Thenar war in ihrem Leben schon oft als Spielerin bezeichnet worden, und sie hatte diesen Bemerkungen, bei denen es sich manchmal um Komplimente, hin und wieder um vorsichtige Tadel und manchmal aber auch um versteckte Vorwürfe gehandelt haben mochte, nie bestritten, sondern sie ganz im Gegenteil sogar stolz und offen wie ein Ehrenabzeichen getragen. Und warum auch nicht? Alle Piloten - zumindest die guten - waren bis zu einem gewissen Grad immer auch Glücksspieler, die nicht nur der Technik vertrauten, sondern auch ganz gehörig ihrem Gefühl, ihrem Instinkt, dem, was der Wind ihnen zuflüsterte... und darauf, dass die Götter ihnen am ende des Tages - allen Wiederständen zum Trotz -, wohlwollend gesonnen waren.
Die vorsichtigen, die mochten länger leben, ja - ganz gewiss mochten sie weniger früh gelbe Haare bekommen. Aber es waren die Mutigen, die dazu auserkoren waren, unentdecke Länder zu betreten, die Unerschrockenen und die Frechen. Jene eben, die es vertanden so lange wie möglich auf der Strecke des Glücks zu reiten, und ihre Karten im genau richtigen Moment perfekt zu spielen. Thenar hatte sich stets zu genau jenem Schlag Menschen gezählt, doch nun, als sie mit erhobenen Händen aus der Zelle trat, während die Mündung eines Blasters auf ihr Gesicht zielte, und sie die summende Energie der Waffe spüren konnte, die nur darauf wartete, sie in Schlacke zu verwandeln, da schoss ihr erstmals der erschreckende Gedanke durch den Kopf, dass sie ihre Karten diesmal ganz gewaltig überschätzt haben mochte.
Ganz gewiss jedenfalls hatte sie den Tellariten furchtbar unterschätzt. Er war um einiges aufmerksamer als erhofft, und die bemerkenswerte Aufmerksamkeit und Umsicht, die er an den Tag legte, ließ auch nicht einen Augenblick lang nach, ganz im Gegenteil.
Der Kerl wusste was er tat - leider.
Es war dumm gewesen, sich von der jahrhundertealten Fehde, die zwischen Andorianern und Tellariten herrschte, leiten und infolge dessen in ein Überlegenheitsgefühl einlullen zu lassen, von dem Thenar eigentlich genau wusste, dass es nicht der Wahrheit entsprach - nie entsprochen hatte, und es vermutlich auch niemals würde.
Schon alleine in Anbetracht ihres Hintergrundes als Sternenflottenoffiziers hätte ihr dieser Fehler eigentlich nicht unterlaufen dürfen, und wenn sie Pech hatte - was, wie sie sehr wohl wusste (genau wie alle anderen Piloten) jederzeit passieren mochte -, dann würde ihr dieser Fehler teuer zu stehen kommen. Sehr teuer. Sie hatte nämlich ganz und gar nicht vor, sich mit ihm über irgendwelche Vorlieben zu unterhalten - erst recht nicht in einer Einzelzelle.
Aber vielleicht, nur vielleicht, würde ihr das Glück auch diesmal wieder hold sein und ihr eine Gelegenheit verpassen. Sie musste nur achtsam sein, und bereit den Moment zu nutzen... wenn er sich ergab.
Der Tellarit gab ihr mit einem Wink des Laufs zu verstehen, sich durch den Arrestbereich zu bewegen. Thenar versuchte das Bild einer harmlosen, einigermaßen gelangweilten Frau zu vermitteln, die nichts zu verbergen hatte, während sie gleichzeitig binnen jeder milisekunde ein Dutzend Szenarien durchspielte und mindestens ebenso viele wieder verwarf.
Sie hatte in etlichen Kneipenschlägereien genug Kampferfahrung erlangt, und war dahingehend sogar zuversichtlich, es mit dem Tellariten aufnehmen zu können. Aber sie musste es in einem Schlag schaffen, schnell und leise, damit er keine Chance erhielt, Hilfe zu holen, und DAS traute sie sich schon sehr viel weniger zu. Der Kerl wog mindestens das Doppelte, war auch nicht unbedingt klein, und zumindest das musste man der tellaritischen Anatomie lassen - sie hatten harte Schädel. So schnell würde sie ihn nicht K.O bekommen.
Eher würde sie sich das Hand- oder Fußgelenk brechen.
