Wie bei der ersten Episode geht es auch mit dem Anfang der zweiten Episode weiter:
(In der Geschichte wird die Welt, in der die Protagonisten leben, auch genauer vorgestellt.
Die Alptraumszene ist inspiriert durch einige Versatzstücke eigener Alpträume, die Theorie der Psychoanalyse und einigen Szenen des Salvador Dali Films "Ein andalusischer Hund". (Es wird also "ins Auge gehen".

) Der Traum ist eher metaphorisch zu verstehen und soll Leser zu eigener Deutung animieren.)
Mitten in der Nacht:
Der Konferenzraum des Carl Friedrich Gauß Instituts war fast leer. Es standen nur einige Servicegynoide im Raum, die einige Daten bearbeiteten. Die Roboter sahen absolut identisch aus und besaßen alle rote Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden waren.
Eine Servicegynoide saß vor einem Laptop und blickte auf den Bildschirm, der von einer kleinen Hilfslampe angestrahlt wurde, die über den PC geschoben wurde und an einem kleinen Standfuß hing, welcher sich links vom PC befand.
Gleichzeitig trug sie ein Headset und sprach so über Funk mit einer Einsatzgruppe:
„Vorfall im Shintama Industriegebiet registriert. Strahlung gemessen. Unklar, ob Caine involviert, oder nicht. Es besteht die Möglichkeit, dass Ökoterroristen involviert sind. Mögliche Verdächtige sind Gruppierungen der Arkan – thasima Sekte. Unklar ist, ob Plutonium gestohlen wurde.
Roger. Alles ist verzeichnet, und ein Einsatzteam ist zum Tatort entstand worden. “
In der Shintama Fabrik C52-72:
Die Fabrik war ein riesiges Gelände mit vielen Rohrleitungen und Kühlbecken. In der Mitte des Gebiets und an dessen Rändern standen mehrere riesige Türme. Fünf Highways führten in zu dem mittleren Turm. Die Bildschirmanzeigen an den Highways waren momentan abgeschaltet. Auf den Highways fuhren mehrere schwarze Panzerfahrzeuge der Einsatzkräfte und in der Luft patrouillierten einige Drohnen und schwarze Helikopter.
Auf einem der Highways parkten 2 Einsatzwagen. Einige Einsatzkräfte standen vor den Wagen und unterhielten sich. Ein Offizier stand auf einer ausklappbaren Treppe des Einsatzwagens und gab den Einsatzkräften an anderen Teilen des Geländes über Funk Anweisungen.
Am Boden suchten einige Einsatzkräfte mit Strahlenschutzanzügen und Gasmasken das Gelände ab.
Eine Gruppe von ihnen ging durch einen kleinen Gang neben einigen Rohrleitungen. Von weitem sahen sie eine mysteriöse Gestalt mit Kutte. Die Kutte verdeckte seine rechte Gesichtshälfte fast vollkommen.
Die Haut der mysteriösen Gestalt war extrem grau und brüchig. Sie sah fast aus, wie die Haut einer sieben Wochen alten Leiche. Das Gesicht wirkte auch wie eine dünne Lederschicht, die man über einen kahlen Schädel genäht hatte. Über seinem linken, unheimlich rot glühenden Auge, hingen lange, schwarze Nägel durch seine Augenhöhle. Sie sahen fast wie überlange, schwarze Wimpern aus.
Eine unheimliche, geisterhafte Gestalt.
Was war das für eine Kreatur? Ein Außerirdischer? Ein Mensch mit Maske? Ein Untoter? Ein Dämon? Gab es so etwas überhaupt?
Niemand konnte es genau erkennen, was diese Kreatur wirklich war.
Die Ermittler befahlen ihm, stehen zu bleiben, aber er hörte nicht auf sie und ging einfach weiter.
Selbst durch die Tatsache, dass ein schwer bewaffneter Apache Hubschrauber seine Scheinwerfer auf ihn gerichtet hatte, ließ er sich nicht beunruhigen.
Die Gestalt lief einfach weiter und durchschritt die Nebelschwaden am Boden des Areals. Die Schritte seiner metallischen Stiefel waren im gesamten Areal deutlich zu hören.
Warum hatte er keine Angst? Warum lief er nicht weg, vor diesem riesigen Aufgebot?
Brauchte er keine Angst zu haben?
Wusste er, dass er mächtiger war, als das Aufgebot?
War er überhaupt aufzuhalten?
