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Die Utopie als Geschichte - Chancen und Grenzen
Max:
Spontan kam mir bei Deinen Ausführungen ein anderer, dazu aber schon passender Gedanke. Zu den Stichworten "Vernichtung der Menschheit" und "Utopie" passt nämlich auch das Konzept, dass das Universum ohne Menschen irgendwie besser dran wären ;) Nun gut, auch kein neuer Gedanke, auf den Maßstab Erde reduziert gibt es sowas ja schon (wenn ich das grob recht in Erinnerung habe zum Beispiel bei "The Happenning".
Aber Deine "Schnapsidee" ist nicht so weit hergeriffen. Ob gewaltiger Bedrohungen kann man schon ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bekommen. Je nach "Setting" könnte es indes natürlich sein, dass akute Probleme so virulent sind, dass jeweils betroffen Gruppen von Menschen die übergeordnete Gefahr ignorieren bzw. nicht als einendes Moment wahrnehmen.
Für Star Trek fällt dieser letztgenannte Aspekt freilich weg, dort dürften "universelle Bedrohungslagen" wie (weniger nur solche Gegner wie das Dominion, sondern vielmehr) Q & Co. durchaus eine gewisse Wirkung, eine gewisse gesellschaftliche Dynamik erwirken: Dort, wo Verteidigungsstrategien nutzlos werden - was will man gegen Q schon mit Phasern und Schilden ausrichten? - überdenkt man den Grund (in mehreren Wortsinnen: zum einem 'Begründung' und zum anderen 'Grundlage') der eigenen Existenz noch mal gewaltig!
Ja - eine faszinierende Idee für eine Utopie, die umzusetzen wirklich reizvoll wäre!
SSJKamui:
--- Zitat von: Max am 11.11.11, 18:21 ---Aber Deine "Schnapsidee" ist nicht so weit hergeriffen. Ob gewaltiger Bedrohungen kann man schon ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bekommen. Je nach "Setting" könnte es indes natürlich sein, dass akute Probleme so virulent sind, dass jeweils betroffen Gruppen von Menschen die übergeordnete Gefahr ignorieren bzw. nicht als einendes Moment wahrnehmen.
Für Star Trek fällt dieser letztgenannte Aspekt freilich weg, dort dürften "universelle Bedrohungslagen" wie (weniger nur solche Gegner wie das Dominion, sondern vielmehr) Q & Co. durchaus eine gewisse Wirkung, eine gewisse gesellschaftliche Dynamik erwirken: Dort, wo Verteidigungsstrategien nutzlos werden - was will man gegen Q schon mit Phasern und Schilden ausrichten? - überdenkt man den Grund (in mehreren Wortsinnen: zum einem 'Begründung' und zum anderen 'Grundlage') der eigenen Existenz noch mal gewaltig!
Ja - eine faszinierende Idee für eine Utopie, die umzusetzen wirklich reizvoll wäre!
--- Ende Zitat ---
Danke für die Beratung. Ich werde die Idee mal weiter überdenken.
Die Hauptidee dazu kam mir, als ich gelesen hatte, dass einige Wissenschaftler über Phänomene wie Gammastrahlenblitze, die tatsächlich die Menschheit komplett auslöschen könnten ohne, dass irgendjemand das vorher auch nur merken könnte kein Grund seien, durchzudrehen etc. Es sei eher ein Grund Hochachtung davor zu haben, dass sich alles auf der Erde trotz möglicher Gefahren so entwickeln konnte.
Teilweise habe ich auch ein wenig an Passagen aus dem Buch Leviathan von Thomas Hobbes gedacht, wo es um die Möglichkeit des entstehens gesellschaftlicher Einigkeit durch Bedrohungen entstehen kann.
Ich hatte mir auch gedacht, so ein Element währe ausserdem auch ein gewisser Kontrast und würde sich teilweise wohltuend von einigen anderen Geschichten über aussergewöhnliche Bedrohungen abheben würde, wo sich die Menschheit am Ende selbst zerfleischt. (Zum Beispiel Devilman, wo durch die Angreifer die Menschen anfangen, sich gegenseitig zu beschuldigen und einen Atomkrieg gegeneinander auszulösen. )
Max:
--- Zitat von: SSJKamui am 11.11.11, 19:10 ---Die Hauptidee dazu kam mir, als ich gelesen hatte, dass einige Wissenschaftler über Phänomene wie Gammastrahlenblitze, die tatsächlich die Menschheit komplett auslöschen könnten ohne, dass irgendjemand das vorher auch nur merken könnte kein Grund seien, durchzudrehen etc. Es sei eher ein Grund Hochachtung davor zu haben, dass sich alles auf der Erde trotz möglicher Gefahren so entwickeln konnte.
--- Ende Zitat ---
Hmm, hier greift halt glaube ich der Punkt, dass diese Art der Bedrohung - so existent sie sein mag - nicht greifbar genug ist, als dass sie auf der einen Seite als wirkliche Gefahr wahrgenommen, besser: gefühlt bzw. empfunden wird und damit auf der anderen Seite auch nicht als einender Faktor, also als etwas begriffen, wiederum: empfunden wird, das uns alle ins selbe Boot katapultiert.
