Harris gab das Zeichen.
Es ging los.
Ein kalter Schweißfilm glänzte auf Jasmines Stirn und vermischte sich mit dem trocknenden Blut von ihrer Kopfverletzung. Ihr Herz pochte regelmäßig und bemerkenswert ruhig, dafür aber derart laut in ihrer Brust, dass man es eigentlich im gesamten Schiff hätte hören müssen, wie die Trommelschläge auf einer römischen Galeere. Hätte einer der Brückenoffiziere sie nun mit einer Nadel gestochen, wäre vielleicht nicht einmal Blut geflossen. In jedem Falle hätte sie es nicht mitbekommen.
Jasmine befand sich jetzt in der Zone; ein Zustand höchster Konzentration. Sie hatte alles ausgeblendet – die Brücke, die Blicke der anderen, alles. Ihr gesamter Kosmos bestand nun nur noch aus den Anzeigen auf ihrem Bildschirm, und der Steuerungseinheit der Sonde. Ihr ganzes Sein hatte lediglich einen Zweck; das Ding dort durch den Schacht steuern.
Der Start war noch einfach. Die Sonde schwebte einen halben Meter über den Boden, und geriet auch durch Harris’ zusätzliches Gewicht nicht ins Stocken, als sich der Commander dranhängte.
Einzig die Antrigravitationsgeneratoren schrillten kurz protestierend auf – es klang erschreckend menschlich -, kompensierten aber sofort und waren im nächsten Moment auf das neue Gesamtgewicht eingestellt. Dann konnte es losgehen.
Jasmine blickte auf ihren Monitor. Als sie sicher war, dass der Commander einigermaßen festen Halt hatte, zwang sie die Sonde den Schacht hinauf - zunächst langsam, dann kontinuierlich schneller werdend. Die Schachtwände der ersten beiden Decks glitten im ersten Moment beinahe sanft an Harris vorbei - aber eben nur im ersten Moment. Dann beschleunigte die Sonde rapide. Die Schachtwände huschten an ihr und Harris vorbei, und verwuschen zu einer grau-schwarzen Masse.
Einen Moment lang hätte man meinen können, es blitze, aber das stroboskopische Flackern auf Jasmines Bildschirm kam nur von den vorüberhuschenden Lampen, die alle paar Meter im Schacht angebracht waren. Sie schielte auf die schematische Darstellung auf dem Zweitmonitor; sie waren keine fünfzehn Sekunden unterwegs, aber bereits bei Deck elf...
...zehn...
Die Sonde schoss mit Harris einer Kanonengugel gleich nach oben.
...neun...
...acht...
Jasmines Hände bewegten sich auf die Steuerung für die Bremsdüsen zu.
...sieben...
Sie aktivierte den Gegenschub.
Nichts geschah.
...sechs...
Jasmine verlor sämtliche Farbe im Gesicht. Ein Lag, schoss ihr durch den Sinn. Die Verbindung musste unterbrochen sein.
Scheiße!
Jasmine betätigte die Tasten erneut.
Nichts.
... fünf...
Sie hämmerte auf die Taste.
...vier...
Und plötzlich zündeten die Bremsdüsen. Die Verbindung stand wieder. Die Sonde reagierte auf den Befehl, wurde immer langsamer und hielt sanft und beinahe passgenau vor der Zugangstür zu Deck 3 an. Harris musste nur noch nach der Leiter greifen und sich in den Korridor schwingen.
Die Brückenoffiziere brachen in bescheidenen Jubel aus. Jasmine sackte erschöpft in sich zusammen. Mit einem Mal fiel die ganze Anspannung von ihr ab. Sie fühlte sich, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich.
Sie wollte gar nicht wissen, wie es Harris ging.