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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
Leela:
--- Zitat ---Ich lehne die Mehrheit der mir bekannten utopischen Konzepte auch wegen ihrer Freiheitsfeindlichkeit ab...
--- Ende Zitat ---
Die... Mehrheit? Oder alle?
Je weiter Du eine Utopie ausformulierst desto höher die Sicherheit auf "Zwang" zu treffen... Gesellschaftssysteme die eine perfekte Ordnung erzielen wollen, setzen immer früher oder später Zwang ein - und stehen damit dem Freiheitsbegriff immer gegenüber.
In Star Trek wird das durch die "Flotte" sehr kaschiert und getarnt. Die Sternenflotte wird als hierarschicher Militärapparat neben einer Zivilgesellschaft zum "Auffangbecken" für jegliche Art Fragen oder Angelegenheiten und überlagert den Rest der Gesellschaft. Eigentlich hat Star Trek mit der Sternenflotte eine militärische Parallelgesellschaft.
Es gibt mehrere Beispiele aus Star Trek die auf eine extreme zivile Utopie verweisen - aber nie erklärt werden.
Zum einen ist da Picards Bruder... der ein riesiges Weingut offenbar allein bewirtschaftet (er lehnt Technik ja ab). Daraus lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen;
a) es gibt offenbar noch Privat- und Grundbesitz
b) der "Staat" übernimmt offenbar alle Unterhaltungs- nd Versorgungskosten seiner Bürger (da Picards Bruder gewiss nicht davon leben und das Weingut unterhalten könnte, dadurch das er traditionell etwas Wein anbaut)
Das andere Beispiel ist Jake Siskos alternative Zukunft in "Der Besucher" - wo Jake sein (alternatives) Leben erzählt. Auch hier scheint es so als habe er auf der Erde frei von Existenzängsten studieren können was er will, dann eine Schriftstellerlaufbahn einschlagen können und... ja... einfach gelebt. Was bedeuten würde;
c) zivile Bildung ist frei
d) Wohnraum wird gestellt (nach Wunsch offenbar)
e) jegliche Tätigkeit bis hin zum Nichtstun subventioniert staatlich (Jake sagt ja er habe Jahrelang nichts veröffentlicht)
Dieser Utopie muss man nicht mal mit ernsten Fragen auf den Leib rücken wie Überbevölkerung, Ernährungs- und Energiekosten. Schon bei der kleinsten praktischen Frage beginnt das Gesamtgebäude zu bröckeln...
ZB; ich mache Urlaub in Frankreich (bezahlt natürlich auch der Staat) und das in der Gegend wo Picard wohnt. Es gefällt mir dort so gut das ich da hinziehen möchte. Nun, im 24 Jhd. kann man wohl davon ausgehen das die Erde doch recht dicht besiedelt ist... ich werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dort wohnen können. Ebenso wenig wie 1000 andere die es gerne möchten.
Nun stellt sich mir die Frage; Weil Picards Bruder dort seit Ewigkeiten wohnt... wieso hat er dieses Recht und ich nicht? Und: Er wohnt ja nicht nur da, er hat noch eine riesige Weinplantage... alles vom Staat gestützt und geschützt. Wieso darf er 'so viel' haben und ich 'so wenig'?
Diese Frage kann ich sogar noch verschärfen. Angenommen ich war 10 Jahre bei der Sternenflotte als Redshirt tätig... und lebe zufällig noch. Ich habe also 10 Jahre meines Lebens auch für den "Staat" gearbeitet, war dauernd unterwegs und hatte keinen Wohnsitz auf der Erde. Nun kehre ich zurück... und würde gerne ein kleines (!) Weingut haben... vielleicht als Nachbar der Picards. Sehr wahrscheinlich ist aber nichts frei... wird man mir sagen. Und da stehe ich da; 10 Jahre im Staatsdienst gewesen, verfolgt von wütenden Klingonen, säurigen Hortas und herabstürzenden Klavieren... und auf der Erde ist kein Platz für mich. Deswegen weil die Picards ja schon 400 Jahre dort leben und... das auch ewig tun werden. Obowhl ich also was in den Staat "eingezahlt" habe... subventioniert der Staat den der dies nicht hat.
Und damit ist man bei einer ennormen Ungerechtigkeit... und das... einst so utopische System zeigt mir ein ganz anderes Gesicht. Nämlich das ich zur Klasse der Besitzlosen gehöre... und der Staat zuerst die Klasse der besitzenden Schützt.
