So, ich hab den Thread umbenannt.
Hier kommen in Zukunft alle KG\'s von mir rein, die entweder SciFi oder wenigstens Fantasy/mysterymäßig angehaucht sind.
Diese hier basiert auf einer älteren Idee für eine Star Trek Geschichte: sollte eigentlich um Cassidy Yates\' Kind gehen, was aber so nicht funktioniert hat.
Letztendlich wurde ein Non-FF-Werk draus.
Genre: Babyfic meets Humor und diplomatische Verwicklungen mit kristallförmigen Aliens

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KindermundAch, wie ich es liebe, um sechs Uhr morgens aufzustehen! Mein Wecker jault in dissonanten Tönen wie das Alarmsignal der hakanischen Raumflotte. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf, genieße noch fünf Minuten Ruhe in meinem himmlisch warmen, weichen Bett, bis mein Gehirn für die Einsicht in die Notwendigkeit bereit ist. Dann stolpere ich im Halbschlaftaumel über die Cornflakes-Schachtel. Die steht fast jeden Tag neben dem Nachtschrank, seit ich meinem Mann Karon gestanden habe, dass ich es romantisch finde, das Frühstück ans Bett gebracht zu kriegen.
Jetzt falle ich über Tenarak, die auf dem Fußboden herumkrabbelt und an den Teppichfransen lutscht, weil die angeblich „saure Nährstoffe“ enthalten. Dabei weiß die kleine Landplage mit Sicherheit nicht, was Nährstoffe sind, und ich habe keine Ahnung, was sie da wieder mal in Karons oder meinem Geist gelesen hat. Vermutlich in meinem, denn mein Mann ist ein Hakani, ein Telepath, wie jeder Angehörige seines Volkes. Der Glückliche kann sich abschirmen, wenn er keinen mentalen Kontakt wünscht – ich dagegen merke es nicht einmal, wenn jemand in meinem Kopf herumspioniert.
Aber unserem reizenden Töchterchen zu sagen, dass sie nicht in meinem Geist herumschnüffeln soll, ist genauso zwecklos, wie ihr zu verbieten, die Regale hochzuklettern. Damit hat sich mich eines Tages dermaßen zur Weißglut gebracht, dass ich ein Bündel Socken nach ihr geworfen habe. Sie hat nur leise gejauchzt und versucht, es zu fangen. Wahrscheinlich muss sie erst runterfallen und sich ein paar Beulen holen, bevor sie von ihrer Klettersucht geheilt ist.
Dabei kann sie so niedlich sein, wenn sie sich eine fixe Idee in den Kopf gesetzt hat! Ihre Augen sind dann riesengroß und ganz ernst, sie wirkt in solchen Augenblicken richtig weise, obwohl das gewaltig täuscht.
Ich stecke meine Haare hoch, klemme mir Tenarak unter den Arm. Sie protestiert lauthals, weil ich sie von ihrem geliebten Teppich wegreiße, und mache mich schleunigst auf den Weg zur Transportbahn. Auf der Erde hätte ich ein eigenes Dienstshuttle mit Steuermann, – aber hier sind Privilegien leider sehr verpönt.
In einer Stunde trifft die varaillianische Delegation in der Botschaft ein, und ich habe eine ganze Woche an meiner Begrüßungsrede gefeilt.
Leider hat sich Paslar die Hüfte gebrochen, weil sie gestern Abend – mit ihrem Gemahl an selbiger verbunden – von einem Felsvorsprung gefallen war. Ihr Mann hat wohl Glück gehabt, weil er weich auf ihr gelandet ist.
Die Arme!
Und ich habe keine Babysitterin, wenn ich sie am nötigsten brauche. Zum Teufel mit den Hakani und ihren merkwürdigen Sexpraktiken!
Mein Mann operiert gerade einen Patienten, – also bleibt mir nichts weiter übrig, als Tenarak heute in die Botschaft mitzunehmen und zu hoffen, dass diese Varaillianer kinderlieb sind. Dabei kriegen sie überhaupt keine Kinder, jedenfalls nicht so wie wir Humanoiden. Die Varaillianer sind anorganische Lebensformen, wunderschöne, funkelnde Kristalle, etwa handtellergroß.
Ein erstaunliches Volk! Es beschäftigt sich fast ausschließlich mit Kunst und Philosophie.
