral Laurie hat Captain Katic bereits über die Ankunft zweier Ermittler informiert, nicht jedoch um wen es sich handelt.“
Thenar runzelte die Stirn. „Gibt es einen bestimmten Grund, aus dem sie die Besatzung im Ungewissen lassen?“
„Sie sind die Ermittlerin, Thenar. Sagen sie es mir.“
Es war nicht schwer zu erraten. „Ich nehme an, es ist eine Taktik, um diese Leute nervös zu machen. Die Zeit reicht nicht, um Offiziere zu verstecken, die durch ein auffälliges Verhalten Probleme verursachen könnten, aber sie reicht, um sich Sorgen zu machen. Und besorgte Leute verplappern sich. Hört sich für mich nach etwas an, was einem Tellariten einfallen würde.“
„Der Commissioner bestand auf diese Vorgehensweise.“, bestätigte Naro. „Und ich befürworte sie.“
Thenar presste die Lippen zusammen und schüttelte nur den Kopf. Solche Taktiken entsprachen nicht unbedingt ihrem Arbeitsethos. Und den nahm sie sehr ernst.
„Ich weiß nicht, wie schlimm die Sache wirklich ist, Thenar.“, sagte Naro, der ihr missfallen zu spüren schien. „Aber wir dürfen jetzt nicht noch länger warten und auch nicht zaghaft sein. Wenn es auf diesem Schiff Probleme gibt, dann will ich, dass sie und der Commissioner dort reinen Tisch machen. Und zwar schnell. Diesen Punkt kann ich gar nicht stark genug betonen.“
„Ich werde mich bemühen, diese Wünsche zu respektieren.“, sagte sie streng. „Doch über eines müssen wir uns ganz im klaren sein, Admiral. Das Flottenkommando, die Medien... sie können alle so viel Druck machen, wie sie wollen; ich werde meine Arbeit gründlich erledigen. Ich bin nicht nur an einer schnellen Lösung interessiert, sondern in erster Linie an einer qualitativ guten. Und fairen. Der Commissioner hoffentlich auch. Alles andere werde ich nicht zulassen.“
Naro starrte sie an. Dann zwang er sich zu einem Lächeln. „Natürlich, Thenar. Das weiß ich doch. Trotzdem... schadet es nicht, das Drumherum ein wenig zu beschleunigen, meinen sie nicht?“ Er deutete nach draußen. „Zum Beispiel mit so etwas.“
Thenar löste den Blick von ihm und sah aus dem Fenster. Der Skimmer schwebte jetzt über das schneebedeckte Flugfeld der hiesigen Sternenflotten-Einrichtungen; Thenar hatte nicht einmal mitbekommen, seit wann das so war. Draußen reihten sich zu beider Seiten endlose kleine Shuttle-Buchten aneinander – die meisten waren leer, die Schiffe im Einsatz.
Thenar fragte sich, ob sie überhaupt noch eines erwischen würden. Doch der Skimmer hatte ein ganz anderes Ziel. Er schwenkte nach links, eine breite Rampe hinab und in einen Hangar mit offenem Dach hinein, in dem... etwas stand. Im ersten Moment sah Thenar durch das ganze Schneegestöber nur einen schwarzen Umriss. Irgendetwas daran irritierte sie. Sie wusste nicht genau, was. Einen Augenblick später, erkannte sie die Form und riss die Augen auf.
Dort stand ein Quanten-Slipstream-Shuttle.
Sie sah Naro an. „Sie sind verrückt.“
„Nein“, lächelte Naro. „Nur in Eile.“
Thenar blickte wieder nach draußen. Eigentlich sah das QSS gar nicht so ungewöhnlich aus – mal abgesehen davon, dass es zu neunzig Prozent aus Antrieb bestand. Die beiden Gondeln waren jede alleine schon so wuchtig und dick, dass der Skimmer daneben regelrecht fragil aussah, und auch die Kabinensektion auf der Oberseite, wirkte irgendwie viel zu klein geraten. Sie war nur über eine hohe Rampe betretbar, die gerade ausgefahren wurde.