Nach etwa zehn Minuten konnte er nicht mehr weiter, denn er stand vor einem Metallzaun. Sowohl vor ihm, als auch hinter ihm befanden sich große Becken mit Giftmüll, die bläulich leuchteten. Über den Becken schwebten dicke, blau leuchtende Nebelschwaden.
Die Gestalt stellte sich einfach vor den Zaun und drehte sich um, in Richtung der Ermittler, die sich auf der anderen Seite des Beckens postierten und ihre Gewehre anlegten. Sein rotes Auge leuchtete unheimlich.
Was hatte er vor? Worauf wartete er?
Die Kreatur bewegte sich nicht und blieb einfach seelenruhig stehen.
Die Ermittler bewegten ihre Gewehre so, wie es ihnen von den elektronischen Zielhilfen an den TFT Bildschirmen ihrer Schießprügel mitgeteilt wurde. Der Apache bewegte sich so tief, dass man von Weitem den Helm des Piloten mit kybernetischer Zielunterstützung sehen konnte, und richtete seine Waffen auf den Fremden aus.
Alle warteten auf eine Reaktion des Fremden, doch diese kam nicht. Die Lage war mehr als angespannt, was man jedem anmerken konnte.
Der Kommandant der Einheit rief:
„Ergeben sie sich auf der Stelle, oder wir werden schießen.“
Der Fremde reagierte nicht.
Der Kommandant rief noch 3 weitere Male, aber immer passierte gar nichts.
Wieso ließ sich dieses Wesen dadurch nicht im Geringsten einschüchtern und verzog keine Miene?
Nach etwa 9 Minuten befahl der Kommandant seinen Leuten, auf den Fremden zu schießen. Der Fremde wurde scheinbar von den meisten Railguns getroffen und stürzte zuerst nach Hinten, bevor er in das Giftmüllbecken fiel und versank.
Eine Blutlache trieb an die Oberfläche der Flüssigkeit.
Hatten die Sicherheitsleute den Fremden wirklich getötet? Wo kam er überhaupt her und was wollte er eigentlich?
20 Minuten später:
Die Sekowan Avenue war hell erleuchtet, aber so gut wie niemand war auf der Straße.
Im Schaufenster eines Geschäfts standen einige TV Geräte. Diese zeigten unter Anderem Professor Szabo und die Vorsitzende eines chinesischen Megakonzerns im Interview, einige aus mehreren Ringen bestehende Raumschiffe und Präsident Herodes bei seiner Landung auf dem Flughafen Yakushima. Sein Flugzeug und die Gangway erinnerten mehr an die Technologie der Spaceshuttles, als an planetare Passagiermaschinen, hatte aber auch Ähnlichkeiten zu Flugzeugen des Typs Concorde, wie sie im 20. Jahrhundert von Air France verwendet wurden.
Nach kurzer Zeit erschien der Fremde mit der Kapuze in der Straße. Man dachte zwar, er sei erschossen wurden, aber irgendwie hatte er den schweren Beschuss überlebt, wenn auch schwer verletzt.
Er ging langsam schlurfend über die Straße. Fast mit jedem Schritt hinterließ er eine große Pfütze Blut auf der Straße. Sein Gang war mehr als schwerfällig.
Normalerweise hätten Spezialkräfte den ganzen Sektor abgeriegelt und jedes Haus einzeln nach ihm durchkämmt, aber in diesem Fall dachte man, der Verdächtige sei schon getötet und der Fall damit abgeschlossen.
Nachdem der Fremde bis zum TV Geschäft gegangen war, blieb er urplötzlich stehen und schrie laut auf. Er schrie:
„Ich brauche Gewebe. Ich brauche Gewebe.
Ich will Fleisch. “
Seine Stimme hörte sich unnormal, krächzend an.
Einige Stunden später:
Karala sah eine riesige, Wüste, die scheinbar kein Ende nahm und vor dem Sternenfirmament schwebte. Es gab keine Grenzen, kein Ziel und kein Ursprung. Die Wüste war eine endlose Leere, ohne Sinn und Vernunft.
Schatten oder Wärme existierten scheinbar nicht.
Karala lief langsam durch die endlose Wüste. Sie trug keine Kleidung oder Schmuck, sondern war vollkommen Nackt. Sie wusste nicht, wieso, und seit wann.
Tod. Angst. Sinnlosigkeit.