Sie reckte die Fühler, versuchte eine Schwachstelle zu finden. Das war gar nicht mal das Problem - ihr Echolot vermittelte ihr einen recht guten Eindruck davon, wo seine inneren Organe lagen und welches davon am empfindlichsten war. Die Milz war ein sehr guter Kandidat, und es gelang ihr zu vermitteln, wo sie sich befand. Dummerweise war das auf der von ihr abgewandten Seite seines Körpers. Da kam sie nicht ran, ohne Verdacht zu schöpfen, und bis dahin hatt er sie längst weggepustet. Sie musste eine andere Möglichkeit finden.
Denk nach, Thenar, denk!
Er eskortierte sie an der Zelle mit Mikes Freund vorbei. Ohne Nachzudenken fragte sie: "Was hat der eigentlich verbrochen?" Die Antwort war ihr reichlich egal, aber sie musste Zeit kaufen. Zeit bis...
Bis...
Nun, sie wusste es nicht. Irgendwas würde sich schon ergeben. Eine Gelegenheit. Egal welche. Vielleicht.
Die Antwort erfolgte prombt, wenn auch nicht von dem Tellariten, sondern von dem Saurianer, der in seiner Zelle wohl die Stimmen gehört und in seinem Rauschzustand der Meinung gewesen war, dass man ihn angesprochen hätte. Er lallte etwas, das Thenar nicht verstand, weil das elektrisierte Flackern des Kraftfeldes ihre Sinne aus dieser Nähe beeinträchtigte, aber der Tellarit verstand es dafür umso besser - und hielt es kein bisschen gut.
Zwar senkte er nicht die Waffenmündung, mit der er Thenar noch immer eindrucksvoll in Schach hielt, wandte aber kurz den Blick ab, um mit der geballten Faust gegen die Wand neben der Zelle des Saurianers zu schlagen. "Ruhe da drin!"
Erneut handelte Thenar rein instinktiv - und blitzschnell. Sie übersprang einfach die Phase, in der man einen Plan austüftelte, und ging gleich zu jener über, wo man ihn einfach in die Tat umsetzte und warf sich mit voller Wucht gegen die massige Gestalt ihres Möchtegern-Peinigers. Weder ihre eigene Körpermasse, noch die Kraft, die sie für diese Aktion aufwandte (was so ziemlich alle war, die sie hatte), reichten aus, um den Tellariten auszuknocken, oder ihn gar zu verletzen - darauf legte es Thenar auch nicht an - wohl aber, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, und stürzen zu lassen...
...genau in das Kraftfeld hinein.
Auf einer Sternenflotten-Einrichtung wäre das eine schlimmstenfalls ermüdende Aktion gewesen, da man in jenen Arrestbereichen noch immer auf menschlichkeit achtete, und die Kraftfelder mit gerade so viel Energie betrieben wurden, dass sie einem bei Berührung nur einen kleinen und insgesamt recht harmlosen elektrischen Schlag verpassten.
Aber das hier war keine Sternenflotten-Einrichtung.
Hier standen die Kraftfelder unter massiver Energie, um ihre Insassen auf widerwärtige Art und Weise gehört machen zu können - eine Behandlung, die der Tellarit nun zur Abwechslung mal am eigenen Leib erfahren durfte. Leider jedoch auch Thenar, denn die hatte sich schon komplett gegen den Tellariten werfen müssen, um ihn umzustoßen, war mit ihm umgekippt, und musste nun feststellen, dass ihre Bemühungen, das Kraftfeld dabei bloß nicht selbst zu berühren, relativ für die Katz waren, da sich der Körper des Tellariten als exzellenter Stromleiter erwies.
Der Tellarit jaulte kurz auf, dann spürte sie selbst, wie eine gewaltige, furchtbar eisige Klaue nach ihr zu packen schien, während sich substanzlose Krallen in jede einzelne Faser ihres Körpers bohrten und Dinge damit anstellten, die... einfach nicht in Ordnung waren. Etwas knallte, sie hatte das Gefühl zu fliegen, zu fallen, und mit einem Shuttle zu kollidieren.
Und dann, von einem Augenblick zum anderen war es vorbei und Thenar stellte drei Dinge gleichzeitig fest: sie lag auf dem Boden, ohne zu wissen, wie sie dahingekommen war, es roch nach verbranntem, und ihr Hirn war offensichtlich Matsch, da es eine halbe Ewigkeit dauerte, ehe sie merkte, dass der Geruch von ihr selbst ausging.
