Da gedachte ein zweiter des Satyrs
Dreckiges Violett (11/2391)
Inhalt: Captain Guttapercha und ein weiterer Vertreter der Föderation sollen zwischen verfeindeten Parteien vermitteln, die danach trachten, einen vordergründig ökonomisch motivierten Konflikt auf Kosten Unschuldiger zu verfestigen.
Leseprobe:Obwohl sich dadurch die Stimmung einzutrüben drohte, erzählte Guttapercha Silon doch noch von einer Begebenheit des Tages.
In einer Verhandlungspause hatte Asnni Guttapercha zur Seite genommen.
»In den Diskussionen der letzten Stunden ist mir eine Frage offensichtlich geworden, eine Frage, die sie als Vertreter der Föderation wohl stellen wollten, sich aber bisher noch nicht getraut haben, sie frei zu formulieren. Wir befinden uns hier in einem abhörsicheren Raum, ohne Aufzeichnungen als die, die wir selber machen.«
Sie hatte innengehalten, Guttapercha hatte genickt, als wäre es eine Erkundigung gewesen. Dann erst hatte sie weitergesprochen. »Sie wollen also wissen, ob uns denn die vielen Toten nicht bekümmern; ob das keinen Einfluss auf uns hat. Sie wird es erschüttern und würde es publik werden… – wenn es nicht ohnehin schon kein Geheimnis mehr ist –, aber nein, die vielen Opfer bekümmern uns tatsächlich nicht mehr.«
»Sie sprechen offen mit mir?«, hatte er entgegnet.
»Ja. Es ist die Wahrheit, wie alles, was ich Ihnen erkläre. Als das alles anfing, konnten wir ja keine Vorahnung haben, welche Ausmaße es annehmen würde. Ich sage ›wir‹; wir, obwohl die Regierung, der ich angehöre, das Ganze nicht begonnen hat. Aber es gibt bestimmte Regeln, die man befolgen muss; eine Ordnung, in die man sich begibt. Ohne das funktioniert kein System. Wenn Sie hier widersprechen sollten, teilen Sie unsere Auffassung von Politik nicht, aber das soll jetzt nicht das Thema sein. Unsere Vorgänger haben etwas in Gang gesetzt und ob wir uns damit
identifizieren oder nicht, ist egal. Wir tragen die gleiche Verantwortung und sind damit auf dieselben Ziele wie damals eingeschworen worden und das ist die Ausgangslage, die sie in den vielen Gesprächen, die nun schon zurückliegen, sicher bereits begriffen haben. Von den ersten Opfern unserer konfliktträchtigen Methode zu hören, hätte mir bestimmt Sorgen gemacht. Wahrscheinlich hat es das auch, ich erinnere mich bloß nicht mehr genau und das liegt daran, dass sich in der Zwischenzeit so viel verändert, dass der frühere Eindruck sozusagen überdrückt wurde. Die vielen Berichte, die vielen Opferzahlen, von denen die Rede ist, ohne dass sie jemand von uns wirklich nachprüfen könnte. Selbst wenn das alles noch weitere Kreise ziehen sollte, wäre es nicht relevant, denn das Prinzip bleibt gleich. Ich höre also, dass wegen unseren Tuns und dem Gegenwirken der anderen schon über vier Millionen Zweihundertausend ums Leben gekommen sein dürften – Tote, die nicht wieder zurückzubringen sind. Wie viele sterben, während wir hier sprechen? Unser Blickwinkel ist ganz einfach: Nicht mehr lange, und es werden alle zu Opfern
geworden sein, die in diesem Bereich gelebt haben. Ab diesem Zeitpunkt ist es vorbei mit dem Sterben, weil es dort niemanden mehr gibt, der sterben könnte; dann wird die Auseinandersetzung eine andere sein. Sehr bald ist das, was Sie mehrmals als humanitäre Notlage beschrieben haben, ein grausiges Faktum – das aber in die Vergangenheit gehört. Es ist nur eine Frage der Zeit, wir könnten es gar nicht mehr rechtzeitig stoppen. Wir können den Weg, den wir richtiger Weise eingeschlagen haben, nicht unterbrechen oder abbrechen. Das wäre falsch. Gar nicht mehr lange,
und die Situation wird sich bereinigt haben, weil es dann keine neuen Opfer mehr geben kann.«
Guttapercha war ungerührt geblieben. Er hatte noch ein paar Augenblicke abgewartet,
um sicher zu sein, dass Asnni tatsächlich geendigt hatte.
»Weswegen sagen Sie mir das jetzt?«, hatte er dann gefragt und das Kunststück fertig gebracht, es nicht wie einen Vorwurf klingen zu lassen. »Wie hätte Ihre Erklärung am großen, runden Tisch geklungen?«
»Ich kann das natürlich später noch einmal wiederholen. Vielleicht kommt dieser Punkt wirklich noch einmal zur Sprache«, hatte sie gesagt, nachdem sie nur kurz überlegt hatte. »Es ist nicht so, dass wir Hemmungen hätten, diese oder eine andere Haltung vor unseren Gegnern zu äußern. Aber in diesem Punkt geht es um Sie. Nicht um Sie als Person, sondern um Sie als einer der Verhandlungsführer einer neutralen Vermittlung. Sie sollen lernen, uns einzuschätzen.«
»Sie hätten sich vorgestellt, dass wir von uns aus diesen Punkt klarer ansprechen?«, hatte Guttapercha dann wissen wollen, hatte aber sofort mit einer beschwichtigenden Geste die Hand gehoben, weil er noch etwas ungestört hinzusetzen hatte wollen, ehe Asnni antwortete. »Was hätte es für Sie geändert? Wie hätten Sie sich gefühlt, wenn dieser Punkt direkt zur Sprache gekommen wäre?«
»Natürlich sind wir hier hergekommen und haben mit Vorwürfen gerechnet.«
Silon hörte sich diese Geschichte ruhig an.
»Sie warten regelrecht darauf, dass wir etwas unternehmen. Das ist interessant.«
»So?«, sagte Guttapercha, fast gereizt. »Mir macht es Angst.«
»Eine Eskalation ist jederzeit denkbar, natürlich. Aber ich würde mir diese Sorgen nicht machen«, entgegnete Silon immer noch ruhig. Wie aus dem Nichts fragte er:
»Ist es möglich, noch diese Nacht einzutreffen?«
»Ja.«
Umfang: 14 SeitenGuttapercha muss mal wieder Verhandlungen führen. Ich schätze, es ist schwierig, ein realistisches Feeling einzufangen, zumal das ganze ja durch den Science Fiction-Rahmen erweitert wird. Doch die politische Lage weltweit zwingt einem dieses Thema regelrecht auf.