Nach einer Weile blieb sie stehen und streckte ihre Hände nach vorne. Auf einmal war auf ihren Händen ein brauner, schleimiger, stinkender Klumpen, der optisch an eine Wurst erinnerte. Am einigen Stellen war der Klumpen brüchig.
Auf dem Klumpen liefen viele Ameisen und Spinnen.
Es war ein ekelhafter Anblick und ein noch widerwärtiger Geruch. Deshalb schmiss Karala den Klumpen schnell auf den Boden. Obwohl sie sich dem Klumpen entledigt hatte, blieben Reste der bizarren Masse auf ihren Händen zurück, als braune Flecken.
Ekel. Scham.
Am Firmament erschien ein Mond, der gerade von einem riesigen Asteroiden getroffen wurde, wie von einem Speer, der in einen toten Körper eindringen wollte.
Kurze Zeit nachdem Karala die braune Masse von sich geworfen hatte, bekam sie einen extremen, drückenden Schmerz an ihrem linken Auge, wie ein Dampfhammer. Es fühlte sich auch so an, als ob ihr Auge ein Luftballon wäre, der unaufhaltsam mit Wasser gefüllt würde und immer mehr anschwoll.
Sie hielt ihre Hände vor dieses Auge und krümmte sich, auf Grund des unausstehlichen Schmerzes. Sie schrie um Hilfe. Rief jeden, Hilal, Madoka und ihre toten Eltern. Aber niemand reagierte auf ihre verzweifelten Schmerzensschreie. Niemand konnte sie schreien hören.
Nach kurzer Zeit rinn eine Flüssigkeit von ihren Augen über ihr Gesicht. Es waren aber nicht wie sonst Tränen. Nein, sie war rot. Es war ihr Blut. Ihre Augen bluteten immer stärker und sie konnte ihre inneren Wunden nicht unter Kontrolle bringen, egal, wie sehr sie sich es auch wünschte.
Da passierte es, aus dem Auge kam ein Insekt hervor. Diese Kreatur, die aussah, wie ein Silberfisch, kam aus ihrem tiefsten Inneren und brach hervor.
Dabei nahm diese Kreatur Karala die Sicht auf die Umgebung, die Welt, die Wahrheit und die Realität.
Sie versuchte es zu greifen, aber sie konnte seinen Austritt aus ihrem Körper nicht stoppen. Es verletzte sie und sie war machtlos dagegen. Es war unmöglich, das Ding zu unterdrücken.
Angst. Verzweiflung.
Nach kurzer Zeit wollte Karala dies aber auch nicht. Stattdessen errötete sie leicht, kniff ihre Augen zusammen (jedenfalls in dem Ausmaß, in dem dies noch möglich war), beugte ihren Kopf nach hinten, und begann lustvoll aufzustöhnen.
Ihr Stöhnen wurde immer lauter. Bis es so schien, als konnte das gesamte Universum sie hören.
Sie wirkte mehr wie ein Tier, als ein Mensch.
Der Wurm schwebte in der Luft und hing ebenfalls noch zu über der Hälfte in ihrem Körper. Der Kopf des Wurms drehte sich in der Luft zu karalas Gesicht und näherte sich ihr. Im Hintergrund hörte man einen Geigerzähler, der immer lauter wurde, je näher das Insekt ihrem Gesicht kam.
Als das Insekt ihr ganz nah an ihr war, spuckte er eine grüne Flüssigkeit. Diese lief von ihrem Gesicht nach unten und zog dabei schleimige Fäden.
Sie war angeekelt von dem kalten Schleim, der von ihrem Gesicht tropfte und übel roch. Sie fühlte, ihr Körper war durch den Schleim verdreckt, beschmutzt, verseucht. Und sie konnte nichts gegen diese Verseuchung unternehmen, die an ihr klebte.
Der Silberfisch sah aus, als würde er gerade Karala auslachen und man hörte in der ganzen Umgebung ein schallendes Gelächter, was sich zum Fürchten anhörte. Als ob das Insekt zu Frieden Karala ihre Demütigung noch einmal vor Augen führen wollte.
Scham. Verseuchung. Hilflosigkeit.
Karala lag mittlerweile auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Sie atmete nur noch laut aus und sabberte aus dem Mund. In ihrem noch intakten Auge konnte man eine Spiegelung einer weiteren Frau sehen, die exakt so aussah, wie Karala.
