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Eigene Story

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domi1985:
Nunja, so undefiniert ist der Neoliberalismus eigentlich nicht - er bezeichnet - zumindest habe ich es so gelernt - mehrere in sich mehr oder weniger differenzierte Wirtschaftsschulen und Theoriegebäude. Zum einen die Ordoliberalen um Eucken, Rüstow, Müller-Armack und schließlich Ludwig Erhard. Zum anderen den Kreis um Hayek, Mises und Milton Friedman. In der Politikwissenschaft wird der Begriff verwendet und auch in den Wirtschaftswissenschaften findet er Anwendung. Und die wenigsten WiWis stammen aus dem linken Spektrum, das kann ich jedenfalls bezeugen ;-)
Dem Begriff Neoliberalismus wohnt also zunächst keine explizit positive oder negative Konnotation inne, auch wenn - und da gebe ich dir recht - ihn manche als Schlagwort missbrauchen.
Letztlich ist "Neoliberalismus" also so inhaltlich stark oder schwach wie Begriffe wie Klassik und Neoklassik (und auch die Neoklassik bedeutete kein Verschwinden der Klassik), angebots- oder nachfrageorientiert. Es ist der Versuch, abstrakte Ideen und Lehren unter einem Oberbegriff zu vereinen. Übrigens waren die Neoliberalen ihre eigenen Namensgeber - der Begriff wurde, wenn ich mich recht erinnere, von Rüstow vorgeschlagen (es kann aber auch Eucken gewesen sein).
Die Neoliberalen selbst sahen den Liberalismus nach dem 1. Weltkrieg als gescheitert an und somit die Notwendigkeit, ihn neu zu beleben. Auf ihren Treffen schufen sie also zum einen den Begriff selbst, zum anderen einen Minimalkonsens, der die verschiedenen Schulen des Neoliberalismus verband - das geschah übrigens endgültig nach dem 2. WK mit der Gründung der Mont Pelerin Society.
Ich persönlich halte das Operieren mit derartigen Oberbegriffen übrigens für legitim und notwendig. Lehnt man den Begriff des Neoliberalismus ab, so muss man sich zwangsläufig auch von Anarchismus, Kommunismus und Marxismus verabschieden. Gerade letzter beinhaltet ein derartiges Bündel an Theorien und teilweise so widersprüchlichen Denkschulen, dass "Neoliberalismus" trotz aller inhaltlichen Vielfalt geradezu als homogen erscheint.
Man muss sich der inhaltlichen Unterschiede bewusst sein, dann ist es durchaus nützlich, Oberbegriffe zu verwenden. Oberbegriffe - nicht Kampfbegriffe. Ein überzeugendes Pamphlet für Modelle und Oberbegriffe lieferte übrigens Mommsen. Gerade die Geschichtswissenschaft kennt diese Definitionsproblematik ja nur zu gut und die s.g. Alltagsgeschichte, die in den 70ern und 80ern populär wurde zeigte meiner Ansicht nach, dass Geschichte (und jede Sozialwissenschaft) einfach nicht ohne Modelle und weit gespannte Begrifflichkeiten auskommt.
Ich bin aber eigentlich nicht hier, um über Politik zu diskutieren, so interessant es sein mag, sich mit dir darüber zu unterhalten ;-) Was ich noch hinzufügen sollte : Ich bin kein Kommunist oder dergleichen und meine Story soll sicherlich keine Streitschrift für die Planwirtschaft sein (immerhin gibt es ja auch keinen Supercomputer wie den Maschinenapostel). Was mich reizt, ist eher der Entwurf eines Kollektivstaats, der Religion, Staatsmythos und Imperialismus mit einbezieht. Und schlussendlich wird das Transomninion der Antagonist sein, zumindest zum großen Teil.