Ich freue mich schon sehr auf das Treffen. Der große Auftritt von Elenor O’Leary, Botschafterin der Erde auf Hakani Prime. Ich habe mich immer noch nicht an diesen Titel gewöhnt, aber die Hakani haben ihn mir mit großem Brimborium verliehen, und nun muss ich das Beste daraus machen. Aus unerfindlichen Gründen wollten sie mich für diesen Job.
Vielleicht, weil ich einen von ihnen geheiratet habe?
Oder weil ich während der Militärdiktatur im terranischen Untergrund aktiv war?
An meinem Politologiestudium, das meinen Kopf eher mit Propagandagetöse, als mit brauchbaren Fakten gefüllt hat, liegt es wahrscheinlich nicht. Und ganz bestimmt liegt es nicht an meinem Dienstalter. Meine Leute tun sich immer noch schwer damit, eine fünfunddreißigjährige Diplomatin ernst zu nehmen, aber vielleicht ändert sich das heute – falls sich Tenarak anständig benimmt.
Wir müssen aussteigen und sie sieht sich mit großen Augen um. Einige Ruinen zeugen immer noch vom Krieg zwischen Menschen und Hakani. Mir läuft ein Schauer über den Rücken, wenn ich mir vorstelle, dass es terranische Bomben waren.
Man kann nicht einmal behaupten, dass wir unzivilisiert gewesen wären. Aber dann gingen beinahe sämtliche Rohstoffe zur Neige und wir mussten uns woanders welche besorgen. Als besonders ergiebig erwies sich ein Planet in Sektor 347-A.
Nur dummerweise lebt dort ein Naturvolk, das unter dem Schutz der Hakani steht. Und da hatten wir den Salat.
Unterm Strich war es gut so, denn ohne diesen Krieg hätten wir keine Chance gehabt, unsere von geldgeilen Konzernbossen bezahlten Putschgeneräle zum Teufel zu jagen.
Nun, zehn Jahre nach Kriegsende, haben die Hakani sogar diplomatische Beziehungen zu uns aufgenommen. Vielleicht sind wir eines Tages würdig, der interplanetaren Allianz friedlicher Welten beizutreten.
Tenarak beeindruckt das alles wenig. Sie zeigt auf einen vorübergehenden Rotarkaner mit königsblauer Haut und quietscht begeistert: „Mama, Mama, blauer Mann mit Löffeln auf dem Kopf!“
„Das sind keine Löffel, Schätzchen, sondern Fühler“, erkläre ich geduldig. „Er ist ein Rotarkaner und kann damit riechen.“
„Rota...“ Sie schafft es nicht, das schwere Wort auszusprechen. Dann strahlt sie. „Fühler!“
Oh nein, ich kenne diesen Blick! Wie sie dem Rotarkaner hinterher starrt und dabei ungeduldig an meinem Arm herumzerrt. Sie hat sich schon wieder eine fixe Idee in den Kopf gesetzt! Wahrscheinlich will sie die Fühler anfassen.
Was auch immer, ich halte ihre Hand so fest ich kann.
Denn wenn ich mir das Gewühle auf der Straße ansehe ...
Meine Kleine wird sich hoffnungslos verirren und ich werde sie nicht wieder finden! Dann muss ich wohl oder übel die Ordnungshüter rufen.
Wenn ich das hier überstanden habe, pflanze ich Tenarak einen Transponder ein oder lege sie ganz einfach an die Leine.
Die Passkontrolle bittet um meinen Kreditchip, ich greife in meine Handtasche. Das kleine Biest nutzt die Ablenkung sofort und reißt sich los.
„Tenarak bleib stehen – sofort!“ brülle ich ihr verzweifelt hinterher. Natürlich hört sie nicht auf mich. Einige Passanten drehen sich neugierig um, der Beamte – ein kleiner, dicker, algenfarbiger Bürokratentyp – hebt lediglich beide Augenbrauen.
„Warten Sie bitte einen Augenblick, mein Kind ...“
„Ihren Chip bitte“, fordert er ungerührt.
„Aber machen Sie schnell!“, fauche ich ihn an.
Oh, dieser Volltrottel!
Ich sehe Tenarak nicht mehr, sie ist in der Menge verschwunden.
Wie kann sie auf ihren kleinen Beinchen nur so flink sein?
Das ist mir ein Rätsel.
Also halte ich Ausschau nach den Fühlern des Rotarkaners.
Da!
Mist, in diesem langen, engen Kleid, das ich für den Empfang angezogen habe, komme ich einfach nicht vorwärts! In einem plötzlichen Geistesblitz hole ich ein Schweizer Armeemesser aus meiner Designer-Handtasche, schlitze den Rock rechts und links bis zu den Hüften auf. Egal, ob diese Varaillianer mich nachher schief angucken. Genau genommen haben sie nicht einmal Augen.