Karala guckte nach vorne und sah, wie eine Gestalt sich schnell näherte. Diese Gestalt war ebenfalls nackt, sah so aus wie Karala und ritt auf einem brennenden Pferdeskelett. Dadurch war dieses in gewisser Weise andere Ich in der geometrischen Position über Karala. Ebenfalls trug dies zweite Ich bei sich eine Fahne.
Es hatte sich auf die Fahne geschrieben: „Ich muss ein gutes Kind sein, ich muss Gutes tun. Pflicht ist wichtiger als Glück.“
Das zweite Ich ritt über Karala und brachte das Pferdeskelett dazu, mit voller Kraft auf Karalas linke Brust zu treten. Karala schrie auf und fing an zu weinen, aber dieses Über Ich brachte sein Pferd dazu, sie immer weiter zu treten.
Nach dem siebten Tritt hörte Karala, wie einige ihrer Rippen durch die Wucht der Tritte brachen. Ihre Atmung wurde immer schwächer und mühseliger. Sie fühlte, als ob einige Splitter ihrer Rippen sich in ihr Herz gebohrt hätten und es von Innen töten würden.
Auf einmal begann die andere Karala zu schreien. Zuerst hatte sie karalas Stimme, aber ihre Stimme wurde immer mehr zu der ihres Vaters.
Sie schrie:
„Wieso warst du nicht brav, so wie ich es dir gesagt habe?
Warum kannst du nicht normal sein, wie andere Mädchen?
Anstatt, dass du dich mit anderen Leuten triffst, wie es normal und deine gottverdammte Pflicht wäre, vergräbst du dich in eine eigene Welt und beschäftigst dich nur mit Computern.
Warum musst du mich beschämen, indem sich deine Lehrer immer bei uns über dein Verhalten beschweren mussten?
Wieso kannst du nicht einmal deine Pflicht tun und dich der Masse anpassen, um zur Abwechslung einmal nicht negativ aufzufallen?
Wann fängst du endlich mal an, auch einmal auf andere Menschen zu hören, anstatt immer nur deinen Kopf durchsetzen zu wollen?
Geb keine Widerworte.
Schau endlich andere Menschen an.
Hör auf, vor Allem davon zu laufen.
Kapiere endlich, ich muss dich kontrollieren und kann dich nicht dir selbst überlassen. Du bist zu wild, dumm, triebhaft und unbeherrscht.
Es ist weniger schlimm, eine Rose zu brechen, als zuzulassen, dass sie von der Naturgewalt verweht und entblättert wird. “
In diesem Moment holte das brennende Pferd aus und trat Karala so fest es konnte zwischen die Beine.
Karala wachte daraufhin in ihrem neuen Zimmer auf. Alles war nur ein Traum. Nichts Schlimmes war passiert.
Ein seltsamer Traum.
Sie befand sich in ihrer typischen Einschlafposition, ganz am linken Rand ihrer Futonmatratze und halb aus dem Bett hängend, mit dem Körper nach rechts gedreht. Das war seltsam, aber sie konnte immer nur in dieser eigentlich etwas unbequemen (und, obwohl ihr Bett wie alle Betten ein gesundheitsförderndes, mit Glycerin gefülltes Wasserbett war, teilweise auch gesundheitsschädlichen) Position schlafen. Dies war früher sogar noch extremer, weshalb sie bis zu dem Tag, als ihre Eltern verstorben waren, bei ihren Eltern zusammen in einem Bett geschlafen hatte. Dies war sogar im Teenageralter der Fall, als andere Mädchen ein eigenes Zimmer wollten. Karala wehrte sich sogar emotional gegen die Versuche ihrer Eltern, sie „endlich aus dem Bett zu werfen“.
Dass Karala zur rechten Seite gedreht war, lag wahrscheinlich daran, dass ihr Vater früher rechts von ihr geschlafen hatte.
Karala spürte den Sonnenstrahl, der durch das Fenster in den stockdusteren Raum kam. Bevor Karala richtig wach war, richtete sie wegen dem Alptraum panisch ihre Hände auf und schrie laut.
Nach etwa drei Sekunden bemerkte sie aber, dass alles nur ein Traum war. Sie öffnete ihre Augen und sah im Fenster die glänzende Skyline der Stadt. All die Glasbauten, auf deren Dächern hängende Gärten installiert wurden. Durch das gleißende Licht konnte Karala nicht viele Details erkennen, aber es war ein majestätischer Anblick, der jedem, der die großen Städte nicht alltäglich kannte, Ehrfurcht gebieten konnte. Die Stadt war fast ein Weltwunder der modernen Zivilisation und trotzdem keine reine Technik, sondern eine Kreuzung aus Technologie und Biologie.