Der Commissioner war bereits vor ihnen eingetroffen und damit beschäftigt, das Bodenpersonal anzublaffen. Als er den Skimmer erblickte, ließ er von ihnen ab (die Leute nutzten die Chance, um sich eiligst zurückzuziehen) und kam ihnen entgegen.
Doch Thenar konzentrierte sich im Moment auf das Shuttle. Onshoma stand in breiten Lettern auf der Hülle geschrieben.
Von diesen Schiffen gab es bisher nur eine Handvoll, die meistens von den Föderations-Marshalls, oder – in seltenen Fällen – auch vom diplomatischen Corps benutzt wurden. Das geschah aber meistens inoffiziell, weil sich diese Schiffe noch immer im Experimentierstadium befanden. Die Technologie war nicht ganz ausgereift, und noch lange nicht im großen Stile einsetzbar. Natürlich waren die Schiffe sicher, keine Frage -, aber es gab dennoch kleinere Unannehmlichkeiten. So traten alle paar Minuten Fluktuationen in der Phasenvarianz des Slipstreamtunnels auf, die jedes Mal kompensiert werden mussten – was an Bord zu spüren war. Auf die Dauer führte das immer zu einem holprigen Flug.
Thenar wusste, dass sie mit diesem Shuttle die Estrella in kürzester Zeit erreichen konnten – sie wusste aber auch, dass sie sich hinterher so fühlen würden, als hätten sie die Strecke zu Fuß zurückgelegt.
„Es ist nicht die beste Reisemethode.“, sagte Naro, der ihre Gedanken zu lesen schien. „Aber die effizienteste.“
„Die eingesparte Zeit wird uns auf der Estrella zugute kommen.“
„So ist es.“
Der Skimmer kam zum Stehen. Thenar griff nach dem Türöffner, wandte sich aber noch einmal dem Admiral zu. „Noch etwas: Ich hoffe inständig, dass sie mich aus meinem Urlaub gerissen haben, weil ich die beste für diese Aufgabe bin. Nicht, weil jemand im Flottenkommando gehofft hat, dass ich den Fall halbherzig angehen würde, nur, weil ich schnell wieder nach Hause will.“
Naro schrumpfte unter ihrem Blick ein wenig in sich zusammen. Das war einer der Gründe für Thenars berufliche Erfolgsbilanz – sie besaß die Gabe, selbst jene Leute niederzustarren, die in der Rangstruktur weit über ihr lagen, auch wenn sie selten davon gebrauch machte, schon alleine, weil ihr so etwas zuwider war. In dieser Situation hielt... sie es jedoch für angemessen, um zu ermitteln, wie dringend diese Angelegenheit wirklich war.
Die Antwort gefiel ihr nicht besonders.
Offenbar hatte man Naro ganz schön unter Druck gesetzt. Er zwang sich zu einem verlegenen Lächeln, räusperte sich und nickte dann. „Viel Glück, Staff-Captain.“
Thenar brummte. Die immer mit ihrem Glück. Wenn sie wirklich Glück hätte, säße sie jetzt daheim auf der Couch und würde sich von Shrevan verwöhnen lassen – vorzugsweise mit seinem Kopf zwischen ihren Beinen. Sie verzichtete auf einen entsprechenden Kommentar, stieß sie die Tür auf und trat hinaus in die Kälte. Ein schneidender Wind nahm sie in Empfang.
Der Commissioner kam wutschnaubend auf sie zugestapft. „sh’Dranii!“, polterte er. „Sie haben sich Zeit gelassen.“ Er deutete gewichtig auf sein Chronometer. „In einer Minute hätten sie sich um satte sechzig Sekunden verspätet!“
Trotz allem konnte sich Thenar ein sachtes Lächeln nicht verkneifen. Tellariten, dachte sie. Schafften es sogar, einem Vorwürfe zu machen, wenn man pünktlich war.
Sie deutete auf das Schiff. „Können wir?“
Der Commissioner schnäubte geringschätzig, wandte sich ab und watschelte hoch erhobenen Hauptes die Rampe hinauf.