Nun kann ich endlich rennen!
Jetzt drehen sich die Leute erst recht nach mir um und schütteln ihre grün schillernden Köpfe. In der hakanischen Hauptstadt ist man nicht unbedingt an den Anblick von Menschen gewöhnt, vor allem nicht, wenn sie wie die aufgescheuchten Hühner durch die Fußgängerzonen flattern und jeden beiseite schubsen, der ihnen im Weg steht.
Tenarak steht, wie erwartet, vor dem Rotarkaner und streckt ihr kleines Händchen nach ihm aus. Der Mann lächelt amüsiert auf sie herab und sein Lächeln wird noch breiter, als er mich angehetzt kommen sieht. Aber jetzt ist es kein Ausdruck des Entzückens mehr, sondern der Schadenfreude.
Ich musste mir von meiner Sekretärin ein Kleid ausborgen, das für meinen Geschmack viel zu kurz und zu pink ist. Aber meine Rede vor der varaillianischen Delegation war trotzdem ein voller Erfolg. Die Anwesenden applaudierten und die winzigen Translatoren auf den Rücken der Varaillianer blinkten anerkennend. Obwohl es für mich eine echte Premiere war, einer gepolsterten Schachtel voller Kristalle etwas über Völkerverständigung zu erzählen.
Ich teile meinen Mitarbeitern je einen Varaillianer zum Herumtragen und Bemuttern zu, führe die Offiziere des Raumflottenschiffes, das die Varaillianer befördert hat, zum Buffet und beantwortete die Fragen von einem halben Dutzend Journalisten. Absolut vertieft eine philosophische Diskussion mit dem ovalen roten Chefkristall, bemerke ich nicht, dass Isaac, mein Sicherheitsattaché, etwas von mir will. Erst jetzt, als er mich anstubst: „Elenor, ein Mitglied der varaillianischen Delegation ist verschwunden!“
„Wer ist es?“ Ich sehe Isaac scharf an und der Varaillianer auf meiner Hand blinkt alarmiert mit seinem Translator.
„Der Kultusminister.“
„Hast du einen Verdacht, wer mit seinem Verschwinden zu tun haben könnte?“
Mein Sicherheitsattaché räuspert sich. „Ich möchte ja niemandem etwas unterstellen, aber der Botschafts-Kindergarten ist wohl nicht gerade ausbruchssicher.“
„Wollen Sie damit andeuten, Tenarak sei hier rumgekrabbelt?“
„Ein kleiner, hellgrüner Kugelblitz, der mit Tenarak identisch gewesen sein könnte.“ Er grinst über beide Backen. „Kompliment! Meine Kleine konnte mit achtzehn Monaten noch nicht so gut laufen.“
„Ja, sie läuft und sie spricht, und das ist manchmal ein großes Problem.“
Ich kann nur noch entnervt seufzen, verabschiede mich höflich von dem roten varaillianischen Delegationsleiter und überlasse ihn Isaacs fürsorglichen Händen.
Plötzlich verlöschen sämtliche Lichter und Comm-Bildschirme im Raum.
Ein paar Frauen schreien leise auf, sämtliche Presseleute stürzen sich sofort mit Mikrofonen auf mich.
Da merken sie, dass ihre kleinen Aufnahmegeräte nicht funktionieren. Ich verkneife mir ein schadenfrohes Kichern, denn das wäre nicht sehr diplomatisch. Außerdem werden sie sich früh genug rächen, wenn sich herausstellt, dass mein entzückender, kleiner Chaosdämon von Tochter ...
Ich kann mir die Schlagzeilen schon lebhaft vorstellen: „Krabbelkind gefährdet diplomatische Beziehungen!“
„Meine Damen und Herren, seien Sie beruhigt. Wir haben alles unter Kontrolle!“ Meine Stimme klingt freundlich, aber energisch, wie es sich gehört. „Ich werde mal kurz nach dem Rechten sehen. Genießen Sie das Buffet – ich bin gleich wieder für Sie da! Und seien Sie versichert, dass wir in Kürze die Ursache dieser … Unannehmlichkeit finden.“
Aber die kenne ich längst: Varaillianer sind keine hübschen, bunten Klunkern, sondern Geschöpfe von großer Macht. Vor fünf Jahren wäre ein hakanischer Raumfrachter beinahe auf ihrem Planeten abgestürzt, weil der Captain ein paar besonders angesehene Philosophen respektloserweise in seine Tasche gestopft hatte. Dem Schiff war sämtliche Energie entzogen worden, die Lebenserhaltung versagte. Glücklicherweise klärte sich das Missverständnis und die Varaillianer sind mit der Interplanetaren Allianz in Beitrittsverhandlungen getreten.