Der Begriff Cyborg wäre im weitesten Sinne eine passende Beschreibung.
Karala schaute wahllos durch den Raum, erblickte ihr Poster eines alten Amiga Computers und ihren Wecker mit Zeitanzeige für 5 Zeitzonen und der aktuellen Zeit auf anderen Planeten wie Mars, Saturn und Merkur, genauso wie ihren Desktop PC, der in der anderen Ecke des Raums stand. Über dem Wecker, der in der Wand eingelassen war, befand sich ein Bildschirm eines Videotelephons, der aber momentan abgeschaltet war und in einer dunklen, blauen Farbe leuchtete. Als Bildschirmschoner waren einige Atomkerne auf dem Bildschirm zu sehen.
Karala sah auf die Decke und sagte zu sich selbst: „Seltsam. Ich bin schon einige Wochen hier, aber irgendwie kommt mir das alles immer noch so extrem Fremd und unwirtlich vor. Die unbekannten Wände. Die fremde Decke, der fremde Boden.
Die Dunkelheit macht mir angst. Sie raubt mir den Schlaf.
Aber gleichzeitig macht mir das Licht der Stadt auch Angst.
Beides sind Form und Leere. Aber die Form ist das Leere, das Leere ist die Form. Eine Eins existiert nur, wenn auch die Null existiert. Beides ist eine Ausprägung des Selben. Untrennbar und gleich unheimlich.
Ist mir klar, wo ich bin?
Weiß ich, was ich bin?
Weiß ich, was ich will?“
Vor ihrem Bett wartete schon Hilals Roboterbutler, der durch den Schrei alarmiert wurde. Der Roboterbutler sagte in einer mechanischen Stimme: „Masterin Karala, laut meinen Daten erlebten sie schätzungsweise einen Alptraum. Soll ich Ihnen aus der Küche ein leichtes Beruhigungsmittel holen oder möchten sie mit einem Traumdeuter über das Internet Kontakt aufnehmen.“
Karala sah den fahrenden Roboter verärgert an und rief genervt: „Nein. Nein. Nein. Ich will nichts von Alledem. Verlass einfach mein Zimmer. Ich hasse es, wenn komische Gestalten mein Zimmer betreten. Selbst, wenn es nur Maschinen sind. Außerdem will ich mich jetzt umziehen, und da stört es mich gewaltig, wenn ein mit dem Internet verbundenes Gerät zu guckt.
Am Ende landet das Bild von meinem nackten Körper noch bei diesem komischen CHTHONIC Programm unseres Geheimdienstes …. und diesen entsetzlichen Anblick wollen wir unseren Antiterrorkämpfern doch nicht zumuten. Deshalb, geh mir aus der Sonne.“
Trotz dieser aggressiven Ansprache verschwand der Roboter, wie Befohlen. Das lag alles am 2. Robotergesetz, was er ohne Widerworte befolgen musste. Als das Ding endlich aus dem Raum war, zog sich Karala schnell um. Sie zog sich ihre neue Schuluniform an, die ihr Hilal schon in den Schrank gehangen hatte. (Und ihr am Morgen von der Automatik des Schranks auch direkt passend hervorgeholt wurde.) Der schwarze Blazer mit den roten Streifen und der Schottenrock wirkten zusammen mit den kniehohen, schwarzen Stiefeln, relativ modisch (und dank seiner Computertechnologie und Solarzellen auch relativ modern), jedenfalls für einen solchen „Gegenstand der Unterdrückung“, der seinen Träger auch in der Schule mit Near Field Communication Chips und Anderem überwachte.
An zwei Stellen brach Karala mit der Schuluniformierung. Sie trug, wie es vom Carl Friedrich Gauß Institut vorgeschrieben war, ein Armband mit dem Logo des Instituts, was natürlich nicht zur Schuluniform gehörte. Das Logo war eine Gravur einer Eule.
Ausserdem trug sie eine spezielle Uhr, die ihr das Institut gab. Diese Uhr besaß einen eingebauten Kompass und Detektoren für WLAN Signale, Abhörwanzen, elektrische Spannungen etc. Daneben besaß die Uhr noch einen kleinen Nahdistanzhochenergielaser und einen aktivierbaren Störsender. Auf der Uhr selbst war ebenfalls das Eulensymbol zu sehen.
