[RPG – Anderswo]
Unbekannter Ort.
Donner krachte vernehmlich und beinahe gleichzeitig spaltete draußen ein Blitz den Himmel und tauchte die Trophäenwand in ein stroboskopisches Flackern, das den afrikanischen Masken, die dort hingen, Leben einzuhauchen schien. Sie verzogen für den Bruchteil eines Augenblicks die Brauen, runzelten die Stirn, stülpten die Lippen vor, und blickten sie vorwurfsvoll an.
Marilyn hatte die Masken von Anfang an nicht gemocht und es gehasst, dass sie ihr bei allem zusahen – das galt besonders für jene, die drüben im Schlafzimmer hingen, das sie früher mit ihrem Mann geteilt hatte. Sie kam sich beobachtet vor und in ihrer Intimsphäre gestört.
Einmal hatte sie versucht, diese hässlichen Dinger abzunehmen, nicht nur Probeweise, sondern mit der ernsthaften Absicht, sie in irgendeinem Müllschlucker verschwinden zu lassen. Just in diesem Moment war ihr Mann aus dem Badezimmer gekommen, und sie hatte sich ertappt gefühlt, wie ein Kind, das mit der Hand in der Keksdose erwischt worden war. Und ihr Mann hatte sie auch genau so behandelt. Sie hatte ihn noch nie schreien gehört, und er hatte auch an jenem Tag nicht geschrieen, aber trotzdem hatte sie sich ein Donnerwetter anhören können, das dem, das heute schon seit Stunden über der Kolonie niederging, in nichts nachstand. Marilyn seufzte bei der Erinnerung. Sie war gewiss nicht auf den Mund gefallen, und selten irgendjemandem irgendeine Antwort schuldig geblieben, aber ihrem Mann gegenüber, hatte sie an jenem Tage keine Widerworte herausgebracht, so betroffen hatte sie seine Empörung gemacht.
Schließlich hatte er sich neben sie auf das Bett gesetzt, und sie umarmt, und ihr uralte Geschichten erzählt, von Ritualen und Ahnenkult und natürlich von den Masken, die er auf seinen Reisen mit nach Hause gebracht hatte.
Seine verdammten Reisen.
Sie hatte ihn immer davor gewarnt, dass sie ihn eines Tages umbringen würden, und schließlich war es auch geschehen, wenn auch auf gänzlich andere Art, als einer von ihnen beiden gedacht hätte.
Nein, korrigierte Marilyn.
Nicht die Reisen, waren schuld. Das, was sie aus ihm gemacht hatten. Dabei wäre es so einfach gewesen, ihm zu helfen. Warum hatten sie ihm nicht geholfen? Sie hatten Marilyn versichert, hoch und heilig versichert, sich um ihn zu kümmern. Das wird wieder, hatten sie gesagt. Unsere Psychologen sind an der Sache dran. Er ist in wunderbaren Händen.
Leere Worte.
Nichts hatten sie unternommen. Gar nichts. Bis es zu spät war, und er keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte, als...
Schluss!
Marilyn verscheuchte die grässlichen Gedanken. Noch vor wenigen Tagen wären sie von furchtbarer Trauer begleitet gewesen, und die Trauer hatte sie auch mehr als nur einmal übermannt und als wimmerndes Wrack zurückgelassen. Jetzt nicht mehr. Inzwischen hatte sie so viele Tränen vergossen, dass nur noch Leere zurückgeblieben war.
Zunächst.
Für einen kurzen Zeitraum hatte es sogar so ausgesehen, als gäbe es einen Hoffnungsschimmer; die Forschungen des Doktors hatten auch äußerst vielversprechend geklungen. Auch ihm war der Lebenspartner geraubt worden, und auch er hatte nach Möglichkeiten gesucht, diese Ungerechtigkeit ungeschehen zu machen. Sie waren sich auf der Beerdigung ihres Mannes begegnet. Offenbar hatte der Doktor ihn von früher gekannt. Er war ganz aufgekratzt gewesen, hatte ihr seine Forschungen mitgeteilt, und Marilyn hatte sich recht bald von seiner Begeisterung anstecken lassen, und ihm schließlich die nötigen Mittel zukommen lassen, damit er sein Experiment starten konnte. Viel hatte er nicht gebraucht; ein ziviles Runabout, diverse Geräte.
Ein leichtes, für jemanden mit ihrem Einfluss.
Vor drei Tagen war er aufgebrochen und Marilyn hatte seither voller Hoffnung auf eine Erfolgsmeldung von ihm gewartet.
Vor einer halben Stunde hatte er sie über den Ausgang des Experiments informiert. Seither war ihre Hoffnung zerschmettert. Diesmal spürte sie keine Trauer. Auch keine Leere. Etwas anderes war an ihre Stelle getreten: Zorn. Brennend heißer Zorn! Nicht einmal auf den Doktor. Nein. Er hatte einen entscheidenden Fehler gemacht, aber den konnte sie ihm verzeihen. Er litt innerlich genauso wie sie; vielleicht noch mehr. Da waren Fehltritte normal.