Thenar sah noch einmal zum Skimmer zurück, der bereits wieder gewendet hatte, und gerade aus dem Hangar fuhr. Sie seufzte, rückte ihre Tasche zurecht und folgte dem Commissioner dann ins Schiff.
Fünf Minuten später waren sie im Orbit und sprangen in einen Slipstream-Tunnel.
Nächster Halt: Estrella Del Alba.
« Letzte Änderung: 29.05.15, 14:32 by Star »
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Antw:[RPG] Anderswo
« Antwort #4 am: 30.05.15, 09:29 »
Kuriershuttle Onshoma
Zwei Stunden später.

Zumindest so viel war Thenar inzwischen klar: Commissioner Furzkin war kein besonders freundlicher Tellarit. Natürlich wäre es unsinnig gewesen, einen solchen zu erwarten, zeichnete sich doch so ziemlich die gesamte Spezies durch ihr streitsüchtiges Wesen und einen Mangel an selbst den grundlegendsten Höflichkeitsformen aus.
Was vermutlich der Grund dafür war, dass man ihre Fähigkeiten sooft in der Gesetzesvollstreckung einsetzte. Dort konnte man sie auf Problemfälle hetzen, die sie mit äußerstem Bombast so lange in Grund und Boden plärrten, bis die Leute freiwillig von ihrem dubiosen Tun abließen.
Und Furzkins Erfolgsquote war in dieser Hinsicht auch bemerkenswert hoch. Thenar hatte bisher noch nicht das zweifelhafte Vergnügen gehabt, mit dem Commissioner zu arbeiten, war sich aber seines Rufes bewusst. Er galt als hart und zielorientiert, aber auch als gründlich und fair, und wie auch immer die Zusammenarbeit mit ihm aussehen mochte; sie gaben zumindest schon einmal optisch ein interessantes Team ab, das unterschiedlicher nicht hätte sein können.
Wo Thenar groß war (nichts ungewöhnliches für eine shen), ihr Körper trainiert, und ihre Ausstrahlung kühl und professionell, war Furzkin klein, kugelrund und schaffte es dennoch, so ziemlich jeden in Angst und Schrecken zu versetzen, der nicht schnell genug das Weite gesucht hatte. Thenar entging jedenfalls nicht, dass die Leute in seinem Umfeld für gewöhnlich auf Zehenspitzen zu tippeln pflegten, um ja nicht von ihm bemerkt zu werden.
Sein üppiges Haupt- und noch üppigeres Gesichtshaar war rabenschwarz, was unter Tellariten als Anomalie galt, ihm aber eine zusätzliche Aura der Strenge verlieh.
Davon abgesehen verhielt er sich aber recht typisch; und hatte die Zeit, die sie im hinteren Abteil eines Kuriershuttles warteten, bis sie den Rendezvous-Punkt mit der Estrella erreichten, damit verbracht, das Bordpersonal zu beleidigen...
... die sich infolgedessen seit einer geraumen Weile auch nicht mehr hatten blicken lassen. Aber Thenar war ja noch da, und sie kam langsam zu dem Schluss, dass der Commissioner sie auch nur mitgenommen hatte, um jemanden zu haben, bei dem er sich über alles und jeden beschweren konnte – was er auch ausgiebig tat. „So behandeln diese Leute also den großen Furzkin El Dork!“, schnaubte Furzkin angewidert.
Er gehörte zu der Art Tellarit, die von sich selbst oft in der dritten Person referierten. „Seit sechs Stunden.“, fuhr er fort. „Wir warten und warten und warten, in diesem blöden Shuttle auf dieses blöde Schiff.“ Er gab Thenar einen Klaps gegen den Oberarm.
Sie reagierte kaum, weil sie in die Lektüre der Estrella-Logbücher vertieft war, die mit Faras III zu tun hatten – in ihrem Büro war sie nicht mehr dazu gekommen, sich ihnen zu widmen. Was sie da lesen musste, war alles andere als erquickend. Besonders erschüttert war sie von dem Selbstmord eines Wissenschaftsoffiziers, der sich ereignet hatte. Selbstmord. Und das im 24. Jahrhundert. Völlig undenkbar!
