So, ich versuche hier jetzt mal auf Max' Bitte hin zu erklären, warum ich Discovery so sehr mag. Ich muss das in kleinere Pakete runterbrechen und beginne mit der Serie selbst. Ich habe die 10-Punkte-Liste Warum-Orville-ja-so-viel-besser(es Star Trek)-als-Discovery-ist wieder gefunden und gehe einfach mal an den Punkten entlang, weil sie einen Teil dessen abdecken, was mir an der Serie gefällt.
1. Altersfreigabe: Ja, Star Trek ist mit Discovery definitiv erwachsen geworden. Das ist keine Familienserie mehr mit fröhlichen Farben und nettem Umgang. Und das ist genau das, was ich gebraucht habe, denn ich habe bei meinen Serienwiederholungen der letzten zwei Jahre gemerkt, dass ich mich zumindest im Format von TOS, VOY und TNG nicht mehr wirklich wiederfinde.
Teilweise sind mir die Schockelemente zu hart (ich bin ja auch keine Freundin von GoT, an das sich DSC teilweise anlehnt), da hätte es auch etwas Subtileres getan.
Einfach mit den Kindern davor setzen geht hier natürlich nicht mehr (um auf Deine Frage einzugehen, Max). Ich schaue die Folgen alle alleine an, spreche dann mit meinen Jungs darüber, wer stirbt, welche grausamen Szenen zu sehen sind. Sie entscheiden dann. Wir haben die ersten 9 Folgen gemeinsam geschaut (Minus der Szene auf der Glenn und Minus aller Missbrauchsszenen), Folge 10 haben sie dann abgelehnt, als ich ihnen gesagt habe, dass Culber stirbt.
2. Opening Credits: Das ist eine Geschmacksfrage. Was für die einen ein OMG-Sie-haben-kein-Raumschiff-vor-Weltall/Planeten/Nebel-Intro! ist, ist für mich ein Glücklicherweise-haben-sie-nicht-schon-wieder-ein-Raumschiff-vor-Weltall/Planeten/Nebel-Intro.
3. Forschung: Das "Discover" aus dem Titel bezieht sich hier nicht auf die Erforschung des Weltalls, sondern auf die Erforschung der Charaktere. Und so sehr ich Erforschungen liebe, war dieses Szenario bereits gestorben, als verlautete, dass sie sich in der Zeit des Kriegs mit den Klingonen bewegen. Was sie bislang daraus gemacht haben, hat mich positiv überrascht, und auch wenn ich dann in der zweiten Staffel auf mehr äußere Erforschung hoffe, bin ich mit der inneren sehr zufrieden. Bekanntlich sind für mich die Charaktere einer Serie das A und O, dem sich alles unterzuordnen hat (für mich wohlgemerkt. Dass das für andere anders ist, ist völlig unbelassen).
Auch das Myzelnetzwerk, das von vielen stark angegriffen wird, finde ich eine tolle Idee. Das ist etwas, das ich mir lebhafter vorstellen kann als Subraum oder ähnliches. Und die Idee, eine biologische Komponente mit der Physik des Universums zu verknüpfen, gefällt mir sehr.
4. Crew-Interaktion: Wie die Crew miteinander umgeht, wie alle ihren Platz finden müssen, wie die unterschiedlichen Motive sich ergänzen oder kollidieren, war für mich bislang spannend zu sehen. Die Aufhebung des Credos, dass kein Twist unter den Hauptcharakteren sein darf, hat meiner Ansicht nach der Serie gut getan. Ich habe den Eindruck, hier sehr echte Charaktere vor mir zu haben. Sie sind nicht austauschbar, weil das Schicksal von fast jedem mit der Handlung verknüpft und dafür wichtig ist. Diese Serie ist vor allem charaktergetrieben.
5. Uniformen: Gut, das ist in meinen Augen ein ziemlich lächerlicher Punkt (überhaupt die gesamte visuelle Reboot Diskussion. Ich will in einer Serie von 2017 einfach nicht das sehen, was ich vor 50 Jahren gesehen habe, weder im Innendesign noch in den Raumschiffen - aber das ist dann echt eine Glaubensfrage). Aber um auch auf den einzugehen: Die Discovery-Uniformen gefallen mir ausgesprochen gut. Sie sind eine schöne Weiterentwicklung der ENT-Uniformen, die ich ebenfalls den bunten, eher pyjamaartigen Uniformen der anderen Serien vorziehe.
6. Dunkle Töne: Ja, definitiv, und ja, genau nach meinem Geschmack. Ich habe mich weiterentwickelt und damit meine Einstellung. Ich möchte den Weg in Richtung der Star Trek Utopie sehen, nicht das Endergebnis. Ich möchte den Weg durch das Dunkle sehen, um dort anzukommen. Damit kann ich mich weitaus besser identifizieren und genau das ist der Weg, den Discovery eingeschlagen hat.
7. Moral des Captains:

- Na, der Punkt ist ja wohl extrem storyrelevant und daher als Negativbeispiel nicht passend.
8. Humor: Es liegt in der Natur der Handlung, dass Discovery recht humorlos daher kommt. Einzig Stamets und Tilly lockern die Sache von Zeit zu Zeit ein wenig auf. Humoreinlagen à la Q (den ich übrigens hasse), wären unpassend.