Tolayon:
Ich für meinen Teil - der ich alles andere als ein Wirtschaftsexperte bin - verstehe die unter dem Oberbegriff "Neoliberalismus" zusammengefassten Konzepte dahingehend, als dass die Privatwirtschaft durch wohlmeinende Handlungen oder Nicht-Handlungen von Staatsregierungen die besten Voraussetzungen für freies Handeln erhält. Gerade dadurch kommt es in der Realität aber zu Vetternwirtschaft, Lobbyismus und vor allem Bildung von Mono- und Oligopolen, die einer freien Marktwirtschaft entgegenstehen.

Ich selbst würde als höchste, mir persönlich erstrebenswerteste Gesellschaftsform in der Tat den Anarcho-Kommunismus betrachten, aber bis dahin scheint die kapitalistische Variante zumindest etwas besser zu sein. Nur die Sache mit der - immerhin nur freiwilligen - Sklaverei geht mir etwas zu weit, das erscheint mir zu rückschrittlich und neo-feudal.

SSJKamui:
OK. Ich entschuldige mich hiermit. Meine Quellen zu dem Begriff Neoliberalismus waren also definitiv falsch. (Bei denen stand das in der Form drin, die ich beschrieben hatte und die Behauptung, einige Liberale hätten den Begriff später selbst übernommen, weil sie den gut Fanden. Und das waren durchaus politisch neutrale Lexika, weshalb ich denen durchaus vertrauen konnte. Außerdem erschien mir dieser Artikel glaubwürdig, weil ich für den Begriff des Neoliberalismus auch mehrere andere Begriffe fand, die durchaus von den Bezeichneten benutzt wurden/werden, während ich den Begriff des Neoliberalismus immer nur in der Kritik daran gehört hatte.) Ich habe eben mal nachgeforscht und fand nur noch eure Version.

 Ich sehe meinen Fehler ein. Danke für die Aufklärung. (Und nochmal sorry, falls ich zu unhöflich klang. Das war definitiv nicht meine Absicht.)