„Sagen sie auch einmal etwas!“, forderte Furzkin und knuffte sie erneut. „Wir sollten das Schiff längst erreicht haben Punkt Sechshundert. So war es ausgemacht. Hätten die sich beeilt, wären wir längst auf die Estrella getroffen!“
„Sie sollten die Zuständigen daran erinnern, sobald wir an Bord sind, Commissioner.“, antwortete sie abwesend.
„Erinnern?!“, heulte Furzkin. „Und wie Commissioner Furzkin sie erinnern wird! Ein Commissioner von Furzkins Kaliber muss und wird sich ein solches Benehmen nicht gefallen lassen!“
„Natürlich nicht, Commissioner.“
„Hören sie auf mir zuzustimmen.“, schnappte Furzkin genervt. „Sie stimmen ständig zu. Versuchen sie etwa mich zu verspotten?
Thenar blickte auf und suchte rasch nach einer Möglichkeit zu antworten, ohne ein Streitgespräch mit ellenlangen Tiraden zu provozieren, musste aber feststellen, dass es keine gab. Wenn sie verneinte, würde sie Furzkin zwar nicht zustimmen und somit seine Anschuldigung ad absurdum führen, aber sie würde ihn auch indirekt der Lüge bezichtigen – zumindest war sie sicher, dass er es so drehen und entsprechend lospoltern würde. Wenn sie jedoch zustimmte, würde Furzkin das vermutlich zum Anlass nehmen, um losbrüllen, dass sie es schon wieder tat.
Thenar entschied, gar nichts zu sagen und stattdessen mit ihrem Kopf eine leichte Geste der Zur-Kenntnisnahme anzureißen, deren Bedeutung er sich selbst aussuchen konnte. Furzkins ohnehin schon kleine Schweinsäuglein wurden daraufhin zu schlitzen. „Möchten sie mir keine klare Antwort geben, sh’Dranii?“, verlangte er herausfordernd zu wissen.
„In manchen Situationen“, antwortete sie bemüht diplomatisch „ist zur Wahrung der Ruhe, eine unbestimmte Antwort – oder gar keine – die beste, die man geben kann.“
Furzkin starrte sie noch einen Moment lang an, dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte auf. „Ha! Sie gefallen mir, sh’Dranii! Vielleicht werden sie auf dieser Mission für Furzkin ja doch noch von Nutzen sein!“
„Auf jeden Fall steht uns viel Arbeit bevor.“, versuchte sie das Gespräch von sich auf das eigentliche Thema zu lenken. „Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmt, was hier steht, dann bin ich erstaunt, dass die Besatzung der Estrella es geschafft hat, überhaupt so lange am Leben zu bleiben.“
Der Tellarit überrascht sie, in dem er schlagartig ernst wurde. „Die Logbücher lesen sich nicht gut, nicht wahr? Viele Tote, Selbstmorde, und Offiziere, die sich kurz nach dem Eintreffen an Bord wieder sehr schnell versetzen ließen.“ Er grummelte mürrisch. „Eine einzige Katastrophe, dieses Schiff.“
Thenar zuckte mit den Schultern. „Die Mannschaft hat im Krieg einiges einstecken müssen. Die Überlebenden waren gezwungen mit dem auszukommen, was sie hatten. Unter den gegebenen Umständen... haben sie vermutlich ihr bestes gegeben.“
„Ihr bestes ist offenkundig nicht gut genug.“, schnäubte Furzkin. Thenar legte die Stirn in Falten, was Furzkin nicht entging. „Verstehen sie mich nicht falsch, sh’Dranii.“, fügte er hinzu. „Ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass diese Leute vor kurzem noch für das Überleben der Föderation gekämpft haben. Aber wir müssen unsere persönlichen Gefühle hinten anstellen, und möglicherweise harte Entscheidungen treffen. Nur so können wir der Mannschaft auf lange Sicht helfen. Niemandem ist mit einem Schiff gedient, das mehr Probleme verursacht, als dass es sie löst. Wenn das bedeutet, dass wir Mannschaftsmitglieder vom aktiven Dienst abziehen müssen, dann ist es eben so.“