Hoffentlich sind sie auch diesmal so großmütig! Bitte, Tenarak!
Wie befürchtet, lutscht sie an einem trapezförmigen roten Kristall herum.
„Tenarak, nimm sofort den Kultusminister aus dem Mund!“
Sie sieht mich nur mit kreisrunden Kulleraugen bar jeder Vernunft an. Dabei versteht sie mit Sicherheit, was ich von ihr will, und das macht mich wütend.
„Also hör mal zu: Wie würde es dir wohl gefallen, wenn man dich in eine dunkle Höhle sperrt und von Kopf bis Fuß einschleimt? Soll ich das mal mit dir machen? Dieser Kristall ist ein fühlendes Wesen und kein Spielzeug!“
Mir ist es todernst und das spürt meine Kleine. Sie legt den Kristall auf den Tisch und fängt bitterlich an zu weinen.
Ich habe Bauchweh und weiß nicht, wen ich zuerst trösten soll: Tenarak oder den Varaillianer. Kurz entschlossen nehme ich mein Baby in den Arm, greife mit der anderen Hand nach dem unglückseligen Kultusminister und wische ihn mangels Taschentuch vorsichtig am Sitzpolster ab. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, Herr Minister! Ich weiß nicht, ob Sie Erfahrungen mit humanoidem Nachwuchs haben, aber meine Tochter ist noch sehr jung und weiß nicht, was sie tut. Bitte fassen Sie es nicht als böswillige Absicht auf ...“
Meine wortreiche Entschuldigung scheint ihn zu besänftigen.
„Neu geformte Varaillianer entwickeln ihr Bewusstsein auch nur allmählich“, ertönt seine glockenhelle Stimme in meinem Kopf. „Die Schuld an der Unvollkommenheit Ihres Abkömmlings liegt nicht bei Ihnen.“
Das Licht geht wieder an, der Varaillianer hat mir und Tenarak verziehen. Ich atme erleichtert auf und rufe meine Sekretärin: „Janice, bitte seien Sie so lieb und holen Sie Tenarak einen Lutscher ... lesen Sie ihr was Schönes vor ... nur machen Sie, dass sie beschäftigt ist!“
Der Empfang der varaillianischen Delegation ist mittlerweile drei Tage her. Heute bekam ich eine offizielle Einladung vom varaillianischen Regierungsrat: Ich soll mich auf ihrer Heimatwelt einfinden und „meinen Nachwuchs mitbringen“.
Letzteres bereitet mir große Bauchschmerzen. Den halben Tag war ich mit Reisevorbereitungen beschäftigt, und die andere Hälfte des Tages mit Zen-Meditation zwecks Besänftigung meines Drangs, alles kaputt zu schlagen.
Verdammt, ich habe doch bereits getan, was ich konnte, um die Varaillianer zu beschwichtigen! Eigentlich bin ich davon ausgegangen, das Tenaraks undiplomatisches Genuckel vergeben und vergessen sei!
Wer weiß, was die Regierung für ein bizarres Entschuldigungs-Ritual von mir verlangt, oder von Tenarak. Sie wissen doch, dass meine Kleine ein unschuldiges Kind ist!
Karon steht plötzlich hinter mir, legt seine Arme um mich, reibt sein leicht stoppeliges Gesicht zärtlich an meinem Hals und streicht mir aufreizend langsam über die Brüste, offensichtlich, um mich aufzuheitern.
„Bist du jetzt überzeugt, dass es besser ist, mich mitzunehmen?“, raunt er mir ins Ohr.
„Na ja, du bist zu fünfzig Prozent verantwortlich für Tenaraks Existenz, also auch für dieses völkerrechtliche Desaster.“
„Ist das der einzige Grund, weshalb du mich dabei haben willst?“
„Zu zweit haben wir Tenarak besser im Griff. Wer weiß, was sie anstellt!“
„Wenn dir das solche Sorgen macht, gibt es immer noch Janice. Dort wäre sie für ein paar Tage gut aufgehoben.“
„Du schlägst vor, die Kleine hier zu lassen und den Varaillianern eine Ausrede aufzutischen, weshalb wir unseren ‚Nachwuchs’ nicht mitbringen konnten?“ Ich lächle ihn schief an. „Gib´s zu: Du hast nur keine Lust, hinter ihr herzuputzen, wenn sie mal wieder die Wände mit dem Inhalt ihres Nachttopfes bemalt“, necke ich ihn.