Nachdem Karala sich angezogen hatte, ging sie hinaus und sah nach Hilal. Hilal war letzte Nacht von einem Einsatz erst spät nach Hause gekommen und war deshalb noch dabei, in ihrem Zimmer zu schlafen. Kisaria saß auch in ihrem kleinen “Kabuff“ und redete wirres Zeug.
Deshalb ging Karala erstmal wieder in ihr Zimmer und spielte an ihrer Konsole.
Nach 2 Stunden wachte auch Hilal auf. Sie ging langsam durch ihr Apartment. Von Weitem hörte sie seltsame Stimmen, die seltsame Sätze schrien. Diese Sätze waren z.B. „I guess I should be thankfull“ und “DO A BARRELL ROLL”. Sie fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Nach kurzer Zeit erkannte sie es. Karala war schon wach und spielte so ein komisches Weltraumspiel mit Hasen, Fröschen, blauen Falken etc. als Spielfiguren.
Nach kurzer Zeit rief sie: „Karala, ich mach mal eben Frühstück. Roll deshalb nicht zu viele Fässer.“
Zuerst hörte Karala nichts, wegen dem Krach von ihrem Videospiel, aber nach dem dritten Rufen reagierte sie und fragte: „Was gibt es denn?“
Hilal antwortete Sarkastisch: „Na was wohl? Eine feine Mischung aus Geschmacksverstärkern, Konservierungsmitteln und genmanipuliertem Gemüse. Das alles gewürzt mit chemisch behandelten Sägespänen und Analogkäse. Also der typische Fraß, den uns die Konzerne billig zusammenschustern.“
Hilal ging in die Küche und bereitete schnell das Essen aus in computerkontrollierten Agrartürmen gezüchtetem Reis und Gemüse zu. Im Gegensatz zu dem, was sie Karala scherzhaft zurief, war das Essen abgesehen von gewissen Genmanipulationen durchaus natürlich, aus biologischem Anbau. Der einzige Unterschied zu vergangenen Zeiten war, aus Angst vor der zunehmenden Radioaktivität in der Atmosphäre war das Essen in einer künstlichen, computerkontrollierten Biosphäre gezogen und von Robotern geerntet worden.
Nach etwa einer halben Stunde war Hilal mit der Zubereitung des Essens fertig.
Wie jedes Mal nahm Hilal ihr Frühstück im Wohnzimmer zu sich. Dies änderte sich durch Karalas Anwesenheit nicht. Neue Portionen wurden vom Roboterbutler bei Bedarf aus der Küche geholt. Der große, stereoskopische Flat Screen lief momentan und zeigte die Weltnachrichten von CNN. (Das war auch ein Habitus von Karala, dass sie unbedingt jeden Tag die Nachrichten sehen musste. Dies war allerdings auch durchaus ein vernünftiges Interesse und nicht nur ein sinnloses Ritual.) Momentan zeigte CNN Bilder von einem Bernal Raumhabitat im Orbit des Jupiters. Darunter lief ein Ticker, der von dem Vorfall in der letzten Nacht berichtete.
Vom großen Fenster des Wohnzimmers aus konnte man hier ebenfalls die Glitzerstadt am Firmament erkennen.
Neben den Reisschüsseln lagen auf dem Esstisch auch die allmorgendlichen Pillenrationen zur Gesundheitsfürsorge. Die Weltregierung hatte ein Programm gestartet, sodass jedem Bürger auf Basis seines Genprofils prophylaktische Medikamente zur Verfügung gestellt wurden. Dies verbesserte die Gesundheitslage sehr stark und sparte so Geld im Gesundheitssystem.
(War alles, was man Dachte, Tat, und Sagte, in der Pille, die man heute zu sich genommen hatte?)