9. keine abgeschlossene Episoden: Wieder ein Punkt, an dem ich einfach sagen muss: Gott sei Dank! Das ist einfach nicht mehr das Serienformat, das ich sehen möchte. Ich brauche Charakterentwicklung (wie schon des Öfteren erwähnt), und die ist um ein Vielfaches eher gegeben, wenn ich eine serielle Erzählweise verwende. Vor allem habe ich dann auch die Möglichkeit, eine Geschichte langsam zu entwickeln, statt sie innert 45-60 Minuten eröffnen und abschließen zu müssen.
10. unbekannte Zukunft: Das ist der einzige Punkt, bei dem ich zustimmen würde. Es ärgert mich, dass die Produzenten Discovery in so ein enges Korsett gesteckt haben, und daher das Ende klar ist.
Okay ... das wären diese Punkte aus der Liste. Für mich kommt auf jeden Fall noch dazu, dass ich die Schauspieler durch die Bank weg sehr gut ausgewählt finde und dadurch zu vielen der Charaktere eine innige Bindung aufgebaut habe. Das ist für mich der allerwichtigste Punkt, und auch das, was für mich bislang Star Trek von anderen SF-Serien abgehoben hat (merke ich gerade ganz extrem bei "Expanse" oder "Stranger Things", wo mir die Charaktere nicht gleichgültiger sein könnten). Wenn mich eine Serie schafft, mit ihren Charakteren zu kriegen, hat sie einen treuen Fan gewonnen.
Michael Burnham: schon im Pilot konnte ich ihre zerrissene Haltung und ihren Wunsch das Richtige zu tun und dadurch das Falsche zu machen so gut nachvollziehen. Ihre innere Unsicherheit, der plötzliche Shutdown (oh, das kenne ich nur zu gut!), der Versuch, sich selbst seitdem wieder zu beweisen und das Pochen auf ihre Sternenflottenmoral. Ein ganz toller Charakter auf meiner Wellenlänge.
Sylvia Tilly: Ebenfalls ganz wunderbar authentisch von der anderen Richtung. Ihre großen Ambitionen, ihr großes Herz und ihre große Klappe sind herrlich. Dass sie sich auch von ablehnenden Reaktionen (Burnham anfangs und Stamets) nicht abschrecken lässt und einfach das Gute in anderen versucht rauszukitzeln, imponiert mir.
Paul Stamets: Brauch ich nicht viel zu sagen - ich habe noch nie einen Star Trek Charakter erlebt, den ich so gut begreifen kann. Das war Liebe auf den ersten Blick.
Saru: Er hat mir durch seine Art im Pilot imponiert, ist danach dann leider etwas länger blass geblieben, kommt jetzt aber richtig zur Geltung. Er verkörpert im Prinzip das, was die Sternenflotte an Moral ausmacht. Und ich finde es unheimlich spannend zu sehen, dass gerade der Charakter, der am ehesten das Ideal vertritt, als ängstlich und schwach angesehen wird.
Hugh Culber: Es gab wohl im gesamten Star Trek Franchise nie einen männlichen Charakter, den ich mehr bewundert habe als Vedek Bareil. Und hier gehen sie hin und setzen mir tatsächlich wieder so einen Charakter vor: ruhig, freundlich, souverän, um das Wohlergehen seines Partners besorgt. Ich habe mich von Folge zu Folge trotz der wenigen Auftritte völlig von seiner Wärme angezogen gefühlt. Natürlich durfte er dann das Schicksal Bareils teilen. Was mich trotz der langen Vorbereitungszeit (seit November habe ich mit seinem Tod gerechnet), dann doch ziemlich aus der Bahn geworfen hat (wie damals bei Bareil auch). Es zeigt jedoch auch, wie sehr mir sein Charakter ans Herz gewachsen ist.
Was mich ebenfalls an der Serie überrascht, ist die Spannung, mit der ich jeder neuen Folge entgegenfiebere. Wenn es Montagmorgen 9.00 h wird, beginne ich kribblig zu werden. Ich bin auf einer konstanten Achterbahn der Emotionen und das ist gleichermaßen spannend wie auch frustrierend. Es geht dabei nicht mal um die Story-Twists, die ja alle durch die eingestreuten Informationen im ersten Teil der Geschichte angekündigt waren, sondern darum, was das mit den Charakteren macht, wie sie darauf reagieren, wie sie versuchen müssen, ihr Gleichgewicht wieder zu finden. Da schaffen es die Autoren und die Schauspieler, mich völlig mitzunehmen.
Eigentlich wollte ich noch auf die Meta-Ebene eingehen, weil für mich Discovery in den letzten Monaten über die eigentliche Serie hinaus sehr bedeutsam geworden ist, da ich zum ersten Mal wieder das Fandom-Gefühl habe, das für mich gegen Ende der 90er Star Trek überhaupt erst zu so etwas Besonderem gemacht hat. Aber es ist jetzt ohnehin schon zu lang - und ich habe den Eindruck, dass ich überhaupt nicht richtig erklären konnte, was ich so daran mag. Entschuldigung. Ich finde es einfach unglaublich schwierig so etwas wie "lieben" in Worte zu fassen.