Also allein bei der Frage des Wohnrechtes... stösst man schnell auf Zwänge, Priveligierungen und Ungerechtigkeiten.
Die Reihe solcher kniffligen Fragen lässt sich fast beliebig fortsetzen und macht die Föderationsutopie sehr unglaubwürdig für mich.
Wenn man sich den Utopien geerell annähern will, so wäre für mich eher die Frage welche geschichtlichen Modelle und Zeiträume existierten und die relativ "gut" waren (werden ja oft heute als "Goldne Zeitalter" geführt)... diese herzunehmen und dann nochmal zu verbessern, Schwächen abzustellen und Stärken noch mehr zur Geltung zu bringen. So ein Blick in die Geschichte schiene mir am ehesten geeignet tragfähige Utopien zu... erzeugen und aus Fehlern frühzeitig zu lernen. :)
Tolayon:
Gegebenenfalls könnte man mit dem Besitzer eines solchen beanspruchten Grundstücks verhandeln, vielleicht will er im Gegenzug nach Trill oder sonstwohin ziehen und dann kann das "pensionierte Rothemd" sich dort an seiner Stelle niederlassen.
Was die "bedingungslose Grundversorgung" und alles, was darüber hinausgeht betrifft, so wird ja gerade in Star Trek die Technik angeführt, ab dem 24. Jahrhundert vor allem die Replikatoren, und mit Fusionsenergie hat man eine quasi unerschöpfliche (da auf Wasserstoff basierende) Energiequelle zur Verfügung.
Was nun wiederum die Erde anbelangt, die mag zwar im 24. Jahrhundert durchaus überbevölkert sein, muss aber nicht notwendigerweise mehr Einwohner als heute haben, da es ja zahlreiche Kolonien bzw. andere Mitgliedswelten gibt, auf denen man sich mehr oder weniger "breit machen" kann.
Interessant wäre allerdings der Prozentsatz an nicht-menschlichen Föderationsbürgern, die auf der Erde leben. Und was passiert, wenn ein Mensch ein Grundstück beansprucht, auf dem seit zwei Generationen eine sagen wir andorianische Familie lebt - hat der Mensch, der vielleicht sien bisheriges Leben nur auf Raumschiffen verbracht hat, ein "natürliches" Anrecht auf die Erde, das alle Ansprüche Außeridischer, egal wie lange sie dort gelebt haben mögen, übertrumpft?
Wäre das nicht rassistisch und somit gegen das Grundprinzip der Föderation, oder dürfen die einzelnen Mitgliedswelten sich in einem recht weitem Rahmen auch national-chauvinistisch verhalten?
Hat dann die Erde wiederum als zentraler Planet der Föderation kein so starkes Eigenrecht und muss sogar allen Föderationsbürgern gleichermaßen offenstehen, selbst wenn das bedeutet, dass Menschen irdische Abstammung schon mal den kürzeren ziehen gegen Vulkanier, Andorianer, Tellariten etc.?
Leela:
... man kann sicher Teilaspekte erklären, aber ich glaube insgesamt alles plausibel zu machen wird schwierig.
--- Zitat ---Gegebenenfalls könnte man mit dem Besitzer eines solchen beanspruchten Grundstücks verhandeln, vielleicht will er im Gegenzug nach Trill oder sonstwohin ziehen und dann kann das "pensionierte Rothemd" sich dort an seiner Stelle niederlassen.
--- Ende Zitat ---
In Fall von Picards Bruder wäre das sicher ausgeschlossen... aber auch angenommen es wäre so leicht. Dann kommt irgendwann das nächste Redshirt mit 20 Dienstjahren auf dem Buckel.
Oder wenn man es auch heute ummünzt: Würde die Bundesregierung jedem Bürger einen Wohnplatz in New York finanzieren der dorthin ziehen wollte.... es gebe sicher mehr Interessenten als verfügbaren Wohnraum. Und ich sehe selbst in der Zukunft nicht das sich das ändert. Und die Überbevölkerung wird aufgrund der Situation der Föderation (Energie, Nahrung, Medizin) in jedem Fall eintreten.
--- Zitat --- Was die "bedingungslose Grundversorgung" und alles, was darüber hinausgeht betrifft, so wird ja gerade in Star Trek die Technik angeführt, ab dem 24. Jahrhundert vor allem die Replikatoren, und mit Fusionsenergie hat man eine quasi unerschöpfliche (da auf Wasserstoff basierende) Energiequelle zur Verfügung.