Damit wird diese Bedrohung beinahe schon ein akademisches Problem: was nicht greifbar ist, was sich nicht manifestiert - und: wogegen man sich auch in der Masse nicht wird wehren können - sorgt für eine Einigung, die sich in Köpfen und Handlungen der Leute kaum niederschlägt.
Hmm, okay, das war jetzt doch recht pessimistisch gedacht...
--- Zitat von: SSJKamui am 11.11.11, 19:10 ---Teilweise habe ich auch ein wenig an Passagen aus dem Buch Leviathan von Thomas Hobbes gedacht, wo es um die Möglichkeit des entstehens gesellschaftlicher Einigkeit durch Bedrohungen entstehen kann.
--- Ende Zitat ---
Ich musste dabei spontan an Niklas Luhmann und an die Begriffe der Inklusion und Exklusion denken; aber auch hier gerate ich an den oben genannten Punkt: Zwar findet sich die Menschheit als ganzes in einer Gruppe wieder, die von einem Phänomen jenseits der Grenzen unseres Planeten bedroht wird, doch der Effekt der Machtlosgikeit, also dem Gefühl, der Bedrohung nichts entgegensetzen zu können, könnte paralysierend wirken.
Und: Gibt es ein "Limit" bei der Exklusion, wenn das, was man ausschließt, um zu einer Einheit zu werden, so abstrakt ist (Gammastrahlen etwa), dass die Andersartigkeit in ihrer Differenz zu groß ist, um eine sinnvolle "Gleichheit" (dann unterscheidet uns nämlich auch nichts von den Tieren und Pflanzen dieser Erde, die auch von dieser Bedrohung erfasst werden) herzustellen...?
--- Zitat von: SSJKamui am 11.11.11, 19:10 ---Ich hatte mir auch gedacht, so ein Element währe ausserdem auch ein gewisser Kontrast und würde sich teilweise wohltuend von einigen anderen Geschichten über aussergewöhnliche Bedrohungen abheben würde, wo sich die Menschheit am Ende selbst zerfleischt.
--- Ende Zitat ---
Das stimmt, die Idee ist auch sehr reizvoll...
...so reizvoll, dass ich mich eigentlich auch ganz gerne an eine Geschichte rund um das Thema versuchen würde, wenn Du das erlaubst :)
SSJKamui:
--- Zitat von: Max am 11.11.11, 19:44 ---
--- Zitat von: SSJKamui am 11.11.11, 19:10 ---Ich hatte mir auch gedacht, so ein Element währe ausserdem auch ein gewisser Kontrast und würde sich teilweise wohltuend von einigen anderen Geschichten über aussergewöhnliche Bedrohungen abheben würde, wo sich die Menschheit am Ende selbst zerfleischt.
--- Ende Zitat ---
Das stimmt, die Idee ist auch sehr reizvoll...
...so reizvoll, dass ich mich eigentlich auch ganz gerne an eine Geschichte rund um das Thema versuchen würde, wenn Du das erlaubst :)
--- Ende Zitat ---
Kannst du machen. ;) Ich bin einverstanden.
SSJKamui:
Ich sehe beim Thema der Utopie in narrativer Sicht (also nicht nach der Art der Utopie selbst und des Konzepts der Utopie selbst, sondern der Utopie im Plot) folgende Probleme:
1. Die klassische Utopie birgt die Gefahr, sich nur auf den Staat zu konzentrieren und das Individuum zu vernachlässigen. Die meisten klassischen Bücher beschreiben auch hauptsächlich den Staat und die Charaktere sind nur Erzähler, die über den Staat erzählen. Von Charakteren bleiben fast immer nur austauschbare Namen. (Im Vergleich dazu, Military Science Fiction, was auch sehr politisch ist, muss zwangsläufig auch vom einzelnen Soldaten handeln. Da kommt man gar nicht erst in Gefahr, sich nur auf den Staat zu beschränken. ) Dazu auch ein Hinweis, die meisten Autoren klassischer Utopien waren relativ links gerichtet und haben deshalb hauptsächlich den Focus auf die Gesellschaft gelegt, weil das für sie sowieso wichtiger war.
2. Wie alles Andere auch ist die Utopie ein Symbol in der Geschichte, um etwas auszudrücken. Je besser die Funktion als Symbol im Kontext ist, desto mächtiger ist die Verwendung der Idee einer Utopie. Also entscheidet sich allein aus dem Kontext, ob die Verwendung einer Utopie in der Geschichte Sinn ergibt und wie stark die Idee der Utopie wirkt. Beispielsweise ist die Utopie bei Star Trek als ethisches Argument und mögliche "belohnung" für die propagierte Ethik beschrieben. Die meisten Leute hier, die ein Problem mit der Föderationsutopie im Speziellen haben, schreiben auch meistens Geschichten, in denen die Ethik allenfalls eine Nebenrolle einnimmt. Deshalb kann die Utopie bei ihnen auch nicht ihre volle Wirkung entfalten, da die Utopie so von der Geschichte getrennt ist, dass es egal ist, ob es in der Star Trek Utopie spielt, oder nicht.