Karala war beim Essen, wie sonst auch, eher in sich gekehrt, verschlossen und ruhig. Hilal fragte sie langsam:
„Karala Chan, heute ist doch dein erster Tag an der Shao Yong Gakuen Oberschule. Wie fühlst du dich dabei?“
Karala überlegte lange und antwortete: „Verdammt. Das hat mein Vater auch immer gefragt. Ehrlichgesagt, ich hasse diese Frage wirklich. Zum Einen wusste ich darauf nie wirklich eine Antwort. Außerdem haben sich meine Eltern nur für meine Schulleistungen interessiert. Dabei war Schule an sich immer furchtbar …“
Hilal wusste jetzt nicht, was da wirklich vorgefallen war. Seitdem China mit den USA in gewisser Weise zusammen als neuer Superstaat die Welt regierten, war dieses Ideal der „Tiger Mütter“, also Eltern, die ihre Kinder zu Höchstleistungen in der Schule antrieben, auf Kosten ihrer persönlichen Entwicklung, zwar extrem weit verbreitet, aber Hilal wusste ebenfalls, Karala hatte ähnlich wie Madoka auch ein Talent, Menschen mit Technologiefakten zuzulabern. Ihre Eltern hatten möglicherweise einfach das nach einigen Jahren nicht mehr ertragen, und um nicht mehr so genervt zu werden, haben sie das Thema lieber auf die Schule gelenkt. Karala hat diese Reaktion ihrer Eltern aber möglicherweise damals ihrerseits in den falschen Hals gekriegt.
Nach kurzer Zeit sprach sie, um Karala wenigstens etwas aufzuheitern:
„Denk doch mal so. Du bist gleichzeitig auch die ganze Zeit bei Madoka. Das ist doch auch was Schönes. Je, nach dem , wie man es sieht, auch etwas Plus-Schönes.“
Karala sagte traurig: „Ja, aber es ist trotzdem immer noch Schule.“
Hilal verstand sehr gut, was Karala dachte. Für Menschen wie Karala oder Madoka sind Schulen einfach kein „artgerechter Ort“. Und das waren sie auch zu keiner Zeit.
Obwohl beide zwar überdurchschnittlich intelligente Frauen waren, brauchten beide eine Möglichkeit, sich Frei und Ungestört zu entfalten und frei zu denken, in einer Weise, wie sie es keine Schule je erlauben konnte. Trotz umfangreicher sozialer Reformen stimmte Max Stirners Beschreibung der Schule, als Ort „wo der Mut der Kinder gebrochen wird zur Demut vor Moral und Staatshörigkeit“, leider immer noch. Das war von der staatlichen Frühkonditionierung im Kindergartenalter, bis zu den Privatschulen der höheren Stufen feststellbar. (Obwohl die Schulen des Schulsystems mittlerweile in der Hand der Megakonzerne waren und nicht mehr dem Staat zugehörten und schon ab der Grundschule den Kindern ein höheres Maß an Selbstständigkeit beim Lernen zutraute, als früher, was auch an der Entwicklung von fortschrittlichen Lernprogrammen lag.)
Leute mit unkonventionellem Denken wie Madoka und Karala bekamen dies leider oft deutlich von Lehrern zu Spüren, die versuchten, gegen die Schüler eine unnatürliche Homogenität zu erzwingen. Hilal dachte aber, dies ist ein typisches Denken der Menschheit. Wahrscheinlich wurde der Mensch, der das Feuer erfunden hat, dafür von seinen Kollegen sogar bei lebendigem Leib verbrannt. Jeder unkonventionelle Denker, der eine neue Straße betrat, musste sich immer gegen die ängstliche Gesellschaft ihrer Zeit behaupten. Das war die traurige Wahrheit.
Nach kurzer Zeit sagte Karala: „Eigentlich würde ich auch lieber bei Ihnen bleiben, Hilal Sama. Bitte lassen sie mich nicht allein.“
Dies war eigentlich untypisch von Karala, dass sie so etwas sagte. Sie war eigentlich eher abweisend gegenüber anderen Menschen. Ohne es zu wollen sogar gegenüber ihren eigenen Eltern. Selbst als Karala eigentlich in gewisser Weise einen Elektrakomplex durchlebte, hielt sie, ohne es zu wollen oder zu merken, ihren Vater auf Distanz. Zu Hilal hatte sie aber extremes Vertrauen gefasst. Sie dachte, Hilal und Madoka hätten sie aus ihrer eigenen Finsternis gerettet und wenn sie die beiden verlieren würde, wäre sie wieder verdammt. Deshalb hatte sie große Verlustängste.
Wie bei anderen auch, entwickelte Karala eine familiäre Beziehung zu dem Institut und seinen Mitarbeitern.
Das Institut war Mutter. Das Institut war Vater.
Hilal war sich dieser Tatsache bewusst und versuchte ihr ihre Ängste und Selbstzweifel etwas zu nehmen. Zum Wohle der großen Familie.