„Du weißt, wie sehr ich Tenarak liebe ... aber ihre Fäkalien sind etwas anderes.“
„Ach, und deshalb überlässt du sie mir? Ich weiß noch, als Tenarak gerade geboren war, wolltest du dem armen Kind tatsächlich einen Schlauch in den Hintern schieben, weil du zu faul zum Windeln wechseln warst!“
„Ich wollte dir doch nur die Arbeit erleichtern.“
„Und ich hätte mich scheiden lassen, wenn du das gewagt hättest!“
„Du kannst mir nicht vorwerfen, dass sämtliche Drecksarbeit an dir hängen geblieben wäre! Dieses sogenannte Gemälde hast du nämlich mir überlassen.“
„Weil ich es nicht übers Herz gebracht habe, etwas zu zerstören, das von soviel Talent zeugt. Abgesehen von seinem Geruch war es nämlich sehr hübsch.“
Karon lacht leise. „Ich sollte mal heimlich in deinen frühkindlichen Erinnerungen graben.“
„Damit du weißt, was dir noch bevorsteht? Du wolltest ja unbedingt ein Kind, das nach mir kommt – das hast du nun davon.“
Karon lächelt unergründlich. „Es ist die fleischgewordene Entropie, aber ich weiß, es wird eine faszinierende Frau.“
Sachte schaudernd denke ich an Tenaraks letzten Flug mit einem Linienschiff zurück … Karon hatte ihr telepathisch vorgegaukelt, wir seien von Monstern umzingelt, die sie augenblicklich fangen und verspeisen würden, wenn sie sich mehr als einen halben Meter von uns wegbewegt. Es wirkte tatsächlich: Tenarak war ganz brav und klammerte sich ängstlich an mir fest, so lange, bis Karon vor Erschöpfung eingeschlafen war.
Ehe ich mit der Wimper zucken konnte, war Tenarak auf die Gepäckablage geklettert, krabbelte dort mit Lichtgeschwindigkeit rauf und runter, brachte diverse im Weg liegende Handtaschen zu Fall, landete auf dem Schoß eines Raumflottenoffiziers und pflückte ihm sämtliche Rangabzeichen vom Kragen. Zum Glück nahm er seine „Degradierung“ mit Humor.
Zu derlei Aktivitäten scheint sie heute keine Lust zu haben. Seit sie der Katze meiner Sekretärin begegnet ist, hat sie nämlich eine neue Lieblingsbeschäftigung: „Miez spielen“. Im Klartext: Sie kippt ihr Essen auf den Tisch und leckt es genüsslich auf. Wir haben uns eben bei der Stewardess bedankt, schon verteilt die süße Tenarak ihren Brei auf der Platte.
„Tenarak … Nein!“ fauche ich sie an.
Sie blickt erschrocken auf und blinzelt mit ihren Kulleraugen. Ob sie uns blamiert, ist mir allmählich egal. Aber wer weiß, was in diesem Schiff für Krankheitskeime herumschwirren. Ich muss sie davon abhalten, diesen Brei aufzulecken, egal wie!
„Der Weltraum ist kalt“, beginne ich mit todernster Miene. „Und weißt du, was das heißt? Das Metall saugt die ganze Kälte von draußen auf. Wenn du also den Tisch ableckst, wird deine Zunge festfrieren. Das tut richtig weh, sage ich dir!“
Das Bild sorgt dafür, das Tenarak zurückschreckt. Karon unterstützt mich erfolgreich mit seinen telepathischen Kräften. Schließlich begnügt sich unser hinreißender Nachwuchs damit, ein Werbeprospekt der Fluggesellschaft klein zu rupfen und die Schnipsel an der Tischplatte festzukleben. Nach der Landung auf Varaillia greint sie, weil sie die Platte nicht mitnehmen darf. Sie ist wohl der festen Überzeugung, dass sie da ein besonders gelungenes Kunstwerk fabriziert hat.