Deshalb müsste man eher gucken, wie die Utopie im Kontext des eigenen Plots funktionieren kann. Deshalb können Utopien theoretisch auch (je nachdem, wie stark man sie gewichtet) in fast allen Kontexten funktionieren. Man muss es nur erreichen, dass sie im Kontext Sinn ergeben. (Selbst in einem Horror Kontext. So ein Kontext würde dann Fragen stellen wie "Was macht die Angst mit einer Gesellschaft?" oder "Kann die Angst die Gesellschaft auseinanderreissen oder enger zusammenschweißen?")
3. Beschränkung des Themas Utopie auf die Ethik. Wenn man das Thema zusehr mit der Ethik verknüpft entsteht die Gefahr des Dogmatismus und des einfachen "Gut gegen Böse" Schemas.
Man kann Utopien aber auch anderweitig thematisieren. (Meine Beispiele von Eben mit den Fragen zur Angst zum Beispiel sind eigentlich rein positivistische Fragen, die sich mit der Denkweise des Menschen befassen, ohne diese zu werten.)
4. Die Idee "Utopie = alles Hell, heiter Sonnenschein". Dies ist wirklich die härteste Nuss. Obwohl eine Utopie teilweise per Definition davon ausgeht, ist dies wirklich ein Thema, was narrativ mehr als problematisch und einschränken kann. Aber dies kann man umschiffen, wenn man sich einfach mal reale Städte anguckt. Zum Beispiel Köln. Da gibt es einmal riesige, saubere Glasgebäude, aber direkt in der Nähe des ehemaligen Stadtarchivs sieht fast das ganze Gebiet aus, wie die Armenviertel von Midgar aus Final Fantasy 7.
Also ist es eigentlich auch nur logisch, dass es ebenfalls in einer Utopie dunkle Ecken geben kann. Dreck, Dunkelheit etc. gehören zum menschlichen Leben dazu. Deshalb wird es in einer Utopie wahrscheinlich nicht "keine dreckigen Ecken" geben, sondern nur "viel weniger". (Und George Lucas hat es mal sinngemäß gesagt "wo kein Dreck ist, da lebt auch keiner.") Außerdem kommt die "Schönheit" auch immer auf die Situation an. Selbst in einer Utopie würde ein Kind, was gerade seine Eltern verloren hat, die Welt nicht wirklich als schönen Ort empfinden.
Man mag zwar einwenden, dass dies das Konzept ein wenig dehnt, aber auch eine Utopie im Plot ist nur ein Werkzeug, dass man seinen Bedürfnissen anpassen muss.
5. Utopie und Politik. Das typische Bild einer Utopie bei vielen Leuten ist eine Form eines kommunistischen Staats, weshalb einige Leute Probleme mit der Utopie als Solches haben. Wie ich schonmal gesagt habe liegt dies aber nicht am Wesen der Utopie, sondern daran, dass Linke typischerweise mehr Interesse an Utopien haben. Auch kapitalistische Utopien können in einer Geschichte funktionieren. Es kommt nur auf die Geschichte an. (Beispielsweise hat Robert Heinlein auch ein paar utopische Bücher geschrieben, obwohl er alle Formen des Kommunismus verabscheute.)
Utopie ist auch kein starres Genre. Zum Beispiel hatten extremst viele utopische Bücher vom 18. Jahrhundert, bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts einen Uniformenzwang für Bürger beschrieben, der sich auch ins Zivilleben erstreckte. Heutzutage würde man so ein Gesetz aber wahrscheinlich eher für militaristisch und faschistoid halten und nicht für utopisch.
6. Utopie muss nicht unbedingt hundertprozentig mit der eigenen politischen Meinung gleichzusetzen sein, obwohl das viele Leute denken. Man kann auch ein paar Rahmenbedingungen setzen und sich daran abarbeiten. Nur weil man etwas utopisch oder nah utopisch schreibt, muss dies nicht heißen, dass dies den eigenen Wünschen entspricht. Autoren von Dystopien sind da ein kleines bisschen Weiter. Zum Beispiel die Unterwasserstadt von Bioshock basiert auf den außer kontrolle Geratenen Prinzipien der Philosophin Ayn Rand. Der Autor von Bioshock ist aber kein Gegner von Miss Rand, sondern ein Anhänger dieser Philosophin. Bioshock heißt also nicht, Objektivismus ist schlecht, sondern "unter welchen Vorraussetzungen ist Objektivismus schlecht?".
Abschließend will ich noch einwänden, dass es manchmal beim Thema Utopie auch hilft, wenn man keine richtige volle Utopie beschriebt, sondern eine "Nah Utopische Gesellschaft" mit vielen utopischen Aspekten, die aber auch von einigen gravierend negativen Aspekten und Problemen befallen ist, sich aber in eine volle Utopie entwickeln könnte.
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