Hilal sagte deshalb: „Karala. Es wird wahrscheinlich nicht so schlimm. Und außerdem, du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde auf dich achten.“
Karala antwortete sarkastisch: „Hab ich doch nicht verdient.“
Dies erwiderte Hilal: „Das hast du verdient. Egal, was du für Probleme hast. Egal, was du für Fehler machst. Du kannst immer zu mir kommen.“
Daraufhin antwortete Karala: „Danke. Irgendwie muss ich sagen, Sie sind deutlich netter zu mir, als es meine Eltern je waren. Sie machen zwar manchmal eigenartige Scherze, die ich nicht ganz kapiere, aber Sie erwarten kein Verstellen von mir. Es ist wirklich mehr als Angenehm, bei Ihnen zu sein.“
Hilal wusste nicht wirklich, was sie darauf antworten sollte. Sie dachte auch, dass Karala sie mit solchen Aussagen in unguter Weise Mental zur Ersatzmutter machen würde. Und sie glaubte nicht, dieser Rolle in diesem Kontext Gerecht werden zu können.
Deshalb schaute sie etwas verloren durch den Raum. Nach kurzer Zeit sah sie auf dem CNN Stream und dem Hinweis „Taste drücken, um mehr zu erfahren“ die Uhrzeit. Als sie die Uhrzeit sah, sagte sie hastig zu Karala:
„Tut mir leid, aber ich muss jetzt zur Arbeit. Du weißt ja. We must go again, even in thunder, lightning and in rain.
Der Spruch des Instituts hat durchaus seine Bewandtnis. Und du musst jetzt auch los, zur Schule. Da es nur wenig Zeit ist, nimmst du am Besten den Motorroller, den dir das Institut zur Verfügung gestellt hatte.“
Die Aussage hinterließ bei Karala doch ein gewisses Maß an Verwunderung. Deshalb fragte sie langsam: „Was für ein Roller? Hilal, ich habe Ihnen doch erzählt, ich bin absolut furchtbar in sportlichen Dingen, hab keinen Gleichgewichtssinn und kann deshalb nicht mal richtig Fahrradfahren. Und dann ein Roller?“
Hilal entgegnete ruhig: „Keine Angst. Die Maschine ist Computergesteuert, wenn man es aktiviert. Um Stabilisierung und Fahrt kümmern sich der Computer und ein Netz aus GPS Satelliten. Du musst einfach nur da sitzen. Selbst schwerst Körperbehinderte kommen mit diesen Geräten zurecht. Das wirst du also folglich auch schaffen.
Und vielleicht wird der Schulalltag ja gar nicht so schlimm, wie du denkst. Du machst dir wahrscheinlich zu viele Sorgen. Und das ist schlecht. Wie der Professor sagte und man dir auch im psychologischen Training am Institut beizubringen versuchte, Angst ist die Mörderin des Geistes und der Vernunft. Vielleicht wird dein Schultag nicht Doppelplus-Gut, aber wenigstens angenehm. Und wer weiß. Vielleicht findest du in der Schule ja sogar einen netten Typen.“
Nach kurzer Zeit stand Karala auf und ging richtung Ausgang. Hilal rief ihr hinterher: „Bis nachher.“
Nach einer Bedenkzeit antwortete Karala: „Gut. Dann. Auf Wiedersehen.“
Nach etwa 5 Minuten verließ Karala den Plattenbau. Das Licht von Draußen war so stark, dass die Straße fast schon weiß aussah. Ein Blick nach Oben, auf die Drohnen am Himmel konnte wegen dem Licht schon nach kurzer Zeit übelste Kopfschmerzen verursachen. Karala ging langsam, um nirgendwo gegenzustoßen, denn sie konnte kaum sehen, bei dem extremen Licht.
Das Wetter war Ideal für die Solarkollektoren auf den Dächern, aber unschön für Menschen.
Schemenhaft erkannte sie, vor dem benachbarten Plattenbau standen 3 Leute und beobachteten sie. Es waren 2 Personen im Nadelstreifenanzug, die eine Art Fernglasbrille trugen. Die beiden waren scheinbar Servicegynoide des Instituts und gehörten zum Sicherheitsdienst. Der Dritte war ein Mensch, der eine Militäruniform mit schwarzem Mantel und roter Militärmütze trug. Die Schulterteile der Mäntel waren im selben Rot, wie die Uniformen. An den Prismasymbolen am Kragen erkannte man, er war ein Teil des CHTHONIC Programms. Die 3 waren scheinbar die persönlichen Bodyguards für Karala. Oder die „Anstandsdamen“, die verhindern sollten, dass Karala für die Regierung zum Problem wird.