Thenar war ein wenig überrascht von so viel Umsicht. „Ich stimme zu.“
„Ich brauche ihr Einverständnis nicht.“, entgegnete er schroff. Und er setzte etwas weniger grob hinzu: „Aber es schadet auch nicht, es zu haben.“ Mit der nächsten Frage bezog er sich wieder auf ihre Arbeit: „Sie haben diese Art der Inspektion öfters gemacht?“
„Vor allem in den letzten Monaten.“, nickte sie. „Der Krieg hat bei vielen Offizieren Narben hinterlassen.  Die meisten Betroffenen wollen sich ihre Probleme nicht eingestehen, gehen nicht zu den Beratern und tun so, als sei alles wie immer. Sie klammern sich an den Dienst. Ihnen den wegzunehmen mag notwendig sein... aber es ist nicht angenehm. Und gewiss nicht einfach. Aber wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es ist gut Möglich, dass die Mannschaft der Estrella auch einfach nur eine Menge... Pech hatte.“
Furzkin humpfte nur. Einen Moment lang schwiegen beide. Dann fragte er: „Welche Vorgehensweise würden sie empfehlen?“
Thenar musste nicht lange darüber nachdenken. „Wir sollten uns zunächst einen allgemeinen Überblick über die psychologische Verfassung der Mannschaft verschaffen.“, schlug sie vor. „Die Schiffsberater sind dafür die erste Anlaufstelle.“
Furzkin zog die Schweinsnase kraus. „Wenn sich Leute an Bord schon umbringen, scheinen die Schiffsberater ihren Job nicht allzu gut zu machen.“
„Dennoch kennen sie die Mannschaft am besten und sie können uns zwischen den Zeilen Dinge mitteilen, die aufgrund des Schweigeverhältnisses zwischen Arzt und Patient nicht in den Akten stehen. Anschließend nehmen wir uns die Jungoffiziere vor. Die sind leicht zu knacken. Wenn an Bord etwas nicht stimmt, werden wir es von denen erfahren. Erst danach sollten wir uns den älteren Dienstgraden zuwenden und sie gegebenenfalls ins Kreuzverhör nehmen.“
Wider überraschte Furzkin, in dem er keine Einwände hatte. „So sei es.“
Thenar war beruhigt. Sie hatte schon befürchtet, mit einem launischen Politiker zusammenarbeiten zu müssen, der nichts konnte, als die Leute zu beleidigen.
Aber allmählich begann sie zu vermuten, dass das – wenigstens zum Teil - nur Show war, eine Methode, die Furzkin verwendete, um die Leute zu verwirren, oder sie in trügerische Sicherheit zu wiegen, nur, um mit seinem Scharfsinn dann eiskalt zuschlagen zu können.
Sie wollte eine entsprechende Frage stellen, doch in den Moment steckte der Copilot den Kopf durch die Tür. „Commissioner, Staff-Captain, wir haben soeben die Position der Estrella Del Alba erreicht. Sie haben Bereitschaft signalisiert, sie in Kürze an Bord zu beamen.“
Furzkin machte sich unverzüglich auf, den Copiloten anzublaffen, warum das so lange gedauert hätte, was das bitte für eine Schludrigkeit sei, und wie man es wagen könnte einen Commissioner seines Kalibers so zu behandeln?! Und wo er schon mal dabei war, fuhr er auch gleich noch den Piloten, die Stewardess und – der Vollständigkeit halber – die Steuerkonsole an.
Nun gut, dachte Thenar. Vielleicht hatte sie sich auch getäuscht. Sie schlang sich ihre Reisetasche um die Schulter und begab sich auf den Weg zur Transporterplattform.
« Letzte Änderung: 30.05.15, 10:52 by Star »
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