... damit zu Teil 2.
V. Verlagerung des Zentrums und das Heraustreten aus dem Bild.
Was heute kaum beachtet wird, ist, dass wir das Bild nicht mehr im Originalzustand sehen, sondern das seine Ränder massiv gekürzt wurden. Daher hat sich auch der Bildaufbau verschoben. Steht man heute vor dem Bild ist das Zentrum relativ eindeutig zu ermitteln; es sind die Hauptfiguren.
Legt man aber das Original und seine Bildabmessungen zu Grunde, welche Figur rückt da plötzlich ins Bildzentrum? Es ist vermutlich keine Überraschung mehr. Die Figur des Attentäters befindet sich plötzlich im Bildzentrum.
Noch deutlicher wird es, wenn man das Bild nur auf seine Figuren reduzieren würde. Der Attentäter würde von allen Figuren her absolut ins Zentrum geraten.
Und an dieser Stelle kann man Rembrandts Bild gedanklich einmal in Ebenen zerlegen. Immerhin, die beiden Offiziere im Bildvordergrund treten ja beinahe aus dem Bild heraus. Was würde passieren, wenn sie es tatsächlich täten? Was würde das Bild dann zeigen? Würde man dann ernstlich noch davon ausgehen hier befände sich eine Kompanie auf dem Marsch?
Wohl eher nicht. Die beiden Offiziere wirken immer mehr wie vor eine Kinoleinwand platziert, hinter ihnen spielt sich etwas unerhörtes ab, etwas wichtiges. Und auch Moderne Bilder arbeiten natürlich mit dieser Art Bildtiefe und „Ebenen“. Neuerlich erzeugt man damit sogar 3D Effekte.
VI. der Mann in Weiß
Geht man davon aus, dass das Bild in mindesten zwei Ebenen zerfällt, ist die Frage wie Rembrandt diese in Beziehung setzt. Zwei Zentrale Punkte sind der Offizier in Hell und die Frau. Entweder sind Rembrandt hier zwischendurch die Farben ausgegangen, oder aber man könnte Argumentieren – das, da beide fast Farbgleich gehören irgendwie zusammen. Sogar ihre Kleidung scheint enorm ähnlich.
Tatsächlich gibt es dafür einige Indizien. Nimmt man zb den Blick der Frau, so geht dieser direkt durch den Mann in Schwarz durch, zum Gesicht des anderen Offiziers. Und auch dessen Blick geht ins Leere... aber auch etwas in ihre Richtung. Sein Körper neigt sich ihr auch zu. Er tendiert noch mehr zum Bildhintergrund als der Schwarze. Auch die Hellebarde deutet auf einen sexuellen Kontext hin. Auch die Hellebarde gilt als Phallus Symbol – insbesondere da auch sie ein „Stichwaffe“ ist, sie durchdringt etwas. Und hat dabei eben noch recht eindeutig Formen. Ob es tatsächlich Zufall ist, dass die Spitze der Hellebarde die der Helle Offizier trägt direkt aus seinem Schritt zu ragen scheint? Wäre es schwer gewesen für Rembrandt sie etwas zu kürzen oder zu verlängern? Wohl nicht. Hier könnte tatsächlich eine enge, sogar Sexuelle Beziehung zwischen beiden Figuren angedeutet werden... Die Frau als Mätresse des Offiziers, ihr Blick sucht ihn.... seiner sucht sie, aber der Mann in Schwarz schiebt sich dazwischen.

VII. der Mann in Schwarz
Ist nicht der Held des Bildes. Im Gegenteil. Er scheint... ein Kriegstreiber, ein Störer, jemand der Unrecht deckt, Kriege und Fehden anzettelt... Rivalen aus dem Weg räumen lässt. Er drängt sich zwischen die Licht-gestalten, zwischen Beziehungen und... er versucht die Guten zu verführen.