Varaillia - keines der Bilder aus dem Datennetz wird der fremdartigen Schönheit dieses Planeten gerecht: leuchtend türkisfarbener Himmel, zartgelber Wüstensand und eine riesige weiße Sonne, die uns gnadenlos das Hirn versengt. Das eigentlich Atemberaubende sind die Kristalle, die überall herumliegen: rote, blaue, grüne, violette … Sie funkeln in der Sonne, dass es eine wahre Pracht ist! Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass intelligente Lebensformen so existieren: Ohne körperliche Kontakte, unfähig, sich fortzubewegen oder die Galaxie zu erforschen.
Puh, die Schwerkraft ist mörderisch, ich würde am liebsten alle Viere von mir strecken und Tenarak geht es genauso: Karon muss sie auf den Arm nehmen und tragen, wobei er fast zusammenbricht. Das lässt er sich in seinem Männlichkeitswahn zwar nicht anmerken, aber ich kenne ihn.
Ein rotarkanischer Verbindungsoffizier geleitet uns zum Premierminister, einem vergleichsweise kleinen, unregelmäßig geformten Varaillianer von einem klaren, leuchtenden Azurblau. Er ist hier der erste, der einen Translator auf dem Rücken trägt. „Willkommen, Botschafterin Elenor O’Leary vom Planeten Erde“, begrüßt er mich. Wir tauschen ein paar Minuten lang Höflichkeitsfloskeln aus, dann fordert der Varaillianer: „Heben Sie mich bitte auf und betten sich mich in Ihre Öffnung zur Kommunikation.“
Karon und ich blicken uns stirnrunzelnd an. Wir haben alles Mögliche erwartet, nur nicht das. Wenn dieser Wunsch nicht ausgerechnet von einem fünf Zentimeter breiten, blauen Kristall käme, würde ich es glatt für eine sexuelle Anspielung halten.
„Aber Ihr Kultusminister war ziemlich verärgert, als mein Kind ihn in den Mund genommen hat.“
Der Translator des Varaillianers blinkt in allen Farben. „Unser Minister war nicht auf die ungezügelten Emotionen Ihres Abkömmlings gefasst. Das brachte seine Energien für einen Moment aus dem Gleichgewicht.“
„Also, dann hat es ihm nicht missfallen?“, begreife ich allmählich.
„Im Gegenteil: Er hat das humanoide Wesen zum ersten Mal in seiner Komplexität erfahren und wurde zu wunderschönen Melodien inspiriert. Ich werde es Ihnen zeigen.“
Also nehme ich ihn vorsichtig in den Mund.
Es ist unbeschreiblich! Ich fühle, erlebe es mit jeder Faser meines Körpers: sphärische Klänge, explodierende Farben, Bilder des Universums, wie es nur ein Varaillianer sehen kann. Gedanken, für die ich keine Worte finde.
„Man muss keine Raumschiffe bauen, um den Kosmos zu erforschen“, begreife ich. „Es gibt auch eine andere Art der Reise.“
„Nur Ihre innere Welt war uns bisher verschlossen“, erwidert der Varailianer. „Wir brauchten Translatoren und binäre Signale, um uns mit organischen Wesen zu verständigen. Aber Sie haben ein Geschöpf von besonderer Weisheit produziert, Elenor O’Leary, und nun ist eine neue Ära hereingebrochen.“
Also, jetzt muss ich doch herzhaft lachen! Der Varaillianer fällt aus meinem Mund und ich fange ihn gerade noch rechtzeitig auf.
„Tenarak ist ein Baby! Alles, was ihr gefällt, muss sie anfassen und ablutschen. Das nennt man orale Phase. Darin liegt keine Weisheit, glauben Sie mir.“
Karon lächelt mir verschwörerisch zu. Plötzlich wird mir alles klar: Die Varaillianer verständigen sich durch elektromagnetische Felder, und elektrische Energie wird durch Feuchtigkeit weitergeleitet. Indem ich also einen Varaillianer in den Mund nehme, werden seine Gedankenmuster direkt in mein Gehirn übertragen – und umgekehrt.
Tenarak döst in Karons Armen und er streichelt sie andächtig.
„Vielleicht ist sie tatsächlich ein Geschöpf von besonderer Weisheit“, überlege ich.
„Möglicherweise ist sie für euch Menschen die Eintrittskarte in die Allianz“, meint mein Mann leichthin.
(C) 2009/2010 by Adriana W.
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\"Metamorphose\" hab ich noch mal leicht überarbeitet. Vor allem den Schluss, der war z.T. etwas unklar.
Ausgebaut hab ich\'s allerdings nicht - das hebe ich mir für einen Roman auf

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