Nein, SIE hatten wieder dazwischen gefunkt.
Diese verdammte Crew, die ihr auch schon den Mann geraubt hatte.
Mit geballten Fäusten wandte sich Marilyn von den Masken ab und durchquerte rasch den Raum bis zu ihrem Schreibtisch. Die flackernden Blitze erhellten ihr dabei den Weg – das Licht hatte sie ausgeschaltet. Sie wollte es nicht hell haben.
Nie wieder.
Das hier war besser.
Das Wetterleuchten tauchte die Penthousesuit in ein gespenstisches Spiel aus Licht und Schatten, und ließ die Größe des Zimmers nur erahnen. Drohende Koboldfratzen tauchten im Flackern auf, Statuen von Drachen, die ihm Flug erstarrt waren, und brutale Rüstungen aus einem Dutzend verschiedener Welten. Das Mobiliar hätte eher in ein Museum oder eines der alten europäischen Schlösser der Erde gepasst, als in die Penthouse-Wohnung eines Hochhauses.
Genaugenommen stammten die Möbel und Statuen auch aus Palästen, so wie die Bilder und Masken an den Wänden aus den ehemals wertvollsten Kunstsammlungen übernommen worden waren. Ihr Mann hatte dieses Zimmer nach seinem persönlichen Geschmack eingerichtet. Auf sein Nachbohren hin, hatte sie ihm immer versichert, dass der Stil ihr ebenfalls gefiel, und dass sie sich hier wohl fühlte. Er war dann immer ganz glücklich gewesen.
In Wahrheit machte sie sich nichts aus diesem Zeugs, aber selbst – oder besonders - jetzt, nach seinem Tod, brachte sie es nicht mehr über das Herz, sich davon zu trennen. Es war das letzte, was ihr von ihm geblieben war. Masken und Gebilde als Ausdruck einer Leidenschaft, die nur er selbst nachempfinden hatte.
Kopfschüttelnd trat Sie an ihre Konsole und blickte noch einmal auf die Nachricht. Es waren nur wenige Worte:
Vorhaben gescheitert. Komplikationen durch... Fremdeinwirkung (Flottenoffiziere). Estrella Del Alba.
Da war er wieder.
Der Zorn.
Es genügte schon, diesen Namen zu hören; Estrella Del Alba.
Sie ballte erneut die Fäuste, und das so fest, dass die Fingernägel in ihr Fleisch schnitten. Vielleicht war es besser so, überlegte sie, dass sich diese Leute nie bei ihr gemeldet hatten. Marilyn hätte sie erwürgt.
Einer nach dem anderen.
Dennoch... es war nicht anständig. Einfach nicht anständig.
Nicht einmal einen persönlichen Kondolenzbrief hatten sie aufgesetzt. Stattdessen war sie von einem jungen Fähnrich besucht worden, der ihr die traurige Nachricht seines Todes überbracht, und sie im gleichen Atemzug darum gebeten hatte, die Sache aus gründen der internen Sicherheit vorerst für sich zu behalten, denn man wolle erst eine Untersuchung durchführen – eine, die bis heute nicht stattgefunden hatte.
Unglaublich.
Statt zur Verantwortung gezogen zu werden, schipperten diese Leute noch immer da draußen herum, und hatten nichts besseres zu tun, als jetzt auch noch ihre allerletzte Hoffnung auf persönliches Glück zu rauben. Das schlimmste war, dass ihnen nicht einmal bewusst war, was sie angerichtet hatten. Vermutlich wussten sie ja nicht einmal, dass es Marilyn gab.
Aber bald, schwor Marilyn sich. Bald würden sie ihren Namen kennen.
Auf die ein oder andere Art.
Sie hatte sich geärgert, ja, war aber auch bereit gewesen, die Sache ruhen zu lassen. Aber jetzt nicht mehr. Nicht nachdem, sie nun auch noch Cake sabotiert hatten. Das Fass war voll.
Ob absichtlich oder nicht, diese Leute hatten sich in ihr nun einen Feind geschaffen, einen mit beträchtlichen Ressourcen, und die gedachte Marilyn nun allesamt einzusetzen, um den Verantwortlichen jene Strafe zukommen zu lassen, die sie verdienten.
Wenn die Sternenflotte die Estrella-Offiziere nicht von selbst zur Verantwortung zog, dann würde sie die Sache eben selbst in die Hand nehmen müssen.
Marilyn wusste auch genau wie. Sie aktivierte das Komm-Panel und stellte eine Verbindung zu CBS-Terranews her, dem führenden Nachrichtenmagazin in der Föderation. Eine junge Bajoranerin nahm sie in Empfang. Marilyn bat um eine Weiterleitung zur Redaktion, und versprach, dass sie eine Story hätte, die garantiert Gehör fände.
„Wen darf ich melden?“, fragte die Bajoranerin.
„McDougal.“, antwortete Marilyn wahrheitsgetreu. „Marilyn McDougal.“