Hier eine kleine Chronologie der Merkwürdigkeiten um den Mann in Schwarz;
* er scheint zivil aufzutreten – aber das ist nur Maskerade. Unter seinem zivilen Kragen scheint der metallische Kriegskragen durch. Im Vergleich zu seinem Begleitoffizier ist er also „versteckt“ in Rüstung. Sein Begleiter trägt seine Waffe und Rüstung offen.
* erinnert sich noch wer daran das er offenbar zwei rechte Handschuhe trägt? Ja, tut er. Die plausibelste Erklärung dafür ist, dass er einen Fehdehandschuh eine Feindes oder Rivalen aufgesammelt hat. Scheint er deswegen besorgt? Nein. Aber offenbar ist hier gerade eine Fehde im Gange.
* der Schatten seiner Hand mit der er verführerisch dem anderen Offizier etwas erklärt... fällt dieser Schatten wirklich zufällig auf den Genitalbereich seines Begleiters? Greift er auf dessen Männlichkeit zu oder auf seine Waffe? Wenn ja würde das bedeuten, er möchte sich seiner Bedienen... ihn sich dienstbar machen. Ein Griff nach seiner Kraft, als Schatten dargestellt.
* das er sich zwischen beide Licht- und womöglich Liebes-gestalten zu drängen scheint... habe ich schon erwähnt.
* das er den Attentäter ver-deckt und verbirgt auch
* das Rot und Schwarz, seine Farben, die Farben des Teufels in der damaligen Zeit sind, wurde aber noch nicht erwähnt. Mit etwas Fantasie kann man auch sein nach hinten gestelltes Bein als Teufelsfuss missdeuten. Die rote Schärpe die weit hinter ihm zu Boden fällt, ist gewiss auch nur ein Zufall und kein Hinweis auf einen... Schwanz.
* Und wer auf diesem Bild sieht ihm am ähnlichsten? Gibt es noch einen Mann mit so einem schwarzen Hut, Spitzbart und „zivilen“ Kragen? Ja, die gibt es... ganz rechts. Dieser Mann ist fast genauso ehrwürdig gekleidet und gestaltet (Gesicht)... auch in Schwarz, aber ohne rote Schärpe. Könnte dies ein Rivale sein? Ein Vorgänger oder Nachfolger für den Hauptmann? Man weiß nur sie sehen sich ähnlich in Kleidung und Ansehen. Aber: ausgerechnet der Doppelgänger deutet auch noch auf den Attentäter? Ausgerechnet geht der Schuss in seine Richtung? Und sieht es nicht beinahe so aus als würden die ganzenLanzen im rechten Bildteil fast eine Art Käfig um diese Person bilden... in den man hineinschiesst oder sticht?
Wahnsinnig viele Zufälle für einen „alten Meister“.
VIII. Die Hunde des Krieges
Und sogar der Hund scheint in Richtung des „Ziels“ zu kläffen. Der Ausdruck „die Hunde des Krieges“ von Shakespeare war damals natürlich noch nicht so bekannt und erst 20 Jahre alt. Dennoch wird das Bild heute nicht nur wegen seiner Dynamik als „Anschlag“ auf die Kunst gewertet... es wird in einigen Interpretationen vermutet Rembrandt stellt einen „wahren“ Mord der damaligen Zeit verschlüsselt dar und setzt sich selbst als Zeuge dazu und beschuldigt durch verschiedene Bildsymbole diverse (reale) Personen der Mit-Täter und Mitwisserschaft.
So soll der Hauptmann der realen Figur von Andries de Graeff entsprechen – dem damaligen Regenten und Bürgermeister von Amsterdam (tatsächlich sehen sich beide ähnlich
http://de.wikipedia.org/wiki/Andries_de_Graeff) der ein Mitglied der Stadtwache, nämlich Piers Hasselburg, beseitigen lässt durch ein Attentat. Rembrandt, so eine Theorie habe so viele Details, Hinweise und Anklagen gegen die damalige politische Situation im dem Bild versteckt – das jeder Zeitgenosse sie habe sehen müssen. Auch die Mächtigen und Bösen – die er angeklagt habe. Woraufhin sie ihn wirtschaftlich ruinierten (was tatsächlich geschah).
