Noch waren sie nicht aus dem Schneider. Aber Thenar vergeudete keine Zeit damit, Kowalski richtig zu stellen, und handelte intuitiv. Sie bremste scharf vor dem Asteroiden ab, ging in eine enge Kurve und beschleunigte wieder, noch ehe sie das Wendemanöver ganz vollendet hatten.
Die Maschinen kreischten protestierend auf, genau wie der Traktorstrahlenemitter, und Thenar glaubte das furchtbare Geräusch eines ersterbenden Fangstrahls zu hören. Aber obwohl so ziemlich alle Anzeigen auf ihrer Konsole von einem vorwurfsvollen Orange in ein ungutes Tiefrot wechselten, blieb der Kontakt stotternd bestehen.
Der Frachter machte die Bewegung mit, wenn auch mit knapper Verzögerung, wie ein enormes Gewicht, das sie hinter sich herschleiften. Das wirkte sich auch auf ihre eigene Bewegungsfähigkeit aus, wie Thenar im nächsten Moment feststellte, als das Schiff bei einem Ausweichmanöver träger reagierte, als ihr lieb war.
In Folgedessen huschte ein Felsbrocken von der Größe eines Shuttles so dicht am Rumpf vorbei, dass Thenar glaubte, nur den Arm ausstrecken zu müssen, um ihn zu berühren.
Und da waren noch sehr viel mehr zwischen ihnen und dem freien Raum.
Jetzt galt es, ihr ganzes Können einzusetzen.
Thenar suchte sich einen vielversprechenden Winkel aus und gab abermals Schub. Die Orion bockte und stöhnte wie ein lebendes Wesen, das Schmerzen litt. Es tat Thenar in der Seele weh, und sie war sicher, sich dafür später noch vom Ingenieur ordentlich was anhören zu dürfen, aber sie wusste auch genausogut, dass mit jeder Sekunde, die sie mit einem Schiff im Schlepp in dieser Todesfalle blieben, ihre Überlebenschancen rapide sanken.
Bei der Dichte und noch jungen Aktivität des Feldes war es ohnehin ein Wunder, dass sie noch nichts abbekommen hatten, und auch wenn Thenar das niemals laut zugegeben hätte, so wusste sie doch, dass es nicht nur an ihrem Können und einer gehörigen Portion Sturheit lag, sondern zu einem sehr viel beachtlicheren Teil auch an einer geradezu unverschämten Menge an Glück. Sie hatte nicht vor, ihre Schutzengel über Gebühr zu strapazieren.
Also setzte Thenar alles auf eine Karte, feste auf Leif zählen, der ihr in diesem Moment garantiert sämtliche Energie zur Verfügung zu stellen versuchte, die er auftreiben konnte, und zwang das Schiff weiter vorwärts, schneller und schneller. Sie wich, dem Frachter im Schlepp zwei der größeren Brocken aus, die sich ihnen in den Weg stellten, sah dort weit voraus endlich mehr Sterne als trudelnden Fels, und drückte den Schubregler dann bis zum Anschlag nach vorn.
Die Orion beschleunigte noch einmal und verdoppelte ihre Geschwindigkeit. Beinahe hätten sie es auch geschafft. Dann erschien plötzlich aus dem Nichts ein regelrechter Berg direkt in ihrer Flugbahn, nah, entsetzlich nah, und Thenar begriff voller Schrecken, dass sie mit dem Frachter hinten dran nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnten.
Amira rettete Thenars Hintern, als sie sämtliche Phasenkanonen der Orion auf einmal abfeuerte. Sie traf den Asteroiden mittig, und fast im gleichen Bruchteil einer Sekunde flutete eine Woge unerträglich grellen weißen Lichts in die Brücke.
Thenar biss die Zähne zusammen und widerstand der Versuchung, die Hand vor die Augen zu halten. Stattdessen überwand sie ihren Schrecken beinahe sofort, sah durch das blendende Licht hindurch, wie der Asteroid in zwei Hälften zerbrach, und nahm die Chance, die Amira ihr geboten hatte wahr.
Sie steuerte die Orion mitsamt Frachter im Schlepp in einer unmöglich anscheinenden Drehung mitten durch. Gewaltige Kräfte wirkten nicht nur auf den Traktorgenerator, der erstaunlicherweise noch immer hielt, sondern auf das ganze Schiff.
Und dann, so rasch, wie der Wahnsinn eingesetzt hatte, so schnell hörte er auch wieder auf. Die Asteroidendichte nahm endlich ab, und bald war da nur noch freier Raum um sie herum.
Thenar nahm Schub weg.
Das Kreischen der Triebwerke wechselte in eine tiefere Tonlage, die Anzeigen - oder zumindest einige von ihnen - sprangen wieder auf ein wesentlich beruhigenderes orange und gelb zurück. Sie hatten es geschafft, Orion und der Frachter waren noch in einem Stück - wenn auch nicht gänzlich unbeschädigt. Die Maschinen stotterten noch einmal kurz und fuhren dann herab. In einer geradezu lächerlich ironischen Entwicklung, endete in dem Moment auch der Song, der die ganze Zeit gelaufen war.
Thenar entließ die Luft, von der sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie sie angehalten hatte. Sie fing Amiras Blick ein und formulierte ein stummes "Danke" mit ihren Lippen.