domi1985:
Es gibt durchaus keinen Grund zur Entschuldigung. Ich bin inzwischen zu der Einsicht gelangt, dass ökonomische, soziale und historische Probleme und Fragestellungen oft höchst komplex und miteinander verwoben sind. Historiker, Ökonomen und Soziologen sind selbst Menschen mit Ansichten und Positionen und entsprechend gefärbt sind ihre Texte. Beim wirklich außerordentlich komplexen Thema Neoliberalismus habe ich versucht, mir ein möglichst umfassendes Bild zu machen, indem ich mich zunächst mit einigen "Originalen" wie Rüstow, Mises und Hayek befasste um danach die Sekundärliteratur der Befürworter und Gegner anzusehen. Natürlich bin ich noch lange kein wirklich Experte, was dieses Thema anlangt - es ist in der Tat so umfangreich und Komplex, dass man kaum alle Schattierungen erfassen kann. Allein Hayek wandelte seine Positionen mehrfach ab, sodass man eigentlich einen "frühen" und "späten" Hayek unterscheiden kann. Lexika, selbst Fachlexika sind immer so eine Sache ... ich nutze sie inzwischen nur noch, um mir einen vorsichtigen Überblick über ein Thema zu verschaffen und Literaturverweise zu finden.
Zum Thema Neoliberalismus noch ein kleiner Nachtrag :
Die Neoliberalen um Erhard und seine Stichwortgeber schafften es durchaus, ihre Version des Neoliberalismus - den Ordoliberalismus - in Deutschland zu institutionalisieren. Er erhielt Denkfabriken in Gestalt mehrerer beratender Wirtschaftsinstitute. Erhard hat seine persönliche Variation der Ordoliberalen Schule in "Wohlstand für alle" humorvoll und gut lesbar dargelegt - allerdings zeigt sich bereits hier, dass der Ordoliberalismus sich nicht wirklich durchsetzen würde. Erhard folgte, ganz Politiker, politischen Sachzwängen und so entstand im Deutschland der Nachkriegszeit eher eine Mischwirtschaft (die oft beschworene "Soziale Marktwirtschaft") denn ein ordoliberales System. Der Anteil der staatseigenen Industrieproduktion blieb in der BRD dabei immer gering, bei unter 4% - in Frankreich, England und anderen Ländern lag er bedeutend höher. Somit gelang es den "Ordos" durchaus, einige ihrer Pläne zu verwirklichen.  Insgesamt war das neoliberale Projekt deutscher (rüstwoscher, euckenscher, müller-armackscher) Denkart gescheitert und nahm in der akademischen Landschaft nur noch wenig Raum ein. Hier dominierte sowieso seit den 30ern die nachfrageorientierte Lehre von Keynes - die s.g. Keynesianer. Sie unterschieden sich von den Neoliberalen fundamental - so waren sie für eine expansive Geldpolitik, für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und einen starken Sozialstaat. Keynes Lehre geriet in den 70ern angesichts erster Wirtschaftskrisen unter Druck - und zwar von Seiten der amerikanischen Neoliberalen um Hayek, Mises und Milton Friedman (letzterer unterscheidet sich wiederum ziemlich von Hayek und Mises). Sie forderten eine explizit nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik - der Staat solle keine expanisive Geldpolitik betreiben, nicht in den Markt eingreifen sondern ausschließlich die Preisniveaustabilität garantieren.
Hier muss ich etwas einschieben, was ich am Neoliberalismus nach Mises und Hayek enorm bedenklich finde: Während die wirtschaftspolitisch ähnlich orientierte Neoklassik sich immer aus der Politik raushielt und generell eine sehr mathematisch fundierte Lehre betrieb, arbeitete Hayek nur wenig mathematisch - ähnlich wie Mises. Stattdessen arbeiteten sie eine "Heilslehre" des Freien Marktes heraus, die kaum mathematisches Fundament besitzt und damit schlicht nicht überprüfbar ist. Der Neoliberalismus nach Hayek und Mises ist, so sehe ich das, eine reine Glaubenssache. Zudem ist Hayek der Ansicht, dass keine Erkenntnis von Wahrheit möglich wäre - außer für eine kleine Elite, die Original Thinkers. Diese Thinkers, so denkt Hayek, müssten zwangsläufig zu den gleichen Schlüssen kommen ,wie er. Er schreibt sich somit den Besitz der einzig gültigen Wahrheit zu und verlässt damit sowohl die liberale Denktradition um Mill, als auch den Bereich seriöser Wissenschaft (den er durch fehlendes mathematisches Korsett ohnehin verlassen hat - meine Meinung).
Während nun die Neoklassik explizit keinen Einfluss auf die Politik nehmen will und reine Wissenschaft ist, sah Hayek die Notwendigkeit an, die Gesellschaft nach seinem Gusto zu formen um "den Markt aus den Ketten zu befreien". Zu diesem Zweck entstand die Mont Pelerin Society und über hundert Ableger, die entsprechende Lobbyarbeit betreiben sollten und das bis heute mit großem Erfolg tun - man denke an die Kampagnen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Hayek wollte also expliziten Einfluss auf die Politik nehmen und das mit einer Lehre, die vielen als unseriös erscheint. Im jüngerer Zeit wenden sich tatsächlich zahlreiche Ökonomen von neoliberalen Ideen ab.
Neoliberalismus nach Milton Friedman - der s.g. Monetarismus - wurde übrigens in England unter Thatcher, in den USA unter Reagan betrieben. Mit einem fragwürdigen Ergebnis. Das würde uns nun zum Thema Privatisierung führen - worüber wir auch gerne diskutieren können. Was anarchistische Konzepte aller art angeht, bin ich persönlich höchst skeptisch. Bakunins humaner Agraranarchismus ist mir als Modell höchst sympathisch und gäbe es eine solche Gesellschaft, wäre ich wohl der erste, der übersiedelt. Allerdings liegt hier das Problem : Bakunin lebte im 19. Jh und viele andere Anarchismen entstanden auch in dieser Zeit. Ich denke aus verschiedenen Gründen, dass ein Anarchismus im 21. Jh. unmöglich ist. Die komplexen Probleme unserer Welt lassen sich nur durch Regulierung und Regierung lösen, wenn überhaupt. Einen Weg in den Anarchismus gibt es meines Erachtens nach nicht - er bleibt eine sozioökonomische Utopie.
Im Endeffekt halte ich den Neoliberalismus nach Hayek und Mises für eine gefährlich dogmatische, teilweise sogar erstaunlich unökonomische Lehre. Man mag mir widersprechen - ich bin immer offen für Kritik.