Man muss dieser Verschwörungstheorie nicht glauben. Vieles daran wirkt auf den ersten Blick konstruiert, viele Details habe ich zudem weggelassen. Alles kann man abtun.
Nur... eine wichtige Frage bleibt dann unbeantwortet: Wie kann es einem Meister wie Rembrandt passieren, dass er zwei rechte Handschuhe malt?
Immerhin reden wir hier von einem Bild das 5 Meter gross ist. Das zig Studien und Vorzeichnungen gebraucht hat. Das auf Leinwand vorgezeichnet wurde... dann langsam korrigiert und gemalt wurde. Rembrandt, der Ultrarealist, hatte vielleicht auch schlechte Tage. Aber an diesem Bild hat er zig Monate gearbeitet. Vermutlich sogar mit Schülern und begleitenden Zuschauern. Und die wissen alle nicht wo der linke Daumen sitzt? Diese Argumentation ist noch grotesker als... jede Verschwörungstheorie.
Natürlich kann man sogar das abtun. Wenn interessieren schon zwei rechte Handschuhe von 1642?
Aber das Bild... ist aktueller im Bewusst sein als man glaubt. 1911 sticht ein Exsoldat mit einem Messer auf das Bild ein... 1975 wiederholt ein Lehrer das Attentat auf das Bild. Beide wollen sich am Staat rächen – indem sie ihm dieses Kunstwerk vernichten. 1990 versucht jemand das Bild mit Schwefelsäure zu zerstören. Zählt man die „Beschneidung“ dazu hat das Bild also 4 schwere Angriffe überlebt... eigentlich ein Zeichen wie wichtig es ist.
Und wenn man auch das beiseite schiebt...
IX. John F. Kennedy... und das Attentat auf den Attentäter, made by Rembrandt...
… was würde passieren, wenn das Leben die Kunst imitiert? Was passiert... wenn sich die zentrale weiße Figur und der böse Schwarze bis in unsere Zeit gehalten hätten? Wenn sie heute noch auf Bildern von Attentaten zu sehen sind? Was wenn das Leben solche Situationen imitiert?
Jahrelang haben Rembrandt Forscher nach dem Ort gesucht der als Kulisse für das Bild gedient haben könnte. Gefunden haben sie ihn nicht. Aber – die Szene spielt eben vor einer Mauer und einem Torbogen, einem Durchgang. Auch das kann das Leben imitieren.
Und so wie Rembrandt vielleicht einen echten Mord seiner Zeit festgehalten hat, hat man 1963 den ersten Mord „live“ im TV sehen können. Nein, nicht der von JFK – davon gab es nur Privataufnahmen. Sondern der Mord an seinem vermeintlichen Mörder; Lee Harvey Oswald wird von Jack Ruby vor laufenden Kameras und Fotografen erschossen.
Und Star schrieb... „weil die Blicke der beteiligten Personen in so ziemlich alle möglichen Richtungen gehen, und selbst wenn sich mal welche treffen... scheinen die Gesichtsausdrücke... der Situation irgendwie unangemessen, weil sie viel zu neutral sind.“
Vielleicht deswegen weil so was in der Realität auch heute noch so aussieht?
24.11.1963 Jack Ruby, der Mann in Schwarz, erschiesst Lee Harvey Oswald... den vermeintlichen Attentäter vom JFK, vor den Augen seines begleitenden Wachmanns (in Weiß), währen im Vordergrund die Leute wie unbeteiligt weggehen. (gross:
http://img4.wikia.nocookie.net/__cb20130718170431/criminalminds/images/9/90/Ruby_shoots_Oswald.jpg)
...
Weiterführende Links zur Verschwörungstheorie und Bildinterpretation (und auch den von Max angesprochenen Film)
http://de.wikipedia.org/wiki/Nightwatchinghttp://www.zeit.de/2011/02/Film-Greenawayhttp://exiledonline.com/peter-greenaways-battle-with-visual-illiteracy/