--- Ende Zitat ---
So.. kann man argumentieren. Es ändert aber wenig. Selbst wenn die Energie umsonst ist (was nach heutigem Stand eine Wunder-Lösung wäre), muss man imme rnoch die Kraftwerke bauen, die Technik entwickeln, die Technik instand halten und... überwachen. Energiesysteme legen, die Anschlüsse in den Häusern anbinden und Service bereitstellen. Also selbst wenn das "Produkt" nichts kostet ... die Bereitstellung in jedem Fall.
Es gibt das schöne Beispiel in Kirks Wohnung in San Francisco in Star Trek III... Selbst wenn man davon ausgeht das Kirk zu dieser Zeit öfter auf der Erde ist als zu seiner "Captains" Zeit... wer macht denn bei ihm sauber? Wer hält die Wohnung in den Wochen oder gar Monaten wo Admiral Kirk unterwegs ist... instand?
Auch hier stösst die Utopie an ihre Grenzen, es sei denn man geht davon aus das es 1-5% der Gesamtbevölkerung gibt deren einziger Lebensinhalt und Passion "Putzen" ist, so dass sie diesen Beruf freiwillig ergreift und... zum Nutzen der Allgemeinheit überall Staubwedelt.
--- Zitat ---Was nun wiederum die Erde anbelangt, die mag zwar im 24. Jahrhundert durchaus überbevölkert sein, muss aber nicht notwendigerweise mehr Einwohner als heute haben, da es ja zahlreiche Kolonien bzw. andere Mitgliedswelten gibt, auf denen man sich mehr oder weniger "breit machen" kann.
--- Ende Zitat ---
Ich glaube - und das kann man meiner Ansicht nach in Star Trek auch mehrfach raushören, dass die Erde Dreh- und Angelpunkt bleibt und keine Kolonie ihr den Rang ablaufen kann. Die Erde also immer das oberste "Hier möchte ich wohnen" Wunschgebiet bleibt. Soweit ich mir erinnere kommt auch kein einziger menschlicher Hauptcharakter der Serien nicht von der Erde (Tasha Yar und Mayweather ausgenommen)... oder?
Star:
Ihr seht das zu Gegenwartsbezogen. Vielleicht gibt es ja selbstreinigende Materialien - Kleidung, Teppiche, Peng. Oder einfach Niedrigimpuls-Barion-Säuberungsstrahlen. Ungfährlich, außer für Staub. Schallduschen gibt's ja auch, da wird das Bad auch nicht sonderlich dreckig. Schon muss keiner mehr Putzen - wer Bock drauf hat, kann's trotzdem machen. Soll ja auch Leute geben, die das entspannend finden. Vor allem, wenn kein Druck dahinter steht, dass man Putzen muss, weil man sonst nicht versorgt wird.
Was den Rest angeht... In meinen Academy-Romanen habe ich ein Credit System auf der Akademie eingeführt:
Die Credits wurden eingeführt, um den Kadetten den Umgang mit einer beschränkten Ressource beizubringen. Für das Absolvieren von Kursen und Prüfungen beispielsweise (oder eben für das erbringen herausragender Leistungen), erhalten die Kadetten Credits, die sie in die Nutzung von Freizeiteinrichtungen, besonderen Replikatornahrungen, oder Transporterdiensten investieren können
Das könnte man auch ins zivile Leben übertragen. Für die Grundversorgung aller wird gesorgt. Jeder bekommt Nahrungsreplikatoren, Wohnraum, Zugang zu Datenbanken, usw. Aber vielleicht sind in den normalen Replikatoren nur die Muster für bestimmte Lebensmittel eingespeichert, genug, dass man alle Vitamine bekommt, die man braucht, und genügend Abwechslung. Wer etwas ganz exotisches möchte, muss Credits investieren, die er durch irgendeine Leistung verdient. Gemeinnützige Arbeit beispielsweise.
Da sich die Menschheit ja weiterenwickelt hat, und angeblich vernünftig ist, wird man miteinander arbeiten, nicht gegeneinander. Ich glaube also nicht, dass es kaum noch auf ein "warum hat der da mehr als ich" hinausläuft. Picards Bruder ist ein ruppiger Grumpy-Picard, aber ich glaube wenn man unbedingt auf seinem Landsitz wohnen wollen würde, dann würde sogar der sagen "geht, aber nur wenn du hier hilfst". Man würde sich bestimmt vernünftig einigen können. Also ich sehe noch nicht, wo die Utopie hier ins Wackeln geraten sollte.