domi1985:
Übringens hat mich auch Hayek inspiriert, was Transomninion angeht. Dessen Elite sieht sich durchaus als "Original Thinkers", die im Besitz der einzig gültigen Wahrheit sind - als Sozialingenieure. Ich bediene mich beim Entwurf dieser Gesellschaft also nicht nur bei Marxisten und Neomarxisten, sondern auch bei Neoliberalen - die haben nämlich auch einiges zu bieten, das sich zum gruseln eignet ;-)
Von dem mal abgesehen kann ich nur dafür plädieren, den wirtschaftlichen Marxismus (und die daraus entwickelte Planwirtschaft, die teilweise von ganz anderen Leuten als Marx erdacht wurde) vom politischen Marxismus vornehmlich Lenins abzukoppeln. Ganz abgesehen davon, dass der eine wie der andere sich in ein unüberschaubares Wirrwar verschiedener Thesen ausdifferenziert, ist es doch nützlich, zumindest auf dieser auch realpolitisch fassbaren Ebene zu trennen.
Das Transomninion besitzt eine kybernetische Zentralverwaltungswirtschaft - soweit stimmt das mit dem Kommunismus (hierbei habe ich mich von dem Buch "Alternativen aus dem Rechner" zweier marxistischer Informatiker inspirieren lassen). Politisch entspricht es wohl kaum den Ideen Lenins - es gibt einen Regierungsapparat, der vom Aufbau her eher an den amerikanischen erinnert und ansonsten eine ausgesprochene Technokratie darstellt. Daneben gibt es eine mächtige Kirche, die das Transomninion zu einer teilweisen Theokratie werden lässt. Auch das ist ein dem Kommunismus widersprechender Ansatz.
Letztlich existiert noch ein Militär mit Befugnissen bis in die Regierung hinein - keine Ahnung, wo dieses Modell ein reales Pendant hat - vielleicht in der Türkei ?
Daneben gibt es noch den Maschinenapostel, bei dem ich mir noch nicht sicher bin, wieviel Macht er tatsächlich haben wird. Vielleicht wird seine Position an die des Kaisers im späten Heiligen Römischen Reich erinnern, vielleicht wird er auch bedeutend mächtiger sein - eine Art mittelalterlicher Papst.
Daneben gibt es ja noch ein weiteres Herrschaftselement, das zentral ist. Ich nenne das "Biototalitarismus". Der Staat im Transomninion kontrolliert zum einen die genetische Ausstattung der Bürger selbst und schafft sich damit Personal nach den gegenbenen Anforderungen. Zum anderen obliegt ihm, wie in wirklichen Diktaturen, Ausbildung, Sozialisation und Erziehung - wobei er von der Kirche mit einer entsprechenden Religion versorgt wird. Meiner Meinung nach ein mächtiges Instrument der Zerstörung von Individualität. Und letztlich operiert der Staat des Transomninions mit diversen sehr perfiden Methoden, um seine Bürger an er Leine zu halten - von einer süchtigmachenden, lebensverlängernden Droge über die heimliche Beeinflussung mit Psychopharmaka bis zum Einsatz weiterer manipulativer Technologien. Somit existiert eine orwellsche Gedankenpolizei, die allerdings subtiler und sanfter vorgeht, und Abweichler nur im äußersten Notfall liquidiert.
Wie man sehen kann, ist das Transomninion eher ein Albtraum, denn eine Utopie. Jedenfalls hoffe ich, diesen Eindruck zu erzeugen. Von der perfiden Bösartigkeit dieses Staates hängt für meine Story nämlich eine Menge ab ;-)

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