Irgendetwas stimmte nicht.
Thenar war an ihre Konsole zurückgekehrt, um die Energiesysteme des Frachters von dort aus zu überwachen. Wie Amira vorhergesagt hatte, war der Plasmastrom inzwischen versiegt, und der Kern begann sich nun allmählich selbst zu deaktivieren. Es gab keine Anzeichen für Gefahr, kein Grund zur Sorge. Und doch spürte Thenar eine nagende Unruhe, die sie sich selbst nicht erklären konnte, und die eher noch stärker wurde, als schwächer. War es möglich, dass ihr etwas wichtiges entgangen war? Fast ohne ihr Zutun tastete ihre Hand einmal mehr nach den Kontrollen für das Diagnoseprogramm der Navigationssysteme, aber sie führte die Bewegung nicht zuende, sondern schüttelte stattdessen ärgerlich den Kopf. Eine Diagnose der Ebene Zwei war bereits am laufen. Wenn es einen Defekt gäbe, hätte der Computer längst etwas angezeigt.
Was sie zu der Frage brachte, warum sie so unruhig war. Sie spürte deutlich, dass etwas nicht stimmte. Aber was? Sie warf einen Blick über die Schulter hinweg zu Amira, die über der Wissenschaftskonsole gebeugt war, und konzentriert, aber nicht sorgenvoll in ihren Zauberkasten blickte. Alles schien in Ordnung zu sein. Gäbe es Anlass zur Beunruhigung, so hätte sich das überdeutlich in Amiras Körperhaltung widersgespiegelt. Aber die Orionerin war völlig gelassen.
Thenar wandte sich wieder ihren Kontrollen zu, und nahm sich vor, ein mögliches Andockmanöver mit dem Frachter vorzubereiten, aber ihre Gedanken glitten immer wieder ab. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Resigniert stützte sie die Ellenbogen auf der Konsole ab udn verbarg einen Moment lang das Gesicht in ihren Händen. Vielleicht war es ja ihr schlechtes Gewissen, dass sie nicht zur Ruhe kommen ließ. Der Flug durch das Asteroidenfeld war ziemlich riskant gewesen, riskanter vielleicht, als sie dem Captain gegenüber kommuniziert hatte.
Aber eigentlich konnte sie sich das nicht vorstellen. Sie wusste um ihre Fähigkeiten, ebenso wie Kowalski, und sie hatten der Orion nichts zugetraut, was sie nicht auch vorher schon mit ihr angstellt hatten. Nein, Selbstzweifel waren noch nie ein Problem für Thenar gewesen, und sie glaubte auch nicht, dass sie jetzt mit derlei Blödsinn begann. Es musste etwas anderes sein. Thenar schloss die Augen und streckte die Fühler. Sie blendete die Geräusche ihres eigenen Herzschlages und ihres eigenen Blutes aus und konzentrierte sich - aber da war nichts ungewöhnliches. Sie spürte Amiras Anwesenheit. Eine Aura der Ruhe und der Fröhlichkeit. Da war noch mehr; ein monotones, undeutliches Murmeln. Gleichmäßige Herzschläge - der Captain, T'Rey und jemand, den Thenar noch nie gespürt hatte. Vermutlich der Frachtercaptain. Sein Herzschlag war unregelmäßig, ungesund. Ein nervöser Mensch mit verstopften Blutgefäßen. Unfit, aber nicht in Gefahr.
Thenar reckte die Fühler, versuchte ihre Sinne zu öffnen. Da war... noch etwas. Undeutlich. Ungesund. Thenar spürte, wie sich die feinen Haare auf ihrem Nacken aufrichteten, und sie eine Gänsehehaut bekam. Sie glaubte einen Herzschlag zu hören, wie er nicht sein durfte, einen, der unendlich leise war, selbst für ihre scharfe Wahrnehmung, kaum mehr als die Ahnung eines Lautes, und doch brauchte sie nicht mehr, um zu wissen, was sie alarmiert hatte. Kein schreckliches Gewissen, das sie quälte, kein Fehler, den sie übersehen hatte. Thenar sprang so ruckartig auf, dass ihr Stuhl polternt zu Boden stürzte. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen zur Tür, als können sie direkt hindurch- und zur anderen Seite des Schiffes sehen, wo der Maschinenraum alg. Fast im gleichen Augenblick spürte sie es. "Leif!"
Amira blickte verwirrt von ihrem Zauberkasten auf, aber Thenar war bereites im nächsten Augenblick durch die Tür, die sich gerade noch rechtzeitig öffnete, und fegte mit weit ausgreifenden Schritten in den bogenförmigen Korridor dahinter wo tatsächlich T'Rey und Kowalski beeinander standen und gerade diskutiert hatten, ihre Unterredung aber sofort abbrachen und verwundert die Köpfe drehten, als Thenar auf sie zustürmte. Ohne langsamer zu werden, deutete Thenar an ihnen vorbei zum Maschinenraum. "Der Chief ist in Gefahr!" Im nächsten Moment hatte sie Kowalski, dem gar keine Zeit für eine Erwiderung blieb, am Arm gepackt, und zerrte ihn mit sich durch die Doppeltür...