Das wirklich, wirklich, wirklich, wirklich traurige ist ja, dass wir, heute schon, alle Möglichkeiten haben, eine ganz ähnliche Utopie zu leben (von technischem Schnickschnack wie Warpantrieb und dergleichen mal abgesehen). Nur stehen wir uns eben gesellschaftlich im Weg. Die Ressourcen und die Möglichkeiten, jeden mit den grundlegenden Mitteln zu versorgen, sind längst vorhanden.
Max:
--- Zitat von: Leela am 30.08.13, 19:58 ---ZB; ich mache Urlaub in Frankreich (bezahlt natürlich auch der Staat) und das in der Gegend wo Picard wohnt. Es gefällt mir dort so gut das ich da hinziehen möchte. Nun, im 24 Jhd. kann man wohl davon ausgehen das die Erde doch recht dicht besiedelt ist... ich werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dort wohnen können. Ebenso wenig wie 1000 andere die es gerne möchten.
Nun stellt sich mir die Frage; Weil Picards Bruder dort seit Ewigkeiten wohnt... wieso hat er dieses Recht und ich nicht? Und: Er wohnt ja nicht nur da, er hat noch eine riesige Weinplantage... alles vom Staat gestützt und geschützt. Wieso darf er 'so viel' haben und ich 'so wenig'?
--- Ende Zitat ---
Weil das Gut schon seit Jahrunderten Familienbesitz ist? Klingt doch logisch.
Wenn irgendwo noch etwas frei ist, dann kann man sich da wahrscheinlich einfach ansiedeln, wenn nicht, dann nicht. Dann sucht man sich eben ein anderen Flecken Erde, entweder wirklich auf der Erde oder eben auf einem anderen Planeten.
Ich glaube, in Deiner Herangehensweise liegt ein grundsätzliches Missverständnis.
Eine Utopie funktioniert nicht in dem Sinne, dass die Geisteshaltung unserer Gegenwart in die Zukunft versetzt wird und dann durch andere (vor allem technische) Faktoren Realität werden kann.
Ich schätze, dass die ST-Utopie funktionert, weil die Menschheit sich geändert, einen anderen Zugang zu den Dingen gewonnen hat.
Ein Mensch des 24. Jahrhunderts wird nicht mit Neid ("Warum darf der das haben und ich nicht?") und Gewinnsucht ("Ich will mehr, mehr und mehr!") an seine Lebensplanung gehen. Er wird wahrscheinlich auch nicht aufrechnen ("Ich habe jetzt so und so lange gearbeitet, ich habe verdient, dieses und jenes zu bekommen!"). Jedenfalls all das nicht nach dem Muster, wie wir es heute kennen und wie es für uns heute zu einer Art Triebfeder des Handelns werden kann.
Zu einer Utopie gehören also nicht nur die technischen und bürokratischen Rahmenbedingungen, sondern auch eine andere Mentalität der Personen, die dann letztlich die Welt mit Leben füllen. Gut möglich, dass diese andere Geistungshaltung schwieriger herbeizuführen ist als etwa kostenlose Energie im Überfluss - aber das ändert mMn nichts daran, dass sie ein bedeutender Teil, wenn nicht der Kern einer Utopie ist.
Ich sehe das also im Grunde wie Star.
--- Zitat von: Leela am 30.08.13, 22:42 ---Auch hier stösst die Utopie an ihre Grenzen, es sei denn man geht davon aus das es 1-5% der Gesamtbevölkerung gibt deren einziger Lebensinhalt und Passion "Putzen" ist, so dass sie diesen Beruf freiwillig ergreift und... zum Nutzen der Allgemeinheit überall Staubwedelt.
--- Ende Zitat ---
Warum nicht? Ich kenne Leute - es sind natürlich nicht viele -, für die Putzen ein Hobby ist!
Ansonsten kann man hier viel mit der Technik lösen: Materialien werden schmutzabweisend und Filter holen aus der Luft das Gros an Staub heraus uswusf., bis nur noch ein paar Handgriffe übrig bleiben, die entweder durch ein Fachpersonal, das diese Aufgabe erfüllen möchte, in späterer Zeit durch Hologramme oder einfach Androiden (sie müssen ja keinen Bewusstseinsgrad à la MHN oder Data haben) oder eben dann doch durch den Hausherrn selbst erledigt werden.
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