Sie zitterte, litt gar an merkwürdigen Zuckungen und wusste nicht warum. Irgendwie konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. In ihrem Kopf drehten sich - vermutlich synchron zu ihren Pupillen - zwei Murmeln und anstatt ihr mit Antworten zu verhelfen, zuckten sie nur unhöflich die Schultern, um sich dann wieder ganz ihren Drehbewegungen zuzuwenden.
Thenar versuchte sich zu bewegen, aber ihr Körper reagierte kein bisschen kooperativer als die Murmeln. Ein schwarzer Vorhang drohte sie zu ersticken, sie ins Reich des Vergessens zu entführen. Es war ihr beinahe egal.
Jemand rief ihren Namen.
Thenar wusste nicht, ob sie sich das nur einbildete, aber in jedem Falle half ihr das noch einmal die Fesseln der drohenden Bewusstlosigkeit von sich zu stoßen. Sie öffnete die Augen, blinzelte, versuchte sich zu orientieren, aber sie bekam kein Feedback von ihren Fühlern, als wären sie gar nicht mehr vorhanden. Beim vierten oder fünften Versuch gelang es ihr, den Kopf ein wenig zu drehen, und im ersten Moment ergab das Bild, das sich ihr dabot keinen Sinn.
Neben ihr lag ein Tellarit.
Und qualmte.
Das Bild weckte unangenehme Erinnerung an einen elektrischen Schlag, an eine unfassbar dumme Aktion, die unmöglich von ihr ausgegangen sein konnte, denn so Wahnsinng war sie nun auch wieder nicht. Und an Kowalski!
Die Zelle. Ihre Lage. Es kam alles schlagartig zurück und nun, wo ihr Denkapparat langsam wieder anlief, und sie genauer hinsah, bemerkte sie auch, dass der Tellarit zwar genüsslich vor sich hinschmorte (und auf den Boden sabberte), aber keinesfalls tot war, denn sein Brustkorb hob und senkte sich. Er war nur bewusstlos und - Da! Seine Finger bewegten sich. Er würde bald aufwachen. Thenar musste sich beeilen.
Sie drehte sich umständlich auf den Rücken - schon alleine diese Bewegung kostete sie mehr Kraft als alles zuvor - und war dann bemüht, sich auf Hände und Knie zu stemmen. Beim ersten Versuch knickten ihre Arme einfach wieder unter ihr ein und sie klatschte mit der Stirn voraus auf den kalten Metallboden zurück. Sie versuchte es noch einmal. Diesmal knallte sie nur auf die Nase. Sie hätte gerne "Aua" gesagt, aber ihre Zunge war nichts weiter als ein unnützer, mit Pelz überzogener Schwamm in ihrem Mund. Also fluchte sie nur innerlich, stemmte sich erneut in die Höhe und schaffte es diesmal sogar in dieser Position zu bleiben.
Der Tellarit neben ihr stöhnte.
Thenar krabbelte schwankend zu ihm herüber - ihre gesammte Muskulatur hatte sich verkrampft und noch immer litt sie unter starken Zuckungen, was das Unterfangen kein bisschen leichter machte - und begann an seiner Kleidung herumzufummeln, bis sie die Codekarte fand.
Wieder stöhnte der Wachmann, und diesmal hörte es sich schon sehr viel lebendiger an.
Thenar blieb nicht mehr viel Zeit. Sie überlegte, ob sie seine Waffe nehmen sollte, verwarf den Gedanken aber sogleich wieder, da sie die Fesseln der Ohnmacht erneut herannahen spürte, und in diesem Zustand konnte sie es nun wirklich mit niemandem aufnehmen. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit.
Sie nahm die Karte an sich, kämpfte sich auf die Beine hoch und versuchte herauszufinden, wo sie war. Noch immer bekam sie kein Feedback von ihren Fühlern. Sie spürte sie nicht einmal mehr, und ohne ihr Echolot fühlte sie sich wie betrunken. Schließlich machte sie dann doch noch die Zelle aus, in der Kowalski stand, wankte zu ihr herüber, wobei sie ins Stolpern geriet und sich nur mit mehr Glück als Geschick au den Beinen halten konnte, und steckte die Karte mit letzter Kraft in den entsprechenden Slot.
Das Kraftfeld deaktivierte sich, und damit verließen auch Thenar ihre Kräfte. Sie sackte gegen die Wand, rutschte daran herunter und nahm sich vor, sollte sie je wieder das Bedürfnis haben, sich ähnlich miserabel zu fühlen, wie im Moment, in Zukunft doch lieber wieder zum Alkohol zu greifen, anstatt in eine Kraftfeld zu springen.
Jetzt